Blog Aus den Bundesländern

Quo vadis, Kinderbetreuung?

Annette Sawade16. März 2020
Annette Sawade ist stellvertretende Vorsitzende der SGK Baden-Württemberg und war bis 2017 Abgeordnete im Deutschen Bundestag.
Wo stehen die Kommunen im Konflikt zwischen Gebührenfreiheit, Personalmangel und Vorgaben des Landes? Annette Sawade wirft einen Blick auf die Situation in Baden-Württemberg.

Wir alle wollen eine familienfreundliche Kommune mit einer guten und möglichst gebührenfreien Kinderbetreuung. Doch wie kann man dieses wichtige Ziel erreichen? Der gute Wille ist überall artikuliert, wie sieht aber die Wirklichkeit aus?

Nicht genügend Personal

Es gibt nicht genügend qualifiziertes Personal im Land Baden Württemberg. Wir haben quasi Vollbeschäftigung und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich aussuchen, welchen Job sie annehmen. Nun gehören bekannterweise die pflegenden Berufe, ob im Kinderbetreuungsbereich, im medizinischen oder Altenpflegebereich nicht unbedingt zu den topbezahlten Jobs. Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten in prosperierenden Kommunen ebenfalls steigen. Allein in z.B. Schwäbisch Hall sucht man derzeit 18 Fachkräfte.

Zusätzlich wird der Stellenmangel durch den Gesetzgeber im Land verstärkt, indem die Betreuungsschlüssel mit die niedrigsten in der Republik sind und die Mittel aus dem guten Kitagesetz in die Qualität und nicht per se in mehr Betreuungsangebote fließen sollen. Was ja in Ordnung ist, aber den Kommunen bei dem Personalmangel und dem verstärkten Betreuungsbedarf der Familien keine Flexibilität erlaubt.

Rücknahme des Stichtags für die Einschulung

Zusätzlich wird durch die Zurücknahme des Einschulungsstichtages die Verweildauer der Kinder in den Kitas verlängert, was bedeutet, dass zunächst wieder weniger Plätze mit Schuljahresbeginn frei werden. Und welcher Gemeinderat erklärt dann seinen Bürgerinnen und Bürgern, dass es Wartelisten gibt, dass der Rechtsanspruch nicht erfüllt werden kann, dass strenge Bedürftigkeitsüberprüfungen erfolgen müssen und ggfs. Kinder abgewiesen werden müssen. Ist das mit dem hohen Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinbar?

Problem Bildungsauftrag

Das Land betont immer wieder, dass auch eine Kita einen Bildungsauftrag hat und die Kinder nicht nur „betreut“ werden sollen. Wenn dieses so ist, heißt die Konsequenz aber, dass das Land zuständig ist und analog Schulen die Kosten trägt.

Umsetzung der Gebührenfreiheit

In Baden-Württemberg gibt es aktuell nur zwei Kommunen, die die Gebührenfreiheit umgesetzt haben: Künzelsau für Ü3 und U3 und Heilbronn für Ü3, die nach eigener Aussage das unproblematisch umsetzen konnten (mehr dazu unter diesem Link).

Große Unterschiede trotz Landesvorgaben

Es gibt laut Bertelsmann-Studie große Unterschiede in Baden Württemberg beim Betreuungsschlüssel, obwohl dieser mit dem Gesetz:  „Verordnung des Kultusministeriums über den Mindestpersonalschlüssel und die Personalfortbildung in Kindergärten und Tageseinrichtungen mit altersgemischten Gruppen (Kindertagesstättenverordnung – KiTaVO) vom 25. November 2010 Gesamtausgabe in der Gültigkeit vom 02.01.2020 bis 31.12.2022 Stand: letzte berücksichtigte Änderung: § 1 geändert durch Artikel 4 und 5 des Gesetzes vom 19. November 2019 (GBl. S. 476, 477) 1) 2)“ entsprechend festgelegt wurde.

Die Stuttgarter Zeitung schrieb dazu: „Väter und Mütter im Kreis Göppingen können davon ausgehen, dass sich in der Krippe statistisch gesehen eine Fachkraft um 2,6 Kinder kümmert, in Mannheim sind es vier Kinder. Auch in den Kindergärten hängt der Personalschlüssel vom Wohnort ab. Im Landkreis Tuttlingen teilen sich 8,4 Kinder eine Erzieherin, in Karlsruhe werden 6,2 Kinder von einer Fachkraft betreut.“

Personal- und Raumbedarf würde steigen

So ist der momentane Zustand. Was passiert, wenn eine Kommune jetzt die Gebührenfreiheit beschließt? Mit Sicherheit werden mehr Betreuungsplätze erforderlich, d.h. noch mehr Personalbedarf und Raumbedarf, den es so schnell nicht gibt. Damit werden sich möglicherweise Frust und Enttäuschung bei der Elternschaft breitmachen.

Am Rande sei ein „Kuriosum“ erwähnt, sollte eine eine völlige Gebührenfreiheit umgesetzt werden – ein steuerlicher Exkurs: Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 12.07.2012, BstBl 2012 II, S. 837, entsprechend der bisherigen Verwaltungsauffassung entschieden, dass Kommunen mit dem Unterhalten von gebührenpflichtigen Kindergärten nicht hoheitlich tätig sind, sondern Betriebe gewerblicher Art (BgA) unterhalten. Ertragsteuerlich ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen: Die Kommune ist wie alle anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) wegen jedes einzelnen von ihr unterhaltenen BgA Subjekt der Körperschaftsteuer. Die Körperschaftsteuer ist dabei für jeden BgA gesondert zu ermitteln und mittels Steuerbescheid gegenüber der jPöR festzusetzen. Weil die jPöR nach §1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 4 KStG bereits dann subjektiv unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist, wenn der BgA nur mit Einnahmeerzielungsabsicht betrieben wird, ist auch bei dauerdefizitären Tätigkeiten grundsätzlich ein Einkommen zu ermitteln. Nach § 156 Abs. 2 AO kann die Festsetzung von Steuern unterbleiben, wenn feststeht, dass die Kosten der Einziehung einschließlich der Festsetzung außer Verhältnis zu dem festzusetzenden Betrag stehen. Es ist bei dauerdefizitären Kindergärten/Kindertagesstätten deshalb nicht zu beanstanden, wenn von der Kommune keine Körperschaftsteuererklärungen abgegeben werden.

Eine ertragsteuerliche Auswirkung kann sich aber evtl. dann ergeben, wenn der Kindergarten bzw. die Kindertagesstätte aufgegeben wird. Die Aufgabe eines BgA führt zur Überführung sämtlicher im Betriebsvermögen des BgA befindlichen Wirtschaftsgüter ins Hoheitsvermögen der jPöR und zieht die Aufdeckung der darin enthaltenen stillen Reserven nach sich (insbesondere in Grundstücken). Dasselbe gilt, wenn künftig der Besuch eines Kindergartens bzw. einer Kindertagesstätte beitragsfrei sein sollte, weil dies den Wegfall der o.g. Einnahmeerzielungsabsicht und damit ebenfalls die Aufgabe des BgA zur Folge hat.

Diskussionsbedarf

Wir sollten nochmal in die Diskussion einsteigen, zumal über das Volksbegehren der SPD Ende März entschieden wird. Welche Möglichkeiten können wir entwickeln, um zum einen mehr Personal und zum anderen mehr Mittel und auch etwas mehr Eigenentscheidungsmöglichkeiten der Kommunen zu erhalten? Denn alle wollen doch ein familienfreundliches Baden-Württemberg mit der realen Chance, Familie und Beruf miteinander verbinden zu können.

Schreibt uns einfach Eure Ideen und Erfahrungen: info@sgk-bw.de

 

Annette Sawade ist stellvertretende Vorsitzende der SGK Baden-Württemberg.
Dieser Beitrag stammt aus dem Landes-SGK EXTRA der DEMO und wird hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Baden-Württemberg veröffentlicht.
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