Blog Aus den Bundesländern

Wie eine Revitalisierung der Innenstädte beginnen kann

Christoph Eberlein11. Mai 2021
Junges Paar auf einer Parkbank in der Innenstadt – hier aufgenommen in Bonn
Unsere Innenstädte brauchen Perspektiven! Wie eine Revitalisierung beginnen kann – darüber sprach die SGK Baden-Württemberg mit Akteur*innen des kommunalen Einzelhandels.

Handel und Gastronomie sind von der Pandemie besonders stark betroffen: lange geschlossen, dann click & collect, bei Verbesserung der Infektionszahlen click & meet und dann doch wieder alles zu. Wann die Geschäfte wieder vollständig öffnen können, ist nach wie vor unklar. Die Situation ist für Inhaber und Angestellte katastrophal, aber auch die Zentren unserer Städte und Gemeinden als Orte des sozialen Miteinanders leiden massiv unter den Folgen des Lockdowns. Kommunen müssen den Neustart von Handel und Gastronomie positiv begleiten. Nicht nur, um Arbeitsplätze und Steuereinnahmen langfristig zu sichern, sondern auch um unsere Zentren lebendig und attraktiv zu halten.

Aus diesem Grund lud die SGK Mitte März zu einer moderierten Gesprächs- und Diskussionsrunde ein, die online stattfand und auf Facebook live übertragen wurde. Teilnehmer waren Aalens Oberbürgermeister und SGK-Landesvorsitzender Thilo Rentschler, die Unternehmerin und Herrenberger Stadtmarketingvorsitzende Sarah Holczer, der Aalener Herrenausstatter Claus Albrecht und der ehemalige Wirtschaftsstaatsekretär Peter Hofelich. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jan Hambach, Juso-Landesgeschäftsführer und Wirtschaftswissenschaftler.

Inhabergeführte Geschäfte besonders betroffen

Die Vorstellungsrunde wurde ergänzt mit der Situation in den Kommunen vor Ort. Das Problem ist, dass inhabergeführte Geschäfte stärker von der Pandemie betroffen sind als Ketten. Auch wenn diese Stand März über 300 Filialen bundesweit geschlossen haben. Ein ­Filialist macht u. U. nach der Pandemie eine Filiale wieder auf. Wenn ein inhabergeführtes Geschäft abgewickelt wird, bleibt es i. d. R. geschlossen.

Das Thema Onlineplattform wurde eher kritisch betrachtet: Für eine eigene Plattform fehlt die Zeit, das Geld und das Knowhow. Eine Möglichkeit besteht darin, auf Amazon-Plattformen aufzusetzen. Das spielt aber dem Onlinehandel mehr in die Hand als es dem stationären Handel nützt, da Amazon direkte Konkurrenz bedeutet. Ein großes Problem beim Onlineversand ist das Retourgeschäft. Circa 65 Prozent der verschickten Ware werden wieder zurückgeschickt, davon sind wiederum 10 bis 15 Prozent unbrauchbar und müssen vernichtet werden, stellte Claus Albrecht fest. Das ist ein „anderes Geschäftsmodell“: Fachpersonal und Innenstadtlage vertragen sich damit nicht, so der Einzelhändler. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind beim Onlinehandel außen vor.

„Click & collect” wenig angenommen

Sarah Holczer gab einen Einblick in die seit  Pandemiebeginn in Herrenberg durchgeführten Maßnahmen. Der Aufbau einer Gutschein-Online-Plattform und eine Rikscha zum Liefern in der Kernstadt waren die ersten schnellen Maßnahmen. Aus der Rikscha entstand eine Fahrradkurierorganisation. Auch die digitale Neuaufstellung des Einzelhandels wurde angegangen und etwa Hilfe beim Aufsetzen von Onlineshops angeboten. Schlecht angenommen im 2. Lockdown wurde „click & collect“, was auf die Verunsicherung in der Bevölkerung zurückgeführt wurde.

Thilo Rentschler erläuterte, dass in Aalen Kunst und Kultur mit den Einzelhändlern in Verbindung gebracht werden. Während der Marktzeit wurde Musik vom Rathausdach gespielt, was ein neues Bewusstsein schaffte. In der Fußgängerzone wurde „On-Air-Verkauf“ erlaubt. Gleichzeitig wurde auf Gebühren etc. verzichtet. Dies alles hat für eine gute Grundstimmung in der Stadt gesorgt. Der Anlauf einer regionalen Onlineplattform ist dagegen nicht erfolgreich gewesen. Das Stadtmarketing ist in Aalen sehr stark aufgestellt: Die Stadt war eine der ersten, die einen Citymanager anstellte, ergänzte Claus Albrecht. „Click & collect“ ist auch in Aalen nicht sehr erfolgreich gewesen. Betriebswirtschaftlich lohnte sich das nicht. Wichtig sei, Leerstände zu vermeiden, so ­Rentschler. Das diene allgemein dazu, Aufenthaltsqualität zu erhalten und Frequenz in die Städte zu bringen.

Von landespolitischer Seite informierte Peter Hofelich, dass 2019 das bereits 2016 von der SPD mitinitiierte Dialogprojekt „Handel 2030“ aufgelegt wurde. Darin enthalten sind Maßnahmen zur Fachkräftesicherung, zur ­Digitalisierung, zur Zukunft der Innenstädte, zur Nahversorgung und auch rechtliche Rahmenbedingungen, die nun konkretisiert und umgesetzt werden müssen. Das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ ist eine weitere Möglichkeit, in der Zukunft Stadtentwicklung in Mittel- und Kleinstädten zu gestalten.

Widersprüchliche Regeln

In der anschließenden Diskussion wurde der Widerspruch deutlich, dass der Einzelhandel im Gegensatz zu großen Discountern bessere ­Hygienekonzepte hatte, aber dennoch schließen musste. Warum Discounter beispielsweise weiße Ware oder Schreibwaren verkaufen dürfen, aber die Fachgeschäfte schließen müssen, blieb vielen eine offene Frage. Klare Wenn-Dann-Beziehungen oder Stufenpläne fehlten der Landesregierung in der Pandemie, ergänzte Peter Hofelich. Einig war man sich, dass die Hygieneregeln eingehalten werden, das eine funktionierende Teststrategie aufgebaut wird und schließlich, dass es endlich mit dem Impfen vorwärts geht.

Ebenfalls in der Diskussion herausgearbeitet wurde, dass Start-ups, regionale und saisonale Angebote sowie Wohnen als gute Möglichkeiten für die Revitalisierung der Innenstädte anzusehen sind. Hierbei ist Quartiersentwicklung ein wesentlicher Baustein. Dabei sollten Öffentliche und Private Hand in Hand gehen. Dies sollte politisch begleitet werden. Bezahlbares Wohnen ist ein weiterer Baustein zur Innenentwicklung, wurde festgestellt. Dazu sollte jede Investition in den Innenstädten positiv begleitet werden.

Früh die Weichen stellen

Es wurde klar gemacht, dass der „magische Ort“ Innenstadt unbedingt erhalten werden und man rechtzeitig die Weichen stellen muss, um nach Corona attraktive und l(i)ebenswerte Innenstädte zu erhalten. Die Pandemie wirkt sehr stark auf Handel und Wandel in den Kommunen ein. Da bedarf es voller Unterstützung auf  den politischen Ebenen.

„Alles wirkliche Leben ist ­Begegnung“, zitierte Thilo Rentschler abschließend den Sozialphilosophen Martin Buber und fasste so die ­Bedeutung der Innenstadt für das Zusammenleben der Menschen zusammen.

 

Dieser Text stammt aus dem Landes-SGK EXTRA Baden-Württemberg der DEMO und wird mit freundlicher Genehmigung der SGK Baden-Württemberg hier veröffentlicht.