Jahrbuch Rechte Gewalt

Chronik des alltäglichen Schreckens

Carl-Friedrich Höck16. Januar 2017
Symbolbild Rechte Gewalt
Es sind nicht mehr nur Rechtsextremisten, die rechte Gewalttaten begehen, schreibt Andrea Röpke.
Die Journalistin Andrea Röpke hat ein Jahrbuch zur rechten Gewalt in Deutschland vorgelegt. Trotz einiger Mängel ist es lesenswert. Es zeigt auf, wie die rechte Szene sich verändert.

03.06. Machtilshausen (BY) Polizeibeamte erkennen an einem Auto der rechten Szene gefälschte Kennzeichen. Der 67-jährige Fahrer steigt aus und schlägt mit einem etwa 40 Zentimeter langen Metallrohr unvermittelt in Richtung des Kopfes eines Beamten. Der Angreifer und seine 53-jährige Beifahrerin werden festgenommen. Gegen den Mann liegt ein Haftbefehl vor.

04.06. Halle (ST) Fünf bis sechs dunkel gekleidete Männer, darunter einer, der sich selbst als „Fascho“ bezeichnet, schlagen und treten auf eine Gruppe „alternativer“ Menschen ein. Einem 24-jährigen fügen sie mehrere lebensgefährliche Stichverletzungen zu. (...)

04.06. Münster (NW) Unbekannte verüben erneut einen Brandanschlag auf eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft.“

Die Liste füllt 130 Seiten

Diese Notizen sind Auszüge aus dem „Jahrbuch Rechte Gewalt 2017 – Chronik des Hasses.“  Die Journalistin Andrea Röpke hat die Fälle zusammengetragen und zählt sie, wie eben zitiert, knapp und nüchtern auf. Dennoch füllt allein diese Aufzählung der Übergriffe von Oktober 2015 bis September 2016 fast 130 Seiten.

Das alleine genügt, um den Leser zu erschrecken. Es zeigt aber auch auf, wie sehr diese Gewalt mittlerweile zum deutschen Alltag gehört. Wir gewöhnen uns an das Schreckliche. Ein Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft ist überregionalen Medien nicht mehr zwingend eine Meldung wert, weil es dauernd passiert in den deutschen Städten und Gemeinden.

Strukturen rechter Gewalt

Andrea Röpke listet aber nicht nur auf, sie ordnet auch ein. In zehn thematische Kapiteln geht sie auf die Hintergründe rechter Gewalt ein und beschreibt, welche Strukturen dahinter stecken: Die Pegida- und Hooliganszene, Facebook-Gruppen, als Bürgerinitiativen getarnte NPD-Organisationen. Bis hin zu rechten Terrorzellen oder einzelnen „Schläfern“, wie der Attentäter auf Kölns Bürgermeisterin Henriette Reker, die besonders brutal zu Werke gehen.

Dem Leser wird deutlich, dass die rechte Szene sich gerade neu sortiert. Mit dem Aufkommen von AfD und Pegida hat die NPD ihre Vormachtstellung im rechten Spektrum teilweise verloren – stattdessen vernetzen sich etwa in Thüringen zunehmend Kleinstgruppen, schreibt Röpke. Gleichzeitig nutzen Rechtsextremisten die Proteste gegen Geflüchtete, um ihre Isolation zu durchbrechen. „Der Ausspruch ‘ich bin rechts’ ist kein Stigma mehr“, stellt die Autorin fest.

Mancherorts will man das Problem nicht wahrhaben

Klar wird auch, dass rechte Gewalt überall passiert. Über Niedersachsen etwa schreibt Röpke: „Rassistische Vorfälle wie in manchen anderen Bundesländern gehören nicht zur Tagesordnung. Doch seit 2015 gibt es auch hier verstärkt Gewalttaten gegen Flüchtlinge oder Andersdenkende.“ Allerdings gebe es Orte, an denen niemand diese Gewalt sehen wolle.

Einiges an dem vorliegenden Jahrbuch lässt sich kritisieren: Die Daten zu den rechten Vorfällen werden lediglich chronologisch sortiert und nicht systematisch ausgewertet. (Hier wäre eine ergänzende Online-Datenbank wünschenswert, mit der sich das Material etwa nach Art oder Ort der Vorfälle filtern lässt.) Auch die Frage, in welchem Maß die rechte Gewalt seit Pegida zugenommen hat, kann das Werk nicht klar beantworten. Quellen für die Fall-Sammlung waren Polizeistatistiken und teils ungeprüfte Angaben „von Präventions- und Betreuungsexperten“, wie Röpke angibt. Diese liegen nicht für alle Regionen in gleichem Maße vor, ein bundesweites Monitoring rechter Gewalt gibt es nicht.

Dennoch ist das Jahrbuch ein wichtiges Projekt, denn es dokumentiert das alltägliche Grauen. Und für Kommunalpolitiker noch wichtiger: Indem es schildert, wie rechte Strukturen entstehen, gibt das Buch auch Hinweise, wie genau das sich vor Ort verhindern lässt.

Cover Jahrbuch Rechte Gewalt 2017
Erschienen ist das Jahrbuch im Knaur-Verlag.

 Andrea Röpke: 2017. Jahrbuch Rechte Gewalt. Knaur Verlag 2017, 304 S. ISBN: 978-3-426-78904-9