Handreichung zum Bikesharing

Wie Kommunen den Leihfahrrad-Boom steuern können

Carl-Friedrich Höck02. Juli 2018
Leihfahrräder von verschiedenen Bikesharing-Anbietern
Leihfahrräder von verschiedenen Bikesharing-Anbietern auf dem Potsdamer Platz in Berlin
Leihfahrräder sie sind ein wichtiger Teil der Verkehrswende. Doch Kritiker stören sich daran, dass die stationslosen Angebote die Innenstädte mit ihren Drahteseln geradezu überschwemmen. Was Kommunen tun können, steht in einer Handreichung, die im Internet veröffentlicht wurde.

Die rasante Entwicklung hat die deutschen Kommunen geradezu überrollt. Noch vor zwei Jahren waren Fahrradverleihsysteme in der Regel stationsbasierte Angebote. Sie galten als vielversprechender Baustein für die abgasfreie Mobilität der Zukunft, doch sie waren teuer und wurden wenig genutzt.  Das änderte sich im Jahr 2017. Seitdem erleben stationsunabhängige Bikesharing-Systeme einen regelrechten Boom.

Leihfahrrad-Welle aus Asien

Seinen Anfang nahm der Trend in Asien, vor allem in China. Von dort aus expandierten zahlreiche Firmen nach Europa – wo sie in Konkurrenz mit hiesigen Unternehmen treten, die ebenfalls auf den Markt drängen. In vielen deutschen Städten sind die bunten Räder im Stadtbild allgegenwärtig. In Berlin buhlen mittlerweile acht verschiedene Anbieter von stationsunabhängigem Bikesharing um die Gunst der Kunden.

Nicht jeder betrachtet diese neue Fahrrad-Flut als Segen. Manche Experten stellen die Verkehrssicherheit der teils billigen Drahtesel infrage. Auch ist nicht immer transparent nachvollziehbar, wie die Unternehmen mit den Kundendaten umgehen. Ein weiterer Kritikpunkt: Während in manchen Innenstädten ein Überangebot besteht, bleiben potenzielle Nutzer am Stadtrand oder in eher ländlichen Gebieten außen vor.

Bikesharing – auch ein Thema für Kommunen

Eine Herausforderung ist der Boom auch für die Städte und Gemeinden. Die öffentlichen Fahrradabstellplätze sind zunehmend zugestellt, sodass andere Radnutzer weniger Platz finden. Die vielen Drahtesel auf Bürgersteigen und Plätzen empfinden manche Bürger als „Vermüllung“ ihrer Innenstadt. Unterbinden können die Kommunen dies bisher nicht, weil jeder sein Fahrrad an öffentlichen Straßen abstellen darf – dies gehört zum „Gemeingebrauch“ dieser Flächen.

Manchmal werden die Räder nach der Benutzung auch achtlos mitten auf Wegen, Plätzen oder Grünflächen abgestellt und behindern Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer. Aus kommunaler Sicht ebenfalls ärgerlich: Die preiswerten Anbieter stehen oft in Konkurrenz zu stationsbasierten Systemen, die mit finanzieller Beteiligung der Kommunen mühsam etabliert worden sind.

Auf der anderen Seite bringt der Trend einige Vorteile mit sich. Bikesharing sei „eine gute Ergänzung zum ÖPNV“, meint etwa Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Es gebe jedoch Regelungsbedarf durch Bund und Länder. Und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindetages Gerd Landsberg betont: „Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem sich die Menschen gerne zu Fuß oder mit dem Rad bewegen – das steigert die Lebensqualität vor Ort und die Attraktivität von Wohnvierteln und Innenstädten und damit die der gesamten Kommune. Leihradsysteme sind dafür ein guter Baustein.“

Handreichung für Umgang mit Leihfahrrädern

Beide kommunalen Spitzenverbände haben nun gemeinsam mit dem ADFC eine Handreichung mitherausgegeben, erstellt von der Denkfabrik „Agora Verkehrswende“. Sie richtet sich an Politik und Kommunalverwaltungen. Die Autoren – die Verkehrsplaner Burkhard Horn und Alexander Jung – gehen davon aus, dass die Leihsysteme zur Verkehrswende beitragen können. Jedoch nur, „wenn die Systeme als integrierter Bestandteil eines ganzen Strategiebündels betrachtet werden, wenn ihr Nutzen und ihre Risiken gegeneinander abgewogen werden – und wenn die Kommunen ihrer Steuerungsaufgabe angemessen nachkommen können.“

Ein Weg zum Ziel könnte nach Meinung der Autoren in einem besseren Kommunikationsprozess zwischen Anbietern und Kommunen bestehen. Denn auch die Unternehmen haben erkannt, dass sie an ihrem Image arbeiten müssen, wenn ihr Geschäft auf Dauer Bestand haben soll. „So sicher es ist, dass die Anbieter mit ihren kapitalstarken Investoren weiter expandieren werden, so sicher ist es auch, dass diese bei Vernachlässigung der aktuellen Handlungsbedarfe auf absehbare Zeit mit einer Verschärfung der politischen Rahmenbedingungen rechnen müssen“, heißt es in der Handreichung. Kommunen könnten diesen Druck nutzen, um freiwillige Kooperationsvereinbarungen mit den Anbietern zu schließen. In diesen könnten beispielsweise Mindeststandards oder Regelungen zum Abstellen der Räder festgelegt werden.

Die Bikesharing-Entwicklung steuern

Weitere Vorschläge der Handreichung: Mit den Kooperationsvereinbarungen könnten Kommunen Zugriff auf Nutzungsdaten der Unternehmen erhalten. Die Datensätze lassen sich nutzen, um kommunale Mobilitätskonzepte weiterzuentwickeln. Bei größeren Stadtentwicklungsprojekten sollten die Planer potenzielle Sharing-Angebote berücksichtigen, wenn beispielsweise an der Peripherie ein neues Wohngebiet entsteht, meinen die Autoren. Dabei, so schlagen sie vor, können auch Wohnungsbaugesellschaften als „treibende Akteure“ einbezogen werden.

Diese und weitere Vorschläge führen Burkhard Horn und Alexander Jung auf insgesamt 36 Seiten aus. Dabei verstehen sie ihre Handreichung als „lebendes Dokument“, das möglicherweise schon bald wieder überarbeitet wird – schließlich ist die Entwicklung des Bikesharing-Marktes extrem dynamisch. Die Debatte soll auch auf Veranstaltungen weitergeführt werden. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich am 19. September. Dann findet in Göttingen der 3. Kommunalradkongress statt.

 

Die Handreichung ist als PDF auf der Internetseite des Deutschen Städte- und Gemeindebundes veröffentlicht:
Agora Verkehrswende (2018): Bikesharing im Wandel. Handlungsempfehlungen für deutsche Städte und Gemeinden zum Umgang mit stationslosen Systemen.