Interview

„Unsere Institutionen sind nicht frei von Rassismus”

Carl-Friedrich Höck14. August 2020
Emir Ali Sağ, Antidiskriminierungsstelle Bielefeld
Auch in kommunalen Einrichtungen gibt es Rassismus, meint Emir Ali Sağ von der Antidiskriminierungsstelle Bielefeld. Darüber zu diskutieren falle vielen schwer. Was Städte und Gemeinden dagegen tun können, schildert er im zweiten Teil des DEMO-Interviews.

In den vergangenen Wochen wurde kontrovers über Rassismus in der Polizei diskutiert. Wie sieht es eigentlich bei kommunalen Einrichtungen aus – Behörden, Jobcenter, Ordnungsämter? Brauchen wir auch hier eine Debatte?

Es ist ein neues Phänomen, dass man über Rassismus in dieser Form diskutiert. Man hat über Fremden- und Ausländerfeindlichkeit gesprochen, aber Rassismus hat immer eine negative Konnotation in der Bundesrepublik. Leider wird es sofort mit der Nazizeit assoziiert. Deshalb fehlt die Entspanntheit, eine gewisse Leichtigkeit, das Thema anzugehen, ohne die Menschen zu kategorisieren. Unsere Institutionen sind nicht frei von Rassismus. Diese Erkenntnis anzunehmen und darüber zu diskutieren fällt vielen schwer.

Unter Rassismus verstehen wir aber nicht nur die Gewalttaten von Nazis. Es geht darum, wie wir Menschen, eine bestimmte Klientel wahrnehmen. Es geht um Sprüche, die wir loslassen, um unser Vokabular. Darum, welche Bilder wir produzieren und wie wir Menschen wiederkehrend konstruieren.

Die Menschen werden unterschiedlich behandelt. Das ist bei der Polizei oder Behörden nicht anders. Wir haben versucht, mit dem Konzept der Diversität oder der interkulturellen Öffnung voranzukommen – wir haben diese Begriffe benutzt, um das Wort Rassismus zu umgehen. Denn viele Institutionen wollen nicht hören: „Bei uns könnte es Rassismus geben“. Das wird als Kampfbegriff verstanden. Es gibt aber kein Amt und keine Einrichtung, die davon frei ist.

Zum Thema Polizei: Diese Diskussion wird auch in Bielefeld geführt. Manche weisen das vehement zurück – nein, die Polizei habe mit Rassismus nichts zu tun. Aber glauben Sie mir: Ich habe selbst Seminare für die Polizei gegeben über Migranten, etwa an der Polizeischule. Wenn Sie gehört hätten, welche Fragen dort kamen ... Ich konnte zwei Tage nicht schlafen. Eine Frage war: „Schlagen Sie auch Ihre Frau?“ Eine andere: „Was machen Sie, wenn Ihre Tochter mit einem Deutschen zusammen ist?“ Rassismus spielt auch eine Rolle bei Durchsuchungen und beim Racial Profiling.

Aber sind die Bedingungen in kommunalen Verwaltungen nicht ganz andere?

Es ist doch so: In der Verwaltung arbeiten Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen und Vorstellungen mitbringen in den Arbeitsalltag. Aber Verwaltungen müssen neutral handeln und alle Menschen als Bürger gleich behandeln.

Manchmal sind es scheinbar kleine Dinge, die auf Betroffene eine große Wirkung haben. Ich erinnere mich an ein Beispiel: Ein Mitarbeiter der Stadt wurde im Umkleideraum jedes Mal von den Kollegen als „Schläfer“ bezeichnet, also als Terrorist. Das war als vermeintlicher Spaß gemeint. Aber der Mitarbeiter konnte damit auf Dauer nicht umgehen. Der Mann war wirklich fertig.

Was können Kommunen unternehmen?

Man muss das Thema offen in Verwaltungen diskutieren. Gerade in Kommunen ist es wichtig, dass man Fortbildungen implementiert. Das versuchen wir gerade gemeinsam mit der Ausländerbehörde als Präventivmaßnahme für deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu etablieren. Bezogen auf das  Jobcenter wurden uns Probleme geschildert. Als wir die Leitung darauf angesprochen haben, hat diese zum Glück gut reagiert und sich auf das Thema eingelassen. Auch hier haben wir Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten.

Kommunen sollten das Problem sichtbar machen und Ansprechpartner benennen. Zum Beispiel können Kommunen Beschwerdestellen einrichten, vor allem für große Ämter wie die Ausländerbehörde. Wenn jemand ungerecht behandelt wird, muss das Konsequenzen haben. Und langfristig muss man das Thema zentral platzieren – das versuchen wir auch hier in Bielefeld.

Es ist auch wichtig für die Mitarbeiter selbst, wenn es verwaltungsintern Vorfälle gibt, dass es in den einzelnen Verwaltungsbereichen Ansprechpartner gibt und man zeitnah darüber sprechen kann. Auch zur Förderung der Personalpolitik, denn auch der Nachwuchs ist multiethnisch zusammengesetzt.

Nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz muss in den Verwaltungen ja ohnehin jemand für Beschwerden zuständig sein. Diese Person sollte geschult sein, um zu erkennen: Handelt es sich um Rassismus oder nicht? Die natürliche Reaktion auf Beschwerden ist oft: Da haben Sie etwas missverstanden.

Sie tauschen sich mit anderen Antidiskriminierungsstellen in Deutschland aus und sind schon lange dabei. Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert?

Viel. Zahlreiche Städte haben jetzt eine Antidiskriminierungsstelle. Es gibt mittlerweile ein breites Netzwerk und auch ein europäische Städtebündnis gegen Rassismus. Man spricht mittlerweile mehr über das Thema. Und nachdem das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 2006 verabschiedet wurde, sind die Kommunen mit dem Thema auch stärker konfrontiert.

Es ist aber auch noch viel zu bewältigen. Wir stehen am Anfang des Prozesses. Und die Qualität des Rassismus hat sich verändert – er nimmt immer öfter gewalttätige Formen an. Manches wird heute offener und aggressiver ausgesprochen als früher. Nachdem ab 2014 viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, hat sich das gesellschaftliche Klima geändert.

Den ersten Teil des Interviews lesen Sie hier: Wie die Stadt Bielefeld sich gegen Rassismus stellt.