Serie „100 Jahre Frauenwahlrecht“

„Trümmerfrauen“ am kommunalen Ruder

Julia Korbik02. April 2018
Louise Schroeder, auf einem Foto aus dem Jahr 1948.
Die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland am 12. November 1918 ist der Aufruf an das Deutsche Volk vom Rat der Volksbeauftragten. Am 30. November 1918 trat in Deutschland das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Damit konnten Frauen am 19. Januar 1919 zum ersten Mal reichsweit wählen. Was verbinden Frauen 100 Jahre später mit diesem Erfolg? Und wie lässt sich ihre politische Beteiligung – auch auf kommunaler Ebene – steigern? In der Artikel-Serie ein Beitrag über Louise Schroeder und Luise Albertz, zwei Frauen, die in den Städten Berlin und Oberhausen in der Nachkriegszeit Verantwortung übernahmen.

Wer an die Nachkriegszeit in Deutschland denkt, dem kommen schnell die heroischen Trümmerfrauen ins Gedächtnis – Frauen, die in vielen deutschen Städten mithalfen, diese von den Trümmern der zerbombten Gebäude zu befreien und wieder aufzubauen. Auch Louise ­Schroeder und Luise Albertz waren auf ihre Art „Trümmerfrauen“: Als Oberbürgermeisterinnen in Berlin und Oberhausen sorgten sie nach dem Zweiten Weltkrieg für den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau.

Louise Schroeder zog 1919 in die Weimarer Nationalversammlung ein

Im Jahr 1887 als achtes Kind einer Gemüseverkäuferin und eines Bauarbeiters im heutigen Hamburg-Altona geboren, trat Louise Schroeder 1910 in die SPD ein – erst zwei Jahre zuvor war das Gesetz aufgehoben worden, das ­Frauen vereinspolitische Tätigkeiten untersagte. Schroeder sah ihre Aufgabe vor allem in den Bereichen der Sozialpolitik und der Gleichstellung der Frau. 1919 zog sie in die neugewählte Weimarer ­Nationalversammlung ein, wenige Monate nachdem Frauen das aktive und passive Wahlrecht erkämpft hatten. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 beendete ihre politische Karriere vorerst: Die SPD wurde verboten, genauso wie die von Schroeder mitgegründete Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Nach dem Krieg setzte Louise ­Schroeder ihr Engagement für die Interessen der Arbeiterklasse fort. Von 1949 bis 1952 war sie Mitglied der Stadtverordnetenversammlung bzw. des Abgeordnetenhauses von Berlin sowie von 1949 bis zu ihrem Tod 1957 Bundestagsabgeordnete. Als der erste gewählte Nachkriegsbürgermeister Otto Ostrowski (SPD) aufgrund innerparteilicher Spannungen zurücktrat, übernahm Schroeder am 8. Mai 1947 kommissarisch sein Amt. Der zu Ostrowskis Nachfolger bestimmte Ernst Reuter jedoch konnte sein Amt wegen sowjetischen Einspruchs nicht antreten und so blieb Schroeder bis zum 7. Dezember 1948 auf ihrem Posten – ­erfüllte eine wichtige, aber auch schwierige Führungsaufgabe.

In die Amtszeit der ersten (und bis heute einzigen) Berliner Oberbürgermeisterin fielen die Berlin-Blockade und die Berliner Luftbrücke. Schroeder stellte nach ihrer Ernennung fest, ihr sei „eine Verantwortung auferlegt worden, wie sie in Deutschland noch nie einer Frau übertragen worden ist“. Mitten im Kalten Krieg musste sie für den Wiederaufbau Berlins sorgen, das Überleben der Bevölkerung sichern und die weitgehend zerstörte Stadt in die Zukunft führen – Aufgaben, die Schroeder in der ihr typischen sachbezogenen und anpackenden Art bewältigte. Und zwar so gut, dass sie 1948 von der ersten Hauptversammlung des Deutschen Städtetags einstimmig zur Präsidentin gewählt wurde.

Luise Albertz stand insgesamt 25 Jahre an der Spitze von Oberhausen

Anpackend war auch Schroeders Amtskollegin im gut 500 Kilometer weiter westlich gelegenen Ruhrgebiet: Luise Albertz, 1901 in Duisburg als Tochter des in Bergen-Belsen ermordeten SPD-Landtagsabgeordneten Hermann Albertz geboren, trat 1915 der SPD bei und beteiligte sich ab 1945 am Wiederaufbau der Partei in Nordrhein-Westfalen. Von 1946 bis 1948 war sie erstmals Oberhausener Oberbürgermeisterin, später noch einmal von 1956 bis zu ihrem Tode 1979. 25 Jahre insgesamt regierte Albertz also die Ruhrgebietsstadt, war bundesweit die erste Oberbürgermeisterin, und stand dabei wie Louise Schroeder in Berlin vor zahlreichen Herausforderungen: Zuerst der Wiederaufbau des zerbombten und verarmten Ruhrgebiets nach dem Krieg, dann der ab 1958 einsetzende Strukturwandel der damaligen Bergbauregion. Weil die Ruhrkohle international nicht mehr wettbewerbsfähig war und in Konkurrenz mit dem billigen Erdöl stand, kam es zum Zechensterben und damit verbunden zu Massenentlassungen. In den 1970er Jahren folgte die Stahlkrise, von der auch Oberhausen betroffen war. Die Arbeitslosigkeit war hoch, die Luftverschmutzung ebenfalls.

Luise Albertz ging diese Aufgaben beherzt an und nahm neben kommunalen auch zahlreiche landes- und bundespolitische Ämter wahr. Ihr Einsatz für Benachteiligte als Vorsitzende des Petitionsausschusses im Bundestag brachte ihr den Beinamen „Mutter der Bedrängten“ ein. Doch ihr Leben und Wirken drehte sich vor allem um ihre Stadt, um Oberhausen. So sagte Willy Brandt nach Albertz‘ Tod anerkennend: „Kein Weg war ihr zu weit, kein Hindernis zu groß, wenn es galt, für ihre Stadt etwas ­herauszuholen.“

Zwei Frauen, zwei Städte, zwei Geschichten, die zeigen, dass Deutschland seinen Wiederaufbau auch den „Trümmerfrauen“ in der Politik verdankt.

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