Corona und Digitalisierung

Ersatzkassen wollen Krankenhaus-System reformieren

Carl-Friedrich Höck29. Januar 2021
Schild vor einem Krankenhaus in Niesky
Sind die Kliniken wegen Corona in Existenznot? Die gesetzlichen Krankenkassen bestreiten das und fordern eine Reform der Krankenhaus-Landschaft nach dem Motto „Weniger ist mehr“. Der Klinikverband DKG meint, das System habe sich bewährt.

Die deutschen Kliniken sehen sich im zweiten Corona-Jahr in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. „Wir benötigen kurzfristige Finanzhilfen als Liquiditätssicherung“, sagte Georg Baum, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), vor wenigen Tagen. Die Kliniken benötigten wirtschaftliche Absicherung für das gesamte zweite Jahr der Pandemie und nachhaltige Reformen.

„Anders als in der ersten Welle bleibt die Finanzierung der Krankenhäuser aktuell lückenhaft“, kritisiert Baum. Gründe für die Erlösausfälle seien unter anderem die notwendige Verschiebung planbarer OPs, zusätzliche Hygienemaßnahmen, Personalausfälle und Mehrkosten durch die Behandlung von Corona-Erkrankten. Bis Ende 2020 hätten die Krankenhäuser auf einen Gesamtjahresausgleich von Erlösen und Kosten vertrauen können, doch dieses Instrument sei nun ausgelaufen.

Ersatzkassen mit Finanzierungslücke von 16 Milliarden

Auch die Ersatzkassen vermelden eine angespannte Finanzlage. Nur durch einen einmaligen Steuerzuschuss, den Abbau von Rücklagen in Höhe von acht Milliarden Euro und eine moderate Erhöhung der Zusatzbeiträge von 0,2 bis 0,5 Prozentpunkten sei es gelungen, die Finanzierungslücke von 16 Milliarden Euro bis Ende des Jahres zu schließen. Das teilte der Ersatzkassen-Verband VDEK am Mittwoch mit. Wenn nichts geschehe, müssten die Zusatzbeiträge für 2022 nahezu verdoppelt werden auf dann rund 2,5 Prozentpunkte.

Für die Hilferufe der Kliniken hat die VDEK-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner wenig Verständnis. Die Corona-Pandemie sei eben nicht zu einer Existenzfrage der Krankenhäuser geworden. Von der Freihaltepauschale hätten diese sogar besonders profitiert. Dem widerspricht die DKG: Insgesamt seien neun Milliarden Euro für diese Pauschalen gezahlt worden. Weil die Klinikplätze weniger belegt waren als üblich, stünden dem Erlösverluste von 8,5 Milliarden gegenüber. Hinzu kämen aber noch Verluste bei der ambulanten Behandlung und bei Wahlleistungen der Kliniken, die noch nicht abschließend kalkuliert werden könnten.

Schub für Digitalisierung

Einig sind sich beide Verbände, dass es Reformen bedarf. Die Krankenhäuser räumen ein: Die Potenziale der Digitalisierung seien bisher nicht ausgeschöpft worden. „Das Krankenhauszukunftsgesetz kann einen enormen Schub verleihen, der aber durch Investitionsmittel der Länder verstetigt werden muss“, heißt es in einer Mitteilung der DKG.

Die VDEK-Vorstandschefin Elsner stellt fest: „Die Corona-Pandemie hat zu einer deutlichen Akzeptanzsteigerung von digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen geführt“. So habe es im zweiten Quartal 2020 eine Million Videosprechstunden gegeben. Im selben Quartal 2019 seien es nur 500 gewesen. Auch digitale Präventionsangebote der Kassen hätten einen Boom erfahren. Seit Jahresbeginn stellen die Kassen ihren Versicherten zudem eine elektronische Patientenakte zur Verfügung – die Funktionalität ist aber zu Beginn noch eingeschränkt und wird bis 2023 schrittweise ausgebaut.

Ersatzkassen wollen Klinik-Zahl reduzieren

Für Konflikte dürfte eine weitere Forderung der Ersatzkassen sorgen: Sie wollen nämlich die Krankenhauslandschaft weiter umbauen. „Weniger ist mehr“, meint Elsner. Bund und Länder sollen einen Pakt schließen und sich für Konzentrations- und Spezialisierungsprozesse stark machen, fordert sie. Die Versorgung auf dem Land könne gleichzeitig sichergestellt werden, indem man digitale Möglichkeiten stärker nutze und Krankenhäuser zu einer ambulant-stationären Basisversorgung umwidme.

Bestätigt sieht sich Elsner durch Zahlen der ersten Corona-Welle: Von den 1.438 Krankenhäusern mit somatischer Fachabteilung hätten rund 72 Prozent Kassenversicherte mit Covid-19 behandelt. Aber nur in 36,5 Prozent dieser Krankenhäuser seien die Patient*innen auch intensivmedizinisch behandelt worden; beatmet wurden sie in 15,8 Prozent der Kliniken. Es habe „eine Patientenwanderung von den Schwerpunkten in die Ballungsräume“ stattgefunden, so Elsner. Leichte Fälle seien überwiegend ambulant versorgt worden.

Insgesamt werden Kassenpatient*innen in mehr als 1700 Krankenhäusern behandelt. Die Zahl sei zu hoch, meint die VDEK-Vorstandsvorsitzende. Es gebe zu viele kleine Kliniken, wo es an Erfahrung, Ausstattung und Investitionsmitteln fehle. Elsner spricht von einer „historischen Struktur“, an die man heranmüsse. Besser sei es, Personal in weniger Kliniken zu bündeln und diese dann „mit den notwendigen finanziellen Mitteln“ auszustatten.

Auf Nachfrage stellt sie klar: Ihre Kritik an der historischen Struktur richte sich nicht gegen Kommunen als Krankenhausbetreiber. „Die Trägerschaft als solche spielt da keine Rolle“. Denn auch in kommunaler Trägerschaft gebe es große und kleine Kliniken.

DKB kritisiert „kalten Strukturwandel”

Und was meinen die Kliniken selbst dazu? Der designierte Hauptgeschäftsführer Gerald Gaß meint, „dass sich das gestufte System aus Kliniken der Grund-, Schwerpunkt und Maximalversorgung bewährt hat“. Es dürfe nicht aufgegeben werden. Die Bundesländer müssten aber „durch eine aktive Krankenhausplanung die Versorgung sektorübergreifend gestalten und endlich den kalten Strukturwandel beenden“. Mit dem Begriff gemeint ist, dass die Zahl und Kapazität der Kliniken durch Wettbewerbsdruck verringert wird.

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