Kreative Lösungen

Wie Städte und Gemeinden gegen die Wohnungsnot kämpfen

Kai Doering16. März 2022
Bezahlbar wohnen an der Elbe: In Geesthacht bei Hamburg entsteht die „Hafencity“.
Wer heute eine Wohnung sucht, hat es oft nicht leicht. Städte und Gemeinde reagieren darauf mit kreativen Ideen, von denen sie auch selbst profitieren – wie die Beispiele Geesthacht, Hiddenhausen und Detmold zeigen.

Es ist noch nicht lange her, da galt Geesthacht als schrumpfende Stadt. Vor zehn Jahren lag die Sterberate über der Zahl der Neugeborenen. Heute leben in Geesthacht 31.000 Menschen – Tendenz steigend. „Ich habe nie daran geglaubt, dass Geesthacht wirklich schrumpft“, sagt Olaf Schulze. Er ist seit sechs Jahren Bürgermeister. Anfang Februar wurde er für seine zweite Amtszeit vereidigt.

Dass seine Stadt seit einigen Jahren wieder wächst, hat auch mit ihrer Lage zu tun. Geesthacht gehört zwar zu Schleswig-Holstein, grenzt aber direkt an Hamburg. Die Entfernung in die Innenstadt beträgt gerade mal 30 Kilometer. Und Hamburg wächst. Knapp 200.000 Menschen zogen in den vergangenen 15 Jahren zu. Das treibt die Mieten in die Höhe – und die Menschen ins Umland. „Stadtflucht: Hamburger entdecken das Herzogtum Lauenburg“ titelte die „Lauenburgische Landeszeitung“ im Januar. Geesthacht ist die größte Stadt im Kreis.

Bezahlbare Wohnungen dank 25-Prozent-Regel

„Der Druck nimmt zu“, gibt auch Olaf Schulze zu. „Inzwischen steigen auch bei uns die Mietpreise.“ Geesthacht sieht er darauf jedoch gut vorbereitet. Das hat zwei Gründe: Zum einen entschied sich die Stadt Mitte der 2000er Jahre gegen den bundesweiten Trend  dafür, die damals 170 Wohnungen in städtischem Besitz nicht zu verkaufen. Die SPD hatte sich dafür starkgemacht. Zum anderen gründete die Stadt 2014 eine eigene Wohnungsbaugesellschaft die „WoGee“. Hatte sie zunächst rund 200 Wohnungen im Angebot, werden es bald 400 sein, 70 Prozent davon als Sozialwohnungen. „Wir haben als Stadt selbst investiert“, sagt Olaf Schulze nicht ohne Stolz.

Doch auch auf privaten Wohnungsbau nimmt die Stadt Einfluss. 2015 setzten SPD, Grüne und FDP in der Ratsversammlung durch, dass bei Neubauten 25 Prozent der Wohnfläche für sozialen Wohnungsbau reserviert sein müssen. Die CDU war damals dagegen. „Inzwischen sind alle dafür“, so Schulze. So gilt die 25-Prozent-Regel auch für das neueste Bauprojekt in Geesthacht, die „Hafencity“. 198 Wohnungen entstehen hier auf einer Brachfläche in bester Lage, 52 davon gefördert. „Der Rest wird über eine Genossenschaft vermietet oder als Eigentum verkauft“, sagt Olaf Schulze.

Junge Familien kaufen alte Häuser

Für Andreas Hüffmann sind Neubauten kein Thema. Er ist seit einem Jahr Bürgermeister der Gemeinde Hiddenhausen in der Nähe von Bielefeld. Hier fassten sie 2007 einen folgenschweren Beschluss: weg vom Neubau, hin zum Altbau. Hintergrund war eine Bevölkerungsprognose, die nicht nur vorhersagte, dass die Gemeinde schrumpfen und bestehende Infrastruktur wie Kitas und Schulen wegfallen würde, wenn nicht gegengesteuert wird. Sie entwarf auch ein schlimmes Bild für die sechs Dörfer, aus denen Hiddenhausen besteht: Während junge Familie in Neubaugebiete am Ortsrand zögen, drohten verwaiste Ortskerne, wenn die Menschen, die hier seit Jahrzehnten wohnten, ins Altersheim müssen oder sterben.

Aus einem Runden Tisch mit Wohnungsbaugesellschaften, Maklern, Architekten, Planern und Banken entstand nicht nur der Beschluss, auf Neubaugebiete künftig zu verzichten, sondern auch das Programm „Jung kauft Alt“ – ein „Erfolgsmodell“ wie Andreas Hüffmann betont. Die Idee ist einfach: Statt junge Familien neu bauen zu lassen, unterstützt die Gemeinde sie finanziell, wenn sie ein mindestens 25 Jahre altes Wohnhaus im Ort kaufen. Zuschüsse gibt es bereits für die Bestandsaufnahme des alten Gebäudes durch einen Architekten. Beim Kauf gibt es sechs Jahre lang einen Zuschuss von 600 Euro, die für jedes zum Haushalt gehörende minderjährige Kind um 300 Euro erhöht werden.

Seit 2019 werden zudem Sanierungsmaßnahmen für eine bessere Energieeffizienz zusätzlich gefördert – sogar dann, wenn das alte Gebäude abgerissen und durch ein energieeffizientes ersetzt wird. „Nachhaltiger geht es eigentlich nicht“, sagt Bürgermeister Hüffmann, zumal auf diese Weise keine  zusätzlichen Flächen versiegelt würden. 728 Altbauten seien in den vergangenen 15 Jahren gefördert worden. Im aktuellen Haushalt stehen 320.000 Euro für das Programm „Jung kauft Alt“ zur Verfügung. Im ersten Jahr waren es gerade mal 20.000 Euro. Inzwischen wurde das Programm von mehr als 50 Kommunen in ganz Deutschland übernommen. „Wir haben so gut wie keinen Leerstand“, freut sich Hüffmann.

Erfolgsmodell Genossenschaft

Das würde Frank Hilker auch gerne sagen können. Dabei würden wohl viele den Bürgermeister von Detmold, nur 40 Kilometer von Hiddenhausen entfernt, um seine Situation beneiden. Als 2014 die bis dahin in Detmold stationierten britischen Streitkräfte die Stadt verließen, blieb ein Areal mit 320 leeren Wohneinheiten zurück. Gerne hätte die Stadt die sogenannte Britensiedlung komplett gekauft, doch der Preis, den die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verlangte, sei astronomisch gewesen, erzählt Hilker.

So entschied sich die Stadt, zunächst nur einen Teil zu kaufen und gründete dafür eine Genossenschaft. „Wir wollen die Fläche zurückerobern“, sagt Frank Hilker. „Der Arzt soll hier genauso wohnen wie der Hartz-IV-Empfänger.“ Eine nicht zu große Genossenschaft erzeuge „Identität für ein Quartier“. Sie hat aber auch ganz praktische Vorteile. Die Stadt musste keine komplizierten Ausschreibungsverfahren durchführen, die viel Zeit gekostet hätten. „So haben wir Handlungsgeschwindigkeit gewonnen“, sagt Bürgermeister Hilker.

Löffelfertige Werkswohnungen

Nachdem die Genossenschaft im Dezember 2019 gegründet worden war, begann im Januar 2020 die Sanierung der 44 erworbenen Wohnungen. Im August wurde sie abgeschlossen, und die Wohnungen wurden vermietet. Die Miete beträgt 6,30 Euro pro Quadratmeter. Vergeben werden die Wohnungen über ein Punktesystem: Berücksichtigt werden wirtschaftliche, familiäre und soziale Kriterien. Auch wenn die potenziellen Mieter bereits in der Stadt wohnen oder zumindest hier arbeiten, gibt es Pluspunkte. Für die 44 Wohnungen habe es 450 Bewerbungen gegeben, erzählt Frank Hilker.

Inzwischen haben er und seine Mitarbeiter bereits ein zweites Quartier identifiziert, für das sie eine Genossenschaft gegründet haben. Rund 90 Wohneinheiten sollen in den kommenden Monaten renoviert und bezugsfertig gemacht werden. Zielgruppen sind Studierende, Singles und Paare. Ein Drittel ist für Werkswohnungen vorgesehen, die „löffelfertig“ übergeben werden sollen: Wer hier einzieht, soll sich weder um seine Möbel, noch um die Beschaffung seines Löffels fürs Frühstücksei kümmern müssen. Deshalb soll auch ein Brötchenbringdienst inklusive sein, als Angebot, das Detmolder Unternehmen Beschäftigten machen können, die kurzfristig in die Stadt kommen. 28 der 32 Werkswohnungen seien bereits vergeben, sagt Frank Hilker. Spätestens im Sommer sollen die ersten Mieter einziehen.

 

Dieser Text stammt aus der vorwärts-Ausgabe 1/2022.

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