Energiewende und Naturschutz

Wie das EEG Stadtbäume in Gefahr bringt

Susanne Dohrn 22. Dezember 2022
Gefällte Bäume: Der Erhalt von Stadtbäumen könnte in Zukunft schwieriger werden, wenn sie Solaranlagen im Weg stehen.
Strom ist teuer. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach kann helfen, Geld zu sparen. Wäre da nicht ein Stadtbaum, der zu viel Schatten wirft. Ab Januar 2023 könnten die Bäume das Nachsehen haben.

Es sind Formulierungen wie „überragendes öffentliches Interesse“, „vorrangiger Belang“ und „öffentliche Sicherheit“, die Verwaltungen und Kommunalpolitiker in Deutschland alarmieren. Die Formulierungen stammen aus der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG 2023, und gelten ab dem 1. Januar kommenden Jahres. Hinzu kommen ehrgeizige Ziele. Pro Jahr soll der Ausbau der Solarenergie auf 22 Gigawatt pro Jahr gesteigert werden, die hälftig auf Dach- und Freiflächen verteilt werden sollen. Kommunen erleben deutschlandweit gerade, was das für Stadtbäume bedeuten könnte. Sie sollen gefällt oder ihre Kronen stark ausgelichtet werden, weil sie eine potentielle Solaranlage auf dem Dach verschatten, so die Antragsteller.

Bisher: Vorrang für Stadtbäume

Anträge dieser Art gab es auch bisher. Meist haben Kommunen sie abgelehnt. Gingen die Antragsteller dagegen vor Gericht, entschieden die Richter in den allermeisten Fällen gegen eine Baumfällung oder Kronenkappung, wie im auf Baumpflege und Baumschutz spezialisierten Onlinemagazin arboristik.de nachzulesen ist. Der Tenor: Die Erzeugung elektrischer Energie von Privatpersonen liege zwar im öffentlichen Interesse, aber Naturschutz, der Erhalt eines Baumbestandes sowie eines Stadt- und Landschaftsbildes habe Vorrang.

Das Verwaltungsgericht Regensburg entschied beispielsweise am 19.02.2008 „Die dezentrale Gewinnung elektrischer Energie durch Solaranlagen auf Hausdächern ist umweltfreundlich und wird staatlich gefördert. Das bedeutet aber nicht, dass sie überall den Vorrang vor anderen öffentlichen Interessen, z.B. denen des Naturschutzes, haben muss.“ Die Fällung wurde untersagt. Die Klägerin hatte die Kosten zu tragen.

In Zukunft: Komplett veränderte Rechtslage

Mit den Formulierungen im EEG 2023 und den Ausbauzielen der Bundesregierung könnte sich diese Rechtslage komplett verändern. Deshalb hat das „Bündnis Kommunen für biologische Vielfalt“, dem inzwischen fast 350 Kommunen angehören, zu einer Online-Informationsveranstaltung zum Thema „Austausch zur Verschattung von Solaranlagen durch geschützte Bäume“ eingeladen. Knapp hundert Kommunen nahmen daran teil.

Die Sorge um das Schicksal der Stadtbäume bestimmte die Diskussion. „Selbst eine Baumschutzsatzung würde nicht helfen, Bäume zu erhalten, weil das EEG als Bundesgesetz über den kommunalpolitischen Satzungen steht.“ „Hier wird Klimaschutz gegen Naturschutz ausgespielt.“ „Das wird katastrophal auch für die Festsetzung von Bebauungsplänen.“ „Gerade die großen, das Ortsbild prägenden Bäume sind gefährdet.“ So lauteten nahezu einhellig die Befürchtungen.

Lebensqualität und Artenvielfalt

Gleichzeitig wiesen die Beteiligten darauf hin, dass ein Baum nicht auf seine Fähigkeit reduziert werden dürfe, CO2 zu speichern. Bäume produzieren Sauerstoff zum Atmen. Sie spenden Schatten. Sie filtern Staub und Schadstoffe aus der Luft. Sie regulieren den Wasserhaushalt. Sie prägen das Stadt- und Landschaftsbild. Sie sichern Insekten, Fledermäusen und Vögeln das Überleben. „Wir brauchen die Bäume für den Erhalt der Lebensqualität in unseren Städten, denn wir können den Klimawandel nicht aufhalten.“ So brachte es einer der Teilnehmenden auf den Punkt. Ob und wie stark diese Argumente in Zukunft noch zählen, wenn es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt, wird sich zeigen.

Der Tenor der Teilnehmenden war: Wir lassen es darauf ankommen. Wir weigern uns Straßenbäume für eine Solaranlage zu fällen. In einigen Kommunen, zum Beispiel in der Stadt Köln oder in Erlangen, laufen schon Klagen. Ihr Ausgang könnte wegweisend für andere Kommunen sein. Ob Städte und Gemeinden diesen – teuren – Weg gehen wollen, hängt auch davon ob, ob die politischen Entscheidungsgremien dahinterstehen. Im Moment geht es darum, Zeit zu gewinnen. Baumfällungen sind nur von Oktober bis einschließlich Februar erlaubt. So steht es im Bundesnaturschutzgesetz. Die Hoffnung besteht, dass in der Zwischenzeit die Bundesregierung oder auch die Länder sich dem Schutz der Stadtbäume annehmen und die Kommunen nicht im Regen stehen lassen.

Radikaler Perspektivwechsel

Stadtbäume haben keine Lobby. Im Herbst machen sie Dreck, ihre Pollen verschmieren Autos und Fensterscheiben, sie verschatten Gärten und beschädigen Autos – z.B. mit herabfallenden Eicheln. Ihre Leistungen für die Stadtnatur und das menschliche Wohlbefinden werden darüber schnell vergessen. Gartenbesitzer mit großen Bäumen wissen zudem: Baumpflege ist teuer. Aus Eckernförde in Schleswig-Holstein kam deshalb der Vorschlag eines radikalen Perspektivwechsels. Wer große Bäume in seinem Garten erhält, leistet einen Dienst an der Gemeinschaft. Wie wäre es, wenn eine Stadt solche Gärten belohnen würde?

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