Angriffe gegen Rettungskräfte und Sanitäter

Wenn Helfer selbst Opfer von Gewalt werden

Karin Billanitsch05. Januar 2018
Feuerwehrkräfte, aber auch Sanitäter und andere Einsatzkräfte werden vor Ort im Einsatz angegriffen. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum hat sich mit dem Thema befasst.
Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zu Gewalt gegen Rettungskräfte kommt zum Ergebnis, dass die Mehrzahl der Befragten innerhalb eines Jahres verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt war. Nach teils besonders schweren Übergriffen in der Silvesternacht fordert die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft von der Justiz ein konsequentes Durchgreifen.

Rettungskräfte wie Feuerwehrleute oder Sanitäter wollen helfen – und werden dennoch von Menschen angegriffen, wie gerade erst die Tage um den Jahreswechsel 2017/2018 gezeigt haben. Beleidigende Gesten, Beschimpfungen und sogar tätliche Angriffe sind keine Seltenheit mehr – im Gegenteil. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum kommt zu dem Ergebnis, dass 64 Prozent von 812 Befragten innerhalb eines Jahres schon einmal Opfer von Gewalt geworden waren. 13 Prozent der Befragten gaben an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Opfer von körperlicher Gewalt im Einsatz geworden waren. Noch häufiger kommt es zu verbaler Gewalt. 60 Prozent der Befragten hatten entsprechende Erfahrungen gemacht. Der Kriminologe Professor Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik, Polizeiwissenschaft an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hatte im Laufe des Jahres 2017 mehr als 4.500 Feuerwehrleute, Sanitäter und Notärzte befragt. Dabei werde die Gewaltbereitschaft immer intensiver, sagte Feltes gegenüber dem NDR 2.

„Es ist wichtig, zwischen verbaler und körperlicher Gewalt zu unterscheiden. Viele Studien tun das nicht, und dann werden Häufigkeiten genannt, die für die Bürger erschreckend sind“, betont der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Thomas Feltes, der für die Studie verantwortlich war. Am stärksten von Gewalt betroffen sind mit rund 85 Prozent die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rettungseinsatz.

Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft verurteilt Übergriffe

Die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) verurteilte die deutschlandweiten Übergriffe: „Solch ein Verhalten ist absolut nicht zu tolerieren, wir erwarten von der Justiz, diese gewalttätigen Personen mit der vollen Härte unserer Gesetze zu bestrafen“, hieß es in einer Mitteilung nach Neujahr. Zu besonders schweren Übergriffen sei es in Berlin und Leipzig gekommen. Dort konnte die Feuerwehr aus Sicherheitsgründen Brände nicht löschen, musste auf Wasserwerfer der Polizei zurückgreifen. „Unsere Rettungskräfte sind da um Menschen zu helfen, sie bei Ausübung ihres Jobs zu behindern, oder gar zu bedrohen muss konsequent durch die Justiz verfolgt werden“, forderte die Gewerkschaft.

Der Gesetzgeber hat zwar bereits die Strafen für Angriffe dieser Art verschärft. Das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften" droht bei tätlichen Angriffen mit bis zu fünf Jahren Haft.  Begründet wurde die Gesetzesinitiative mit der wachsenden Zahl von Angriffen. Die Deutsche Feuerwehrgewerkschaft erwartet allerdings nun von der Politik „nicht mehr nur Lippenbekenntnisse, sondern endlich Taten“. Nicht ein höherer Strafenkatalog müsse hier das Ziel sein, sondern „die geradlinige Strafverfolgung durch unsere Gerichte. Es schreckt keinen Straftäter ab, wenn sein Verhalten von überlasteten Gerichten anschließend als Bagatellfall abgehandelt wird.“ Solche Ergebnisse würden von den Rettungskräften immer wieder mit Unverständnis zur Kenntnis genommen und führen zu einer enormen Dunkelziffer, da viele Kolleginnen und Kollegen respektlose Handlungen im Einsatz, aus Resignation, gar nicht mehr meldeten, mahnt die Gewerkschaft.

Ziebs: „Keine Toleranz“

Vor dem Hintergrund, dass viele Wehren zu wenig Nachwuchskräfte finden, ist es besonders wichtig, Gewalt gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte zu verhindern. „Gegen Übergriffe auf Feuerwehrleute, die ihr Leben und ihre Gesundheit für das Allgemeinwohl einsetzen, dürfe es keine Toleranz geben – dies verbieten allein der Respekt und die Wertschätzung gegenüber den Einsatzkräften“, bekräftigte der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Hartmut Ziebs im vergangenen Jahr öffentlich.

Für die Kommunen sind die Feuerwehren wichtig für den Brand- und Katastrophenschutz: „Ohne unsere Feuerwehren vor Ort können wir weder den Brandschutz noch die notwendigen Unterstützungen bei Natur- oder sonstigen Katastrophen sicherstellen“, erklärten Ziebs und Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund bei einem gemeinsamen Treffen im Frühjahr 2017 in Berlin und bekräftigten: „Kommunen und Feuerwehren sind starke Partner, wenn es um die Sicherheit der Menschen vor Ort geht.“

Nachwuchskräfte  gesucht

Hintergrund: Deutschland mit seinem laut DFV „international hoch angesehenen System des Brand- und Katastrophenschutzes“ hat 23.000 Freiwillige Feuerwehren mit einer Million Mitgliedern und rund 100 Berufsfeuerwehren mit rund 30.000 Feuerwehrleuten. Die Berufsfeuerwehren können allein den Brandschutz nicht sicherstellen, deshalb spielen die Freiwilligen Feuerwehren in den Städten und Gemeinden spielen „eine herausragende Rolle“, wie der DFV betont Doch gerade die diese Freiwilligen Feuerwehren stehen vor enormen Herausforderungen, weil sich immer weniger Menschen engagieren wollen.

Die Studie der Ruhr-Universität Bochum, die sich auf Nordrhein-Westfalen bezieht, stellte fest, dass es in den Großstädten mehr als doppelt so häufig zu körperlicher Gewalt kommt als in kleinen Gemeinden. Als Ursache nannte Professor Feltes Medienberichten zufolge einen allgemeinen Respektverlust gegenüber Mitmenschen. Die Täter seien in der Mehrzahl männlich und jung, Opfer tätlicher Gewalt berichteten in etwa 40 Prozent der Fälle von Tätern mit Migrationshintergrund. Mehr als die Hälfte der Vorfälle ereigneten laut Studie sich in den Abend- und Nachtstunden – ein Hinweis darauf, dass Alkohol und Drogen oft eine Rolle spielen, glauben die Autoren. In 55 Prozent der Fälle körperlicher Gewalt berichteten die Befragten von erkannter Alkoholintoxikation. Die Autoren der Studie betonen in einer Mitteilung, dass dies wahrscheinlich auf deutlich mehr Fälle zutrifft, aber nicht immer erkannt wird. So schätzen Autoren anderer Studien, dass bis zu 95 Prozent der Täter unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen.

Feltes: Einsatzkräfte besser vorbereiten

Gewalttätige Übergriffe sind demnach selten vorhersehbar: 80 Prozent der körperlichen Übergriffe kamen ohne Vorwarnung und plötzlich, heißt es in der Studie. Feltes betont, dass die Einsatzkräfte daher noch stärker als bisher auf diese Situationen vorbereitet werden müssten. Zudem sollte die Einsatzleitstelle in die Lage versetzt werden, möglichst viele Informationen zu den Bedingungen des Einsatzes zusammenzustellen. „Auch eine intensive Kooperation mit der Polizei kann weiterhelfen“, so Feltes.