Verkehrswende auf dem Land

Elektrische „Dorfautos“ rollen im Hunsrück

Karin Billanitsch10. August 2021
Klimaschutzmanager Frank-Michael Uhle und Regionalreferent Bernd Kunz von der Energieagentur Rheinland-Pfalz unterwegs mit einem „Dorfauto“ im Rhein-Hunsrück-Kreis. Das modellhafte Projekt, Carsharing und Elektromobilität im ländlichen Raum zu etablieren, hat bereits Nachahmer gefunden.
Das Dorfauto-Modellprojekt für Elektro-Carsharing im Rhein-Hunsrück-Kreis macht Schule: Es weist eine gute Halbzeitbilanz auf und wird in angrenzenden Regionen übernommen.

Alle reden von der Mobilitätswende – aber auf dem Land ist es nicht leicht, Menschen von den Alternativen zum eigenen Auto zu überzeugen. Viele Berufspendler sind auf ihr Fahrzeug angewiesen und die Strecken oft zu weit, um sie mit dem Fahrrad bewältigen zu können. An dieser Stelle kommt das E-Auto ins Spiel. Zum Beispiel im Rhein-Hunsrück-Kreis wird die Praxistauglichkeit der Elektromobilität in ländlichen Räumen erprobt. „Die Elektromobilität gehört aufs Land!“, ist Kreisklimaschutzmanager Frank-Michael Uhle überzeugt.

Mehr als 600 Nutzer

Dort startet im Dezember 2019 das Projekt „Dorfauto“. Acht Elektroautos vom Typ Renault Kangoo maxi Z.E. sind im Kreis „unterwegs in die Zukunft“, weithin sichtbar kenntlich gemacht als Dorfauto und dabei mit diesem Slogan werbend. Das besondere ist die Kombination von Elektromobilität und Carsharing-Konzept: Mehr als 600 Rhein-Hunsrücker sind sich seit dem Projektstart vor anderthalb Jahren als Nutzer registrieren lassen.

Jedes dieser Fahrzeuge kann von den Bürgerinnen und Bürgern des jeweiligen Standort-Dorfes kostenfrei genutzt werden. Registrierung und Nutzungsvertrag sind Voraussetzung, dann wird ein kleiner Chip auf den Führerschein geklebt, mit dem sich das Auto öffnen lässt. Vorher muss gebucht werden, über eine eigene Software im Internet, erklären die Energieagentur Rheinland-Pfalz das Konzept.

Elektromobilität „erfahrbar machen“

Vom Projekt hatten sich Landrat Dr. Marlon Bröhr und Uhle vor allem zwei Dinge versprochen: erstens die Praxistauglichkeit der Elektromobilität individuell überprüf- und wortwörtlich „erfahrbar“ zu machen und zweitens Carsharing im ländlichen Raum vorzuführen. Jetzt, zur Halbzeit der dreijährigen Projektlaufzeit, zeigt sich, dass die Erwartungen erreicht worden sind: „Beide Zielvorgaben galten für die ersten Standorte bereits nach wenigen Monaten als erreicht, so groß war der Zuspruch“, heißt es aus dem Regionalbüro der Energieagentur, das das Projekt von Anfang an unterstützt hat und bis heute intensiv betreut. Hintergrund: Das Projekt ist so angelegt, dass die Fahrzeuge zu verschiedenen Standorten umziehen, damit mehr Dorfbewohner das Konzept kennenlernen können.

„Ich bin sehr glücklich darüber, dass sich unser Dorfauto-Konzept innerhalb der Bürgerschaft so großer Beliebtheit erfreut“, erklärt Landrat Bröhr.

Jedes Auto jeden Tag gebucht

Statistisch ist jeder Wagen mehr als einmal täglich gebucht; durchschnittlich rund 35.000 Kilometer ist jedes Dorfauto emissionsfrei gelaufen – weit mehr als das Doppelte dessen, was Car-Sharing-Betreiber üblicherweise erwarten.

Nachdem der Rhein-Hunsrück-Kreis dafür einen monatlichen Zuschuss von 250 Euro ausgelobt hat für Gemeinden, die in Eigenregie ein Dorfauto unterhalten wollen, zeichnet sich nun eine Reihe von Folgeprojekten konkret ab. Bröhr erwartet, „dass wir zeitnah einige Gemeinden gewinnen können, die die Idee auf eigene Rechnung nachahmen.“

Bis zu 20 Dorfautos – auf Dauer

Nach einer gemeinsamen Informationsveranstaltung von Kreis und Energieagentur liegen nach Angaben des Kreises und der Energieagentur bereits mehrere Anträge vor. Bis zu 20 elektrisch betriebene Dorfautos will der Kreis zwei Jahre lang fördern.

Das verstetigte Angebot dürfte dann allerdings in der Regel nicht mehr kostenlos sein, heißt es. Jede Gemeinde könne selbst definieren, ob und wie sie Kosten auf die Nutzer umlegt. Die Energieagentur hat verschiedene Modellrechnungen hat vorgelegt.

Nachahmer finden sich auch außerhalb des Rhein-Hunsrück-Kreises. Die Dörfer Staudt im Westerwald sowie Illerich in der Eifel haben je ein Elektro-Dorfauto angeschafft. Der benachbarte Landkreis Mayen-Koblenz hat gar das Modell aus dem Hunsrück komplett übernommen und stellt demnächst zehn Fahrzeuge für seine Gebietskörperschaften bereit. Der dortige Landrat Dr. Alexander Saftig begrüßt die positiven Reaktionen auf das niederschwellige Angebot seines Kreises: „Ich freue mich sehr, dass uns bereits zahlreiche Bewerbungen aus Kommunen des Landkreises vorliegen.“

Verkehr belastet die Klimabilanz

Der Einsatz von Elektroautos im ländlichen Raum könnte ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Verkehrswende sein. Denn überall dort, wo ein erheblicher Teil der Bevölkerung als Pendler ihr Brot verdient, gilt der Verkehrssektor als „Sorgenkind“ in der Klimabilanz. Bernd Kunz, Regionalreferent der Energieagentur vor Ort hat Zahlen für den Rhein-Hunsrück-Kreis parat: Seit 1990 hat sich die Zahl der hier zugelassenen Kfz um 22 Prozent erhöht – und weil zugleich die Fahrleistung pro Auto zugenommen hat, ist der dadurch verursachte Ausstoß an Triebhausgasen um 88 Prozent angestiegen. Und Zweitwagen stehen  ohnehin im Durchschnitt 23 Stunden am Tag in der Garage oder auf dem Hof.

Für eine nachhaltige Verkehrswende wird neben der Abkehr vom Verbrennungsmotor auch ein anderes Verhältnis zum Auto-Besitzen notwendig sein, sind die Experten von der Energieagentur überzeugt.

Die Kosten

Leasing- und Software-Gebühren pro Jahr und
Fahrzeug ca. 7.500 bis 8.000 Euro, Vollkasko-
Versicherung mit 500 Euro Selbstbeteiligung eingeschlossen.

Der Kreis übernimmt 120.000 Euro für sieben  
Fahrzeuge und die ersten beiden Projektjahre
(Fahrzeug acht stellt auf eigene Kosten die
ehemalige Verbandsgemeinde Simmern), das
dritte Jahr bezahlen die vier Verbandsgemeinden
und die Stadt Boppard.

Weitere 120.000 Euro stellt der Kreis als Anschub-
finanzierung bis zu 20 Ortsgemeinden zur Verfügung,
die auf „eigene Kappe“ ein Dorfauto anbieten wollen.
Evtl. anfallende Installationskosten für Ladepunkte
tragen die Standort-Gemeinden.

Quelle: Energieagentur-Rheinland-Pfalz

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