Mobile Demokratieberatung

Rückblick 2023: „Rechtsextremismus rückt näher“

Karin Billanitsch04. Dezember 2023
Demonstranten protestieren gegen die Reform des Infektionsschutzgesetzes. Aus den Corona-Protesten ist ein stabiles antidemokratisches Milieu entstanden, so der Bundesverband Mobile Beratung.
Der Bundesverband Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus hat erstmals eine Jahresbilanz gezogen. Rechtsextreme Kräfte wurden demnach stärker. Doch die Zivilgesellschaft wehrte sich mit zahlreichen Maßnahmen.

„Rechtsextremismus ist näher gerückt ins private Umfeld, in die Nachbarschaft und den Arbeitsplatz“: Dominik Schumacher vom Bundesverband Mobile Beratung zieht bei einem Jahresrückblick Bilanz, wie sich die extreme Rechte 2023 entwickelt hat. Es gibt in dem Jahresrückblick aber auch positive Nachrichten: „Die demokratische Zivilgesellschaft hat darauf reagiert und 2023 zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die Stirn zu bieten“, so Schumacher.

Narrative der AfD werden übernommen

Schumacher macht für die Zunahme von Rechtsextremismus drei Gründe verantwortlich. Erstens sei die extrem rechte AfD erfolgreicher denn je, stellt er fest. Besonders besorgniserregend ist für Schumacher – der selbst mobiler Berater im Regierungsbezirk Düsseldorf ist ­ – die Erosion im Verhältnis zu den demokratischen Parteien: „Unsere Beratungsteams sehen in den Kreis- und Landtagen, dass Vertreter*innen zunehmend normalen Flurschwatz mit denen abhalten, die hier zu Lande ganze Bevölkerungsgruppen weghaben wollen“. Immer häufiger würden Narrative der AfD von Vertreter*innen demokratischer Parteien übernommen, beklagte Schumacher.

Zweitens sei aus den Corona-Protesten ein stabiles antidemokratisches Protestmilieu erwachsen, das sogar in vielen Regionen ein „Protestmonopol“ errungen habe. Drittens hätten laut dem Bundesverband mobile Beratung Rechtsextreme vielerorts Immobilien gekauft, die sie als Veranstaltungs- und Rückzugsräume nutzen können, schwerpunktmäßig in Ostdeutschland.

Demokratiefeindliche Positionen nehmen zu

Die Beobachtungen der mobilen Beratung spiegeln sich auch in Zahlen, die Beate Küpper, Rechtsextremismus-Forscherin an der Hochschule Niederrhein, vorstellt: Sie macht einen drastischen Anstieg demokratiegefährdender Einstellungen der breiten Bevölkerung in jüngsten Umfragen aus: „8,3 Prozent der Befragten teilen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, drei mal so viel wie noch zwei Jahre zuvor“, sagt die Professorin. „Das ist ein dramatischer Anstieg in so kurzer Zeit“, warnt die Wissenschaftlerin. Weitere 20 Prozent bewegen sich laut der Umfrage unter 2.000 Befragten in einem Graubereich. Sie stimmen rechtsextremen Positionen nicht zu, lehnen sie aber auch nicht deutlich ab. Auch ihr Anteil sei gestiegen, hieß es. „Demokratiefeindliche Positionen sind selbstbewusster geworden, koppeln sich an politische Gewalt und erreichen zunehmend die Mitte der Gesellschaft“, warnt Küpper.

Ganz wichtig sei es, das zivilgesellschaftliche Engagement für Demokratie zu stärken, führt weiter Küpper aus. „Das professionelle Engagement ist die Brücke zu den vielen Bürger*innen, die sich Sorgen um den Zustand der Demokratie machen.“ Alarmierend ist für Küpper aber, dass das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus selbst unter gezielter Bedrohung durch die äußerste Rechte steht. Auch Schumacher warnt: „Viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, sind ermüdet, fühlen sich allein und von der Politik im Stich gelassen, werden bedroht und angefeindet.”

Appell an Kommunalpolitiker

„Gefragt sind jetzt Schutz durch die Sicherheitsorgane, Rückendeckung durch die Politik und die klare Positionierung gegen Rechtsextremismus durch alle Demokrat*innen“, fordert Küpper. Das bedeute auch eine „Rückendeckung durch Verwaltungen“. Die AfD versuche zum Beispiel durch sogenannte „kleine Anfragen“, Ressourcen zu stehlen und höhle so dieses an sich demokratische Mittel aus. Sie appelliert auch Kommunalpolitiker*innen, „in Schulterschluss mit Demokratiearbeit zu gehen, denn auch sie stehen unter Bedrohung“.

Die demokratische Zivilgesellschaft hat sich in 2023 gegen Angriffe auf die Demokratie erfolgreich gewehrt: „Mit Gegendemos, breiten Bündnissen sowie Aufklärungs- und Bildungsarbeit ist es Demokratieprojekten und Engagierten vor Ort oft gelungen, die Handlungsfähigkeit der extremen Rechten einzuschränken“, heißt es im Jahresrückblick.

Für Dorothea Schneider aus Zittau, die sich seit über 20 Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert, ist eines besonders wichtig: „Wir Akteur*innen, Träger und Vereine gegen rechts müssen endlich ernst genommen werden“, sagt sie. „Es muss aufhören, dass wir immer wieder unsere Arbeit rechtfertigen und unser Handeln erklären müssen oder zu hören bekommen, es ist gar nicht so schlimm.“  Schneider ist Vorsitzende des Zittauer Vereins „Augen auf“, der mit vielen Aktionen Zeichen gegen rechts setzt. Zudem forderte sie eine dauerhafte finanzielle Ausstattung von Demokratiearbeit. „Heute arbeiten wir von Jahr zu Jahr“, so Schneider.

Der Bundesverband mobile Beratung ist der Dachverband von rund 50 mobilen Beratungsteams bundesweit, die zum Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus ansprechbar sind. Zum Beispiel können sich Lokalpolitiker*innen, Einzelpersonen, Schulen oder auch zivilgesellschaftliche Bündnisse beraten lassen. Die Arbeit wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!“ sowie durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan (SPD).