Behindertenbeauftragte

Bentele hofft auf Nachbesserungen beim Bundesteilhabegesetz

Carl-Friedrich Höck08. Juli 2016
Bundestag
Beim Bundesteilhabegesetz hofft Verena Bentele auf das „Struck´sche Gesetz”: Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag heraus, wie es reingekommen ist.
Der vom Kabinett beschlossene Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz wird ab September im Bundestag beraten. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Verena Bentele sagt, die Reform enthalte „eine Reihe guter Elemente“, fordert aber weitere Verbesserungen. Darauf hofft auch die Bundes-SGK, allerdings aus anderen Gründen.

Ziel des Gesetzes ist es einerseits, Menschen mit Behinderung bessere Teilhabechancen am täglichen Leben zu ermöglichen – etwa in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt und in der Freizeit. Andererseits sollen die Kommunen als Kostenträger der Eingliederungshilfe nicht zusätzlich belastet werden.

Kommunalverbände bezweifeln allerdings, dass das zweite Versprechen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eingehalten werden kann. „Stattdessen kommen auf die Kommunen als Kostenträger [der Eingliederungshilfe, d. R.] mutmaßlich deutlich höhere Aufwendungen zu“, heißt es in einem Positionspapier der sozialdemokratischen Gemeinschaft für Sozialpolitik (Bundes-SGK). Denn neue Leistungen könnten von mehr Menschen in Anspruch genommen werden, was höhere Kosten verursache. Zweitens steige der Verwaltungs- und Kontrollaufwand, die Kommunen müssten also mehr Personal einstellen.

Bundes-SGK: Inklusion ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Zielrichtung des Gesetzes wird von dem sozialdemokratischen Kommunalverband grundsätzlich begrüßt. „Inklusion muss im Alltag lebbar sein“, fordert er in dem Positionspapier. „Teilhaberechte sind Menschenrechte, ihre Gewährung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht lediglich kommunale Verantwortung.“

Damit die Kosten für die Kommunen nicht zu stark ansteigen, sollen Träger der Eingliederungshilfe Leistungen „poolen“ dürfen – das bedeutet zum Beispiel, dass sich mehrere Leistungsberechtigte einen Assistenten teilen. Auch die vorgesehene Trennung von Fachleistungen und Leistungen zum Lebensunterhalt – letztere werden vom Bund finanziert – könnte die Städte und Gemeinden entlasten.

Behindertenbeauftragte gegen Pooling-Pflicht

Verena Bentele
Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Gerade diese Punkte sind aber auch umstritten, Behindertenverbände fürchten neue Bevormundungen. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Verena Bentele betont gegenüber der DEMO: „Auch in Zukunft muss es möglich sein, dass Menschen mit Behinderungen selbstständig leben und nicht mit anderen gemeinschaftlich ihre Assistenz in Anspruch nehmen müssen.“ Dafür werde sie sich im parlamentarischen Verfahren einsetzen. Auch dürfe am Ende niemand weniger Leistungen erhalten als heute. „Das heißt auch, dass niemand wegen seiner Behinderung ausschließlich Pflegeleistungen und keine Teilhabeleistungen erhalten darf“, sagte Bentele.

Die Behindertenbeauftragte fordert, dass die „berechtigten Wünsche des Betroffenen Berücksichtigung finden müssen bei der Ermittlung des individuellen Bedarfs“. Da zukünftig in mindestens fünf von neun Lebensbereichen eine Einschränkung vorliegen muss, damit Leistungen bezahlt werden, befürchteten hier viele Verbände eine Einschränkung, sagt Bentele. Um dies zu vermeiden fordert sie ein verbindliches Monitoring: Eine systematische Beobachtung und Auswertung der Daten in den nächsten Jahren sei unabdingbar.

Bundesteilhabegesetz soll im Dezember beschlossen werden

Einen Evaluationsauftrag und eine „Revisionsklausel“ will auch die Bundes-SGK in das Gesetz aufnehmen. Nur so könne überprüft werden, wie sich die Änderungen tatsächlich auswirken, und abgesichert werden, dass der Bund die entstehenden Mehraufwendungen übernimmt.

Den vorliegenden Entwurf für das Bundesteilhabegesetz hat die Bundesregierung am 28. Juni beschlossen. Der Zeitplan sieht vor, dass der Bundestag das Gesetz im Dezember verabschiedet, damit es zum 1. Januar 2017 in Kraft treten kann. Dem Bundestag zugeleitet und in der Folge beraten wird es nach Informationen des BMAS nach der Sommerpause im September.

Gegenwärtig beziehen rund 900.000 Menschen Leistungen aus der Eingliederungshilfe. Die Kosten für Länder und Kommunen belaufen sich laut Bundes-SGK auf rund 14 Milliarden Euro. Ohne gesetzliche Änderungen müsse bis 2020 mit einer weiteren Steigerung um 4,3 Milliarden Euro gerechnet werden, schätzt die Bundes-SGK.

Das geplante Bundesteilhabegesetz

Fast 400 Seiten umfasst der Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz, auf den sich das Bundeskabinett am 28. Juni 2016 nach langen Vorberatungen verständigt hat. Mit den Reformen will die Bundesregierung die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllen. Einige zentrale Änderungen sind:

Die Eingliederungshilfe wird aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe herausgeführt. Das bedeutet: Sogenannte Fachleistungen – etwa die Kosten für einen persönlichen Assistenten – werden künftig von den Leistungen zum Lebensunterhalt (Wohnung und Essen) getrennt. Und sie werden unabhängig davon finanziert, ob jemand in einer Einrichtung für Behinderte, in einer Wohngemeinschaft oder in einer eigenen Wohnung lebt – das bedeutet mehr Autonomie für die Betroffenen.

Außerdem sollen Menschen mit Behinderung, die auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, in Zukunft mehr Geld ansparen können: Der Freibetrag erhöht sich schrittweise von derzeit 2600 Euro auf rund 50.000 Euro im Jahr 2020. Die Einkommen von Lebenspartnern werden ab 2020 nicht mehr angerechnet. Die Freibeträge für Erwerbseinkommen steigen um bis zu 260 Euro monatlich.

Um mehr Menschen mit Behinderung eine Arbeitsstelle zu ermöglichen, soll es Lohnkosten-Zuschüsse von bis zu 75 Prozent geben. Dafür wird ein Budget in Höhe von 100 Millionen Euro bereitgestellt.

Damit die Kosten nicht zu stark ansteigen, sollen Träger der Eingliederungshilfe – also Kommunen und Bundesländer – bestimmte Leistungen bündeln („poolen“) können. Das bedeutet, dass sich mehrere Betroffene einen Assistenten oder einen Fahrdienst teilen können.

Es soll einfacher werden, Reha-Leistungen in Anspruch zu nehmen. Sozialamt, Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit, Unfall-, Kranken- und Pflegekasse sollen Leistungen wie aus einer Hand anbieten: Ein einziger Antrag soll in Zukunft ausreichen, um ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren in Gang zu setzen.

Für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörige sollen es mehr unabhängige Beratungsmöglichkeiten geben. Hierfür nimmt der Bund 60 Millionen Euro pro Jahr in die Hand. Um Betrug und Missbrauch zu verhindern, sollen Pflegedienste besser kontrolliert werden können, etwa durch eine unangemeldete Einsichtnahme in die Bücher.

Gegenwärtig beziehen etwa 900.000 Menschen Leistungen aus der Eingliederungshilfe. Für Länder und Kommunen bedeutet das Ausgaben von mehr als 14 Milliarden Euro jährlich. Laut Bundessozialministerin Andrea Nahles führt das Bundesteilhabegesetz für den Bund zu Mehrkosten von 700 Millionen Euro pro Jahr.

Die Kommunen sollen nicht zusätzlich belastet werden, sagt Nahles. Dennoch fürchten Kommunalverbände steigende Ausgaben. Zum einen, weil die Kosten für die Eingliederungshilfe auch ohne gesetzliche Änderungen steigen würden – diese Entwicklung wird nun lediglich abgebremst. Und zum anderen, weil die Kommunen mehr Personal benötigen, um zusätzliche Verwaltungs- oder Kontrollaufgaben erfüllen zu können.

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