Gemeinnützigkeit

Rechtsstreit: Was bedeutet „geistige Offenheit”?

Christian Rath09. Februar 2022
Suche nach rechtlicher Klarheit: Streit um Anwendung des Gemeinützigkeitzsrechts. Kläger ist das sozikulturelle Zentrum DemoZ im schwäbischen Ludwigsburg.
Das sozikulturelle Zentrum DemoZ im schwäbischen Ludwigsburg kämpft um seine Gemeinnützigkeit. Jetzt mit einer Klage.

Das Demokratische Zentrum (DemoZ) Ludwigsburg wehrt sich gegen den Verlust seiner Gemeinnützigkeit. An diesem Mittwoch wird beim Finanzgericht Stuttgart eine so genannte Untätigkeitsklage eingereicht, die demo.de vorliegt.

Das DemoZ ist das soziokulturelle Zentrum von Ludwigsburg, einer Stadt mit knapp 100.000 Einwohner*innen nördlich von Stuttgart. Das DemoZ hat ein klar linkes Selbstverständnis und sein Programm wird von einem Kreis von rund 15 Ehrenamtlichen gestaltet. Seit seiner Gründung 1980 war es als gemeinnützig anerkannt.

Keine „geistige Offenheit”

Im November 2019 entzog jedoch das Finanzamt Ludwigsburg dem DemoZ die Steuerbegünstigung. Das Zentrum erfülle seinen Gemeinnützigkeitszweck, die politische Bildung, nicht „in geistiger Offenheit”. Untergruppen des DemoZ strebten vielmehr eine „herrschaftsfreie Gesellschaft” an. Gemeint sind hier insbesondere das „Libertäre Bündnis” (LB) und die „Freie Arbeiter-Union” (FAU).

Das Kriterium der „geistigen Offenheit" entnahm das Finanzamt einem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Januar 2019. Damals hatte der BFH als höchstes deutsches Finanzgericht den Entzug der Gemeinnützigkeit der globalisierungskritischen Organisation attac bestätigt. Wer Kampagnen für politische Ziele durchführe, betreibe keine politische Bildung, war der Kerngedanke des attac-Urteils.

Die Anwälte des DemoZ legten zwar sofort Einspruch gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit ein, doch darüber hat das Finanzamt bis heute – rund zwei Jahre später – noch nicht entschieden. Deshalb wird nun eine Untätigkeitsklage erhoben.

Das DemoZ hält seine Gemeinnützigkeit auch nach dem attac-Urteil für gegeben, denn es verfolge keine politischen Ziele. „Seine Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich auf die Bekanntmachung seiner Veranstaltungsprogramme”, heißt es in der Klage-Begründung. Der Verein fördere vielmehr „eine offene Diskussion politischer Fragen”.

Bedeutung für die Gesellschaft

Der BFH habe „keine apolitische Neutralität” gefordert, so die Kläger*innen. Außerdem sei es mit der Gemeinnützigkeit vereinbar, dass sich einzelne Mitglieder des DemoZ in kapitalismuskritischen oder antifaschistischen Gruppen wie dem LB oder der FAU engagieren und mit ihren Positionen das Veranstaltungsprogramm mitgestalten. Es liege in der Natur eines ehrenamtlich organisierten und selbstverwalteten Vereins, dass sich Menschen mit ihren eigenen Interessen und Positionen einbringen.

Die DemoZ-Klage wird wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt. „Der Fall zeigt, wie gefährlich das Kriterium der ‚geistigen Offenheit‘ sein kann”, sagte GFF-Juristin Vivian Kube.

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition sind gesetzliche Klarstellungen geplant. Zwei Punkte haben die Finanzminister*innen von Bund und Ländern in ihrem Anwendungserlass zum Gemeinnützigkeitsrecht Ende Januar bereits geändert. So wird klargestellt, dass ein Verein auch über seinen Satzungszweck hinaus „vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung” nehmen kann. Ein Sportverein darf also gelegentlich zu einer antirassistischen Demo aufrufen.

Außerdem darf sich eine Organisation für ihre gemeinnützigen Ziele auch mit politischen Mitteln einsetzen, so der novellierte Erlass. Eine Umweltschutz-Organisation darf also nicht nur Kröten über die Straße tragen, sondern auch Kundgebungen organisieren. Bisher war dies eine Grauzone.

Das Bündnis „Zivilgesellschaft ist gemeinnützig” hält die Änderung des Erlasses für unzureichend, weil er nur die Finanzämter, nicht aber die Finanzgerichte bindet. Erforderlich sei eine gesetzliche Klarstellung in der Abgabenordnung. Außerdem müsse klargestellt werden, dass auch engagierte politische Bildung möglich ist.

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