Friedrich-Ebert-Stiftung

Ungleichheiten beginnen schon bei Kita-Zugang

Carl-Friedrich Höck23. November 2023
Jacken und Schuhe an einer Garderobe in einem Kindergarten
Armutsgefährdete, Alleinerziehende, Familien ohne Deutschkenntnisse: Ausgerechnet diese Gruppen finden seltener einen Kita-Platz, zeigt eine Studie. Dabei würden sie von frühkindlicher Bildung besonders profitieren.

„Kitas sind für Kinder der erste Bildungs- und Betreuungsort außerhalb der Familie.“ Das sagt Katharina Spieß vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Es sei empirisch belegt, dass gute Kita-Angebote sich positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirken können. Das Problem: Es finden nicht alle Menschen Zugang zu einem Kita-Angebot. Das offenbart die Studie „Frühe Ungleichheiten“, die das BiB im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat.

Spieß spricht von „Kita-Gaps“. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen können ihren Betreuungsbedarf weniger decken als andere. Das betrifft Familien, die armutsgefährdet sind, bildungsfern, in denen überwiegend kein Deutsch gesprochen wird und Alleinerziehende.

Ungleichheiten schon in den ersten Lebensjahren

Für die FES-Analyse wurden umfangreiche Daten aus der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts für die Jahre 2018 bis 2020 ausgewertet. Sie erlauben einen präzisen Blick auf bestehende Schieflagen. Die Unterschiede sind im zweiten und dritten Lebensjahr der Kinder am größten.

Einige Beispiele: Insgesamt besucht jedes zweite Kind im Alter zwischen ein und drei Jahren eine Kita. In armutsgefährdeten Familien tut das aber nur jedes vierte Kind. In Familien, die überwiegend kein Deutsch sprechen, sind es statistisch drei von zehn Kindern. In Familien ohne akademischen Hintergrund gehen vier von zehn Kindern in die Kita.

Ungedeckte Bedarfe

Laut der Studie liegt das nicht in erster Linie daran, dass solche Familien ihre Kinder seltener in eine Kita geben wollen. Der Betreuungsbedarf sei da, er werde aber seltener gedeckt.

Dazu konkrete Zahlen: Insgesamt wünschen sich 21 Prozent aller Familien mit Kindern zwischen einem und drei Jahren einen Kitaplatz, haben ihn aber nicht bekommen. In armutsgefährdeten Familien liegt dieser Wert bei 33 Prozent, in Familien mit mangelnden Deutschkenntnissen sogar bei 39 Prozent.

Kinder von Alleinerziehenden nutzen Kitas zwar häufiger, doch ist hier auch der Bedarf besonders hoch. Rund 27 Prozent der Alleinerziehenden weisen einen ungedeckten Kita-Bedarf auf.

Woran liegt es?

Wie kommt es zu diesen ungedeckten Bedarfen? Die Autor*innen der Analyse haben sich auf die Suche nach Gründen gemacht. Einer liegt auf der Hand: Das Angebot an Kita-Plätzen reicht nicht aus, insbesondere im Ganztagsbereich.

Vorstellung der FES-Studie „Frühe Ungleichheiten” mit Katharina Spieß, Mathias Huebener (beide BiB) und Moderatorin Anna Lehmann

Laut der Studie deutet vieles darauf hin, dass ohnehin benachteiligte Gruppen bei der Kita-Platz-Suche schneller entmutigt werden. Familien, deren Kinder in Kitas bisher unterrepräsentiert sind, schätzen den Nutzen eines Kita-Platzes demnach als geringer ein. Gleichzeitig gestaltet sich die Suche für sie besonders schwierig. Es fehlt an wohnortnahen Kitas. Spezifische Bedarfe dieser Familien werden nicht abgedeckt. Fehlende Informationen können bei der Kitaplatz-Suche eine Rolle spielen. Und wie ältere Untersuchungen belegen, ist auch Rassismus ein Faktor bei der Kitaplatz-Vergabe.

Was Kommunen aus Sicht der Studienautor*innen tun können: Sie können das Platzangebot vergrößern, mehr Ganztagsangebote schaffen und die Öffnungszeiten den tatsächlichen Bedarfen anpassen. Außerdem können sie die Suche leichter gestalten und besser über Kita-Angebote informieren. Zum Beispiel, indem sie schon bei der Geburtsmeldung im Standesamt Infomaterial mitgeben. Auch zentrale Anmelde- und Vergabeverfahren, die konsequent angewendet werden, könnten den Suchaufwand verringern, heißt es in der Analyse. Sinnvoll sei es außerdem, potenziell benachteiligten Familien proaktiv einen Kita-Platz vorzuschlagen. Ein weiterer Vorschlag: Einrichtungen, die bisher unterrepräsentierte Kinder aufnehmen, könnten finanzielle Zuschläge erhalten.

SPD-Abgeordneter fordert stärkeres Engagement des Bundes

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Erik von Malottki bewertet das FES-Papier als „wichtige Studie“. Gerade Familien, „die wir besonders fördern sollten“, würden noch nicht ausreichend mit guter frühkindlicher Bildung erreicht.

Von Malottki plädiert dafür, dass sich der Bund im Kita-Bereich noch stärker engagiert. Bisher werde die finanzielle Hauptlast von den Ländern und Kommunen getragen. Der SPD-Politiker hält es für einen Fehler, dass das Bundesprogramm Sprach-Kitas nicht verlängert wurde – auch wenn die Angebote in fast allen Bundesländern durch eine Länder-Finanzierung fortgesetzt würden. Frühe Hilfen will von Malottki systematisch und flächendeckend ausbauen, zum Beispiel mit Geburtslotsen. Das sei mit 60 Euro pro Geburt vergleichsweise günstig umsetzbar.

Viele ärmere Eltern befürchteten Kosten, selbst wenn sie eigentlich von Gebühren befreit seien, hat Malottki beobachtet. Seiner Meinung nach sollten Kitas deshalb komplett kostenfrei gestellt werden. BiB-Expertin Katharina Spieß lehnt das ab. Besser sei es, die Zahlungsbereitschaft einkommensstarker Gruppen abzuschöpfen und das Geld zum Beispiel in Sprach-Kitas zu investieren, argumentiert sie.

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