Nach der Ministerpräsidentenkonferenz

Einigung von Bund und Ländern zu Geflüchteten: Was sich jetzt ändert

Kai Doering07. November 2023
Ein kleiner Junge faehrt auf einem Roller durch die Notunterbringung der Landeshauptstadt Hannover für Geflüchtete aus der Ukraine. Archivbild aus 2022.
Die Ministerpräsident*innen der Länder haben sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf weitreichende Änderungen bei der Flüchtlings- und Migrationspolitik geeinigt. Kommunen sollen entlastet werden. Der Überblick

Wie war die Ausgangslage?

Bis Ende September haben bereits mehr als 230.000 Menschen neu einen Asylantrag in Deutschland gestellt. 2022 waren es im selben Zeitraum 135.000. Prognosen gehen davon aus, dass bis Ende des Jahres rund 330.000 Menschen einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben werden. Bund und Länder wollen deshalb die irreguläre Migration nach Deutschland reduzieren. Die Bundesregierung hat deshalb in den vergangenen Woche bereits einige Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die noch im November vom Bundestag beschlossen werden sollen. Länder und Kommunen forderten zudem mehr Geld für die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter, die Bund wollte die Mittel dagegen reduzieren.

Worauf haben sich Bund und Länder geeinigt?

Zum kommenden Jahr soll ein „atmendes System“ bei der Zahlung von Zuwendungen für die Versorgung Geflüchteter eingeführt werden. Statt wie bisher eine feste Pauschale zu zahlen, soll sich die Höhe der Gelder des Bundes künftig an der Anzahl der nach Deutschland kommenden Schutzsuchenden orientieren. Pro Asylantragsteller*in wird der Bund demnach eine jährliche Pauschale in Höhe von 7.500 Euro an die Länder zahlen.

Wie werden Kommunen zusätzlich entlastet?

Städte und Gemeinden haben vor allem Probleme bei der Unterbringung Geflüchteter. Der Bund unterstützt sie bereits, indem er ihnen Liegenschaften kostenfrei überlässt und ihnen über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) die Kosten für die Herrichtung für die Unterbringung von Geflüchteten erstattet. Nun soll auch das Baurecht so angepasst werden, dass bei der Errichtung von Geflüchteten-Unterkünften „von kostenintensiven Standards“ abgewichen werden kann, etwa bei der Energieeffizienz eines Gebäudes.

Was ändert sich für Asylbewerber*innen?

Bisher erhalten Asylbewerber*innen sowie Geduldete nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland automatisch Bürgergeld. Diese Frist soll nun auf 36 Monate verlängert werden. Die Betroffenen erhalten damit künftig drei Jahre lang die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das hat zwei Gründe: Zum einen versprechen sich Bund und Länder davon weniger Anreize für Asylbewerber*innen, aus anderen EU-Staaten nach Deutschland zu kommen. Zum anderen sollen Länder und Kommunen so um einen „mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ pro Jahr zusätzlich entlastet werden.

Was hat es mit der „Bezahlkarte“ auf sich?

Die war schon länger eine Forderung der Länder. Nun soll sie im kommenden Jahr eingeführt werden. Die Grundidee ist, dass Geflüchtete möglichst keine Leistungen als Bargeld ausbezahlt bekommen, um so zu unterbinden, dass sie Geld in ihre Heimatländer schicken. Auch soll die Auszahlung über die Karte den Verwaltungsaufwand in den Kommunen deutlich reduzieren. Geflüchtete sollen künftig bundesweit mit der Karte bezahlen können. Nur wo dies nicht möglich ist, soll es in sehr begrenztem Umfang die Möglichkeit geben, Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz auch in bar an sie auszuzahlen. Beim Treffen im Kanzleramt wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis zum 31. Januar 2024 ein Modell zur Einführung einer Bezahlkarte erarbeitet.

Wie sind die Reaktionen?

Bundeskanzler Olaf Scholz war nach dem Treffen zufrieden und sprach von einem „historischen Moment“. Es sei angesichts der hohen Zahlen im Hinblick auf Flucht und Migration wichtig, dass alle staatlichen Ebenen eng zusammenarbeiten. Scholz lobte auch das „atmende System“ bei der Unterstützung für Länder und Kommunen. „So ist die Frage der Finanzierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zukunftsfest geregelt“, so Scholz. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil lobte das Ergebnis. „Es ist gelungen, unter diesen schwierigen Bedingungen für die Kommunen noch einmal einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag miteinander zu vereinbaren.“

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, lobte den Einstieg in das „atmende System“, zeigte sich aber skeptisch, dass die veranschlagten 7.500 Euro pro Person ausreichen. „wenn die Unterstützung des Bundes für die Kommunen unterm Strich nicht reicht, sind die Länder in der Pflicht“, so der Kommunalpolitiker. Auch der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, fand kritische Worte: „Wir fühlen uns von den Ländern insoweit im Stich gelassen, als sie ihre eigenen Interessen durchgebracht haben, wohingegen die zentrale kommunale Forderung nach vollständiger Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge durch den Bund nicht beschlossen wurde. Dabei geht es 2023 um drei Milliarden Euro.“

Die Integrationsbeauftragte des Bundes Reem Alabali-Radovan kommentierte auf der Plattform X (früher bekannt als Twitter): „Es ist gut, dass es eine gemeinsame Entscheidung von Bund und Ländern zur Finanzierung der Flüchtlingskosten gibt. Das atmende System mit einer Pauschale sorgt dafür, dass Länder und Kommunen auf Dauer Planungssicherheit haben.“ Besonders wichtig ist für sie die Vereinbarung einer Basisfinanzierung von einer Milliarde Euro.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kritisierte dagegen die Ausweitung der Frist für den Bezug des Bürgergelds als „inhuman und unvernünftig“. Die Zahl der Geflüchteten wird dadurch nicht abnehmen, wohl aber werden sich die sozialen Probleme verschärfen“, warnte Schneider. (mit KBI)

Dieser Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.

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