Aufnahme in Kommunen

Bundestag diskutiert über „sichere Häfen“ für Geflüchtete

Carl-Friedrich Höck06. November 2019
Rettungsring: Zahlreiche Kommunen sind bereit, eigenverantwortlich Menschen aufzunehmen, die auf dem Weg nach Europa aus Seenot gerettet wurden.
Sollen Kommunen in eigener Verantwortung zusätzliche Geflüchtete aufnehmen können? Darüber wird im Bundestag gestritten. Es wäre ein Zeichen für die Seenotrettung.

Die „Potsdamer Erklärung“ bekommt immer mehr Zulauf. Acht Städte haben sie als Erstunterzeichner am 3. Juni unterschrieben, am 14. Juni wurde das Bündnis offiziell gegründet mit 12 Städten. Mittlerweile sind es 27 Unterzeichner. Darin erklären die Kommunen ihre Bereitschaft, „aus Seenot gerettete Schutzsuchende zusätzlich aufzunehmen“ und appellieren an die Bundesregierung, die Kommunen „bei der praktischen Aufnahme, der Unterbringung und der Finanzierung zu unterstützen.“

Dass viele Kommunen dazu bereit sind, zeigt auch das im Sommer 2018 gegründete Bündnis „Sichere Häfen“. Schon 130 Städte, Gemeinden und Kreise haben sich angeschlossen – und damit erklärt, dass sie aus Seenot gerettete Menschen aufnehmen wollen. Mit dem Bündnis reagierten die Kommunen auf die Nachrichten vom Rettungsschiff „Lifeline“: Mit 234 Menschen an Bord durfte es im Juni 2018 tagelang nicht an europäischen Häfen anlegen.

Parteiübergreifende Initiative

Laut Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert, der die Aktivitäten koordiniert, repräsentieren die beteiligten Kommunen 23 Millionen Bürger. Das Bündnis gehe „quer durch die politische Farbenlehre“.

Doch in der Praxis ist die Aufnahme von zusätzlichen Geflüchteten – die also nicht nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt werden – mit zahlreichen Hindernissen verbunden. Deshalb hat Potsdam bisher auch nur drei aus Seenot Gerettete aufgenommen. Eine Hürde ist das Geld: Ohne zusätzliche Mittel können die Kommunen die Unterbringung und Versorgung nicht stemmen. Daher fordert die Potsdamer Erklärung nicht nur, dass die aus Seenot geretteten nach einem „zu vereinbarendem zusätzlichen Schlüssel“ verteilt werden, sondern der Bundesinnenminister sie auch rechtlich und finanziell mit anderen Asylsuchenden gleichstellt.

Anträge von Linken und Grünen

In eine ähnliche Richtung gehen Anträge von den Grünen und den Linken, die derzeit im Bundestag beraten werden. Am Montag fand hierzu eine Expertenanhörung im Innenausschuss statt. Der Antrag der Linken fordert, aufnahmebereite Kommunen finanziell und strukturell zu unterstützen. Auf EU-Ebene soll die Regierung sich für einen „Asyl-Solidaritäts-Fonds“ einsetzen, aus dem die aufnehmenden Kommunen Fördermittel für ihre Infrastruktur abrufen können. Eine ähnliche Forderung hat auch die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Gesine Schwan schon erhoben. Als Gast im Ausschuss unterstützte sie das Vorhaben: Das Dublin-Abkommen sei gescheitert, die ungelösten Flüchtlingsfragen müssten gelöst werden, ansonsten gewönnen die Rechten in Europa weiter an Popularität.

Die Grünen fordern ebenfalls einen kommunalen Integrationsfonds auf EU-Ebene und wollen erreichen, dass „die Länder nicht mehr das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums einholen müssen, um humanitäre Aufnahmeprogramme auf den Weg zu bringen.“ Ohne dieses Einvernehmen dürfen Landesbehörden Ausländern keine Aufenthaltserlaubnis erteilen (Artikel 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes).

Dafür müsste nach Ansicht mancher Rechtsexperten das Grundgesetz geändert werden, weil die Regelung Kompetenzen vom Bund auf die Länder übertragen würde. Von einer kommunalen „Neben-Außenpolitik“ war im Innenausschuss gar die Rede.

Geteiltes Echo aus den Kommunen

Klaus Ritgen, Referent beim Deutschen Landkreistag, lehnte die Anträge von Linken und Grünen weitgehend ab. Er befürchtet zum einen „Rosinenpickerei“, dass also Kommunen nur Familien mit Kindern oder nur Frauen aufnehmen wollen. Zum anderen dürfe man „Flüchtlinge nicht privilegieren, weil sie sich für einen besonders riskanten Weg entschieden haben“. Die Idee eines EU-Integrationsfonds müsse noch näher geprüft werden.

Indirekt machte Ritgen aber auch deutlich, dass die Landkreise bei dem Thema zwiegespalten sind. Einige Kreise beteiligen sich selbst am Bündnis sichere Häfen. Ritgen kommentierte dies mit dem kryptischen Satz, es sei „ein starkes humanitäres Signal, das auch wir akzeptieren.“

Rettung als „humanitäre Pflicht”

Uda Bastians, Rechtsdezernentin beim Deutschen Städtetag, sagte: Rettung aus Seenot sei „für alle Städte eine humanitäre Pflicht.“ Die damit verbundenen Fragen – wie die Verteilung der Geretteten auf die Länder – könnten nur auf EU-Ebene nachhaltig beantwortet werden. Die Dublin-Verordnung müsse reformiert werden. Bis dahin aber seien „temporäre Notfallmechanismen sicherlich notwendig”. Viele Städte hätten eine Selbstverpflichtung zur Aufnahme von Geflüchteten getroffen, solche Entscheidungen könnten auch nur dort getroffen werden. Andere Städte hätten sich bewusst dagegen entschieden. Innerhalb des Städtetages gebe es also verschiedene Positionen.

Für Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert sind humanitäre Hilfsmaßnahmen eine Frage der Werte. „Erst die Rettung, dann das rechtsstaatliche Verfahren.“ Um das Aufenthaltsgesetz zu ändern, wünsche er sich „jenseits von politischem Theaterdonner einen fraktionsübergreifenden Antrag“.

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