Wärmewende

Wie ein Wohn- und Gewerbegebiet kalt beheizt wird

Heinz Wraneschitz05. Januar 2024
Professor Volker Stockinger, Technische Hochschule Ohm Nürnberg (links) und Stefan Loskarn, Stadtwerke Bamberg
Wie nachhaltige Wärmeversorgung aussehen kann, zeigt ein Quartier in Bamberg. In der ehemaligen Lagarde-Kaserne verpflichten Stadt und Stadtwerke die Bauträger zur Nutzung von Kalter Nahwärme.

„Die ehemalige Lagarde-Kaserne in Bamberg wird zukunftsfähig!“ Da sind sich die Verantwortlichen im Verbundprojekt „Multisource“ sicher. Momentan wird auf dem 20-Hektar-Gelände, das die Stadt vom Bund gekauft hat, heftig gebaut. Zentraler Baustein ist dabei die „Kalte Nahwärme“: Die wird aus Flachkollektoren im Boden und unter den Gebäuden, per Abwasserwärmetauscher und senkrechten Geothermie-Brunnen gewonnen. Der Strom für die notwendigen Wärmepumpen kommt aus Dachflächen-Photovoltaik.

„Standard der Zukunft”

Bundes-Bauministerin Klara Geywitz (SPD) war auch schon zu Besuch. Ihr Resümee: „Die Stadtwerke Bamberg haben auf dem Lagarde-Campus jetzt schon umgesetzt, was der gesetzliche Standard der Zukunft sein wird.“ Ende 2023 hatte der Bundesverband Geothermie die Presse eingeladen. Die Medienmenschen konnten vor Ort sehen, was „Multisource“ erforscht, und was die „Wärme 4.0“ genannte Versorgungslösung für die geplanten 1.200 Wohnungen sowie Gewerbe- und Kulturflächen bedeutet. Vor Planung und Installation stand eine Machbarkeitsstudie: Die alleine dauerte zwei Jahre.

Versorgungstechnik-Ingenieur Stefan Loskarn hat seit 2015 die Projektleitung auf dem „Lagarde“-Gelände inne. Ihm geht es nicht nur darum, den erwarteten Gesamtwärmebedarf von 10.000 MWh pro Jahr nachhaltig zu decken, er hat auch den Denkmalschutz bestehender sowie die Hocheffizienz neuer Gebäude im Blick. Nicht zu vergessen: „Barrierefreie Mobilität wird es hier geben und echte, digitale Infrastruktur.“ Das Kalte-Nahwärme-Projekt der Stadtwerke wird bis Ende 2026 Öffentlich gefördert. Kosten laut Projektleiter Loskarn: 30 Millionen Euro; Förderquote etwa 38,4 Prozent.

Der hebt heraus: „Die Flächen werden ausgeschrieben. Wer hier bauen will, muss sich an das Projekthandbuch halten.“ Darin ist auch die Kalte Nahwärmenutzung festgeschrieben. Wärmekosten zurzeit: 9,91 C/kWh plus Grundpreis.

Geothermie wird erforscht

Mit insgesamt sechs Jahren Bauzeit rechnet Loskarn. Parallel dazu läuft die Multisource-Forschung. Hier arbeiten die Ohm-Hochschule Nürnberg, die TU Dresden und die FAU Erlangen-Nürnberg zusammen. Mit einem Budget von insgesamt 2,6 Millionen Euro solle „das Zusammenwirken der einzelnen Quellen erforscht und optimiert werden“, erklärt Ohm-Professor Volker Stockinger. Er gibt zudem zu: „Wir lernen hier viel Neues dazu über Geothermie im städtischen Raum“ – bisher augenscheinlich ein Stiefkind der Energieforschung.

Aber auch wenn „mit über 2.000 Datenpunkten das Zusammenwirken der einzelnen Quellen auf Herz und Nieren geprüft“ werde, betont Stockinger: Das Ergebnis sei nicht 1:1 auf andere Projekte übertragbar. Denn: „Es gibt nicht die eine Lösung für die regenerative Wärmeversorgung im innerstädtischen Raum. Aber die Kombination, viele Quellen zu verbinden, ist ein guter Lösungsansatz.“

Professor John Grunewald von der TU Dresden ergänzt: „Ohne Messtechnik und Simulation geht so ein Riesenprojekt nicht. Die Krönung ist, wenn Realität und Simulation übereinstimmen.“

Das Energiesystem 4.0

In Bamberg werden 32.000 qm Erdkollektoren – 60 Prozent unter Gebäuden, 40 Prozent in der Freifläche –, bis zu 100 Erdsonden, ein 225 Meter langer Abwasserwärmetauscher am Kanal der parallel verlaufenden Straße, ein Eisspeicher, Wärmepumpen in den einzelnen Gebäuden sowie PV-Anlagen auf Dächern miteinander vernetzt.

Weil noch 20 Prozent Wärme aus dem Müllkraftwerk stammt, das schon zu Zeiten der US-Militärs die Bestandsgebäude beheizte, „haben wir nur 80 Prozent Erneuerbare Energie, denn Müll zählt nicht als EE“, erwähnt Stefan Loskarn. Aber auch: „Allein der Abwasserwärmetauscher bringt 2,3 Millionen kWh Wärme pro Jahr ein“, ersetzt also etwa 230.000 Liter Heizöl jährlich. Überschusswärme des Sommers werde unter den Gebäuden gespeichert – offizielle Sprechweise „wird für die Regeneration der Bodentemperatur genutzt“ – und stehe im Winter wieder zur Verfügung. Auch jahreszeitlich überschüssiger PV-Strom wird thermisch gespeichert, statt Batterien dafür aufzustellen.

Langes Genehmigungsverfahren

Die Wärmetauscher im Boden arbeiten im Temperaturbereich von -4°C bis +20°C. Damit sie im Winter nicht einfrieren, sind 700.000 Liter 25-prozentiges Glykol-Wasser-Gemisch als Wärmeträgerflüssigkeit im Einsatz. Allein dafür dauerte die wasserrechtliche Genehmigung vier Jahre.

Trotzdem ist David Bertermann, der Leiter der Arbeitsgruppe Oberflächennahe Geothermie am FAU-Geozentrum Nordbayern, sicher: „97 Prozent der Fläche Bayerns ist für Sonden geeignet. Man muss die Potenziale nur erschließen.“

Laut Ohm-Professor Volker Stockinger ist man jedenfalls im fördernden Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium (BMWK) „erfreut, dass endlich mal was umgesetzt wird“.