Corona-Pandemie

Abschied vom Inzidenzwert: Mit neuen Indikatoren gegen Corona

Christian Rath31. August 2021
Versorgung eines Patienten mit der Covid-19-Erkrankung auf der Intensivstation. Die Belegung von Intensivbetten könnte künftig ein Indikator für Schutzmaßnahmen gegen den Virus sein.
Bislang ist die Zahl der Infizierten Leitindikator für Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise. Sachverständige wollen den gewohnten Inzidenzwert der Neuinfektionen aber nicht ganz verabschieden.

Die Zahl der Covid-Neuinfektionen soll nicht mehr zentraler Maßstab für staatliche Shutdown-Maßnahmen sein. Diesen Plan der Koalition unterstützten alle Sachverständigen bei einer Anhörung im Bundestag. Die Zahl der Infizierten solle aber weiter eine wichtige Rolle als Frühwarn-Indikator spielen.

Debatte um neuen Maßstab

Im Juni 2020 hatte sich die 7-Tage-Inzidenz als zentraler Maßstab für staatliche Maßnahmen durchgesetzt. Gemeint ist die Angabe wieviele Menschen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen neu erkrankt sind. Seit November 2020 steht die 7-Tage-Inzidenz sogar im Infektionsschutzgesetz. Ab einem Wert von 35 sind die Bundesländer zu "breit angelegten Schutzmaßnahmen" verpflichtet.

Inzwischen sind aber mehr als 60 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft. CDU/CSU und SPD haben sich daher geeinigt, die Infektions-Inzidenz als Leit-Indikator abzulösen. Sie sei nicht mehr geeignet, schwere Verläufe der Krankheit vorherzusagen.

Indikator Hospitalisierungs-Inzidenz?

In einem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen von Montag-Nachmittag heißt es nun, "wesentlicher Maßstab" für Schutzmaßnahmen solle die Hospitalisierungs-Inzidenz werden. Gemeint ist die Zahl der pro 100.000 Einwohner während der letzten sieben Tage ins Krankenhaus aufgenommenen Covid-Patienten. Immerhin sollen drei andere Werte noch als "weitere Indikatoren" gelten: Die bisherige 7-Tages-Inzidenz der Neuinfektionen, die verfügbaren Intensivbetten und die Zahl der Geimpften. Wie die Indikatoren zueinander gewichtet werden, sollen die Landesregierungen entscheiden. Sie sollen auch die konkreten Schwellenwerte festlegen und anordnen, welche Maßnahmen nach einem Überschreiten dieser Schwellenwerte folgen müssen.

Die Koalition hat es eilig. Schon an diesem Dienstagmorgen gab es zu ihrem Vorschlag eine Anhörung im Gesundheitsauschuss des Bundestags. Dabei zeigte sich, dass die Infektions-Inzidenz immer noch Anhänger hat. „Bei Personen über 35 Jahren erlaubt sie eine relativ verlässliche Vorhersage, wieviele Covid-Patienten elf Tage später in den Intensivbetten liegen“, erklärte Gernot Marx von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI).

Plädoyer für Mix aus drei Indikatoren

Mehrere Sachverständige plädierten für einen Mix aus drei Indikatoren: Infektions-Inzidenz, Hospitalisierungs-Inzidenz und Belegung der Intensivbetten. Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft sprach von einem "Dreiklang". Um Entwicklungen gut einschätzen zu können, sollten die Daten auch möglichst differenziert nach Altersgruppen und Impfstatus erhoben werden.

Der Münsteraner Rechtsprofessor Hinnerk Wißmann kritisierte, dass wieder nur die Exekutive entscheide und sprach von einer erneuten "Entparlamentarisierung". Die Juristin Andrea Kießling von der Uni Bochum warnte, dass der vage Koalitions-Vorschlag den Gerichten kaum Anhaltspunkte zur Kontrolle der Verhältnismäßigkeit gebe.

Die Koalition will die Änderung des Infektionsschutzgesetzes am kommenden Dienstag beschließen  – bei der letzten Bundestags-Sitzung vor der Wahl.