Blog Meine Sicht

Bevölkerungsgesundheit, ein wichtiges Politikfeld für Kommunen

Wolfgang SchlichtJens Bucksch31. Juli 2023
Prof. Dr. Wolfgang Schlicht (links) und Prof. Dr. Jens Bucksch.
Um sich gesund zu verhalten, brauchen Menschen Möglichkeitsräume. Die werden durch Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft geöffnet oder eingeengt. Ein Beitrag von Wolfgang Schlicht und Jens Bucksch.

Prof. Dr. Wolfgang Schlicht (links) führt das Beratungsunternehmen ev!dent-research. Jens Bucksch ist Professor für Prävention und Gesundheitsförderung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Befassen sich kommunale Gremien mit der Bevölkerungsgesundheit, dann meistens, um sicherzustellen, dass zukünftig eine Ärztin am Ort praktiziert, ein Zahnarzt sich um die Zahngesundheit kümmert oder das Kreiskrankenhaus erhalten bleibt.

Bevölkerungsgesundheit ist aber kein ausschließliches Politikfeld der Versorgung von erkrankten Bürgerinnen und Bürgern. Denn Gesundheit ist mehr als das Ausbleiben von Krankheitssymptomen und manifestiert sich auch nicht alleine in abweichenden medizinischen Laborwerten.

Gesundheit ist die Bedingung, die es ermöglicht, in jedem Alter grundlegende psychische Bedürfnisse zu befriedigen, persönlich wertvolle und wichtige Entwicklungsziele zu verwirklichen und am sozialen Leben teilzuhaben. Diese Bedingung der Möglichkeit wird in den Kommunen begrenzt oder gefördert. Dort wohnen, leben und arbeiten Menschen, brauchen sie Bedingungen, um „gut zu leben“.

Die Umwelt bestimmt, wie Menschen handeln

Gesundheitsförderung wird im kommunalpolitischen Geschehen eher als individuelle Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger angesehen. Sie sollen ihren Alltag risikofreier gestalten. Sie sollen sich mehr bewegen, ausreichend Obst und Gemüse essen, Alkohol nur in homöopathischen Dosen konsumieren, nicht rauchen, Stress reduzieren und für einen erholsamen Schlaf sorgen.

Wird der Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens der Verantwortung zugeschrieben, durch individuell angepasstes Verhalten Risiken zu minimieren, wird leicht übersehen, dass Verhalten aus der untrennbaren Wechselwirkung von Umweltbedingungen und personalen Fähigkeiten und Fertigkeiten resultiert. Menschen handeln so, wie sie durch die Umwelt angeregt werden und wie es ihnen die Bedingungen ermöglichen.

Um sich gesund zu verhalten, brauchen Menschen Möglichkeitsräume. Die werden durch Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft geöffnet oder eingeengt. Möglichkeitsräume stehen nicht allen Bürgerinnen und Bürger gleich weit offen. Mitgliedern vulnerabler Gruppen – wie arme Familien, alte Menschen oder Kinder – öffnen sich die Räume wenn dann oft nur einen Spalt weit. Sie haben geringere Verwirklichungschancen als die „gut betuchten“ Angehörigen der Bürgerschaft, weil  risikoarmes Verhalten auch mit finanziellen Ressourcen korreliert und nicht zuletzt vom Bildungskapital abhängig ist.

Möglichkeitsräume schaffen

Aufgabe kommunaler Gesundheitsförderung ist es, Möglichkeitsräume für alle zu schaffen und die vulnerablen Mitglieder der Bürgerschaft zu befähigen, Verwirklichungschancen zu ergreifen. Die Idee ist der proportionale Universalismus: Allen die gleichen Möglichkeiten, sich gesund zu verhalten und den Bedürftigen mehr Unterstützung, damit es auch ihnen gelingt.

Kommunalpolitische Akteurinnen und Akteure ermöglichen mit ihren Entscheidungen individuelles Gesundheitsverhalten. Sie wirken stromaufwärts, während Prävention, die an das individuelle Gesundheitsverhalten appelliert, stromabwärts agiert. Wir übernehmen damit ein Bild von Naoihm McMahon, um zu illustrieren, dass kommunalpolitische Akteurinnen und Akteure, im Verbund mit der Zivilgesellschaft, stabile Brücken bauen und Wasser eindeichen, statt auf gesetzliche Krankenkassen zu vertrauen, die stromabwärts Menschen aus den Fluten retten, die bei der Flussüberquerung auf wackeligen Stegen ins Wasser gefallen sind oder die der ansteigende Flusspegel mitgerissen hat.

Die Idee der stromaufwärts pro-aktiv agierenden policy-basierten kommunalen Gesundheitsförderung sieht, dass die Bevölkerungsgesundheit auch von Politikfeldern betroffen ist, denen ein Gesundheitsetikett nicht sichtbar anhaftet. Wie ein Baugebiet ausgestaltet, wie die Verkehrsführung gelenkt, wie kommunale Felder, Wiesen und Wälder bewirtschaftet, ob Grünflächen oder Parks angelegt und gepflegt, Flächen in einem Gewerbegebiet versiegelt und wie andere Entscheidungen getroffen werden, das betrifft die Bevölkerungsgesundheit. Kommunale Entscheidungen sollten immer auch durch eine Gesundheitslinse analysiert werden.

Die policy-basierte kommunale Gesundheitsförderung zielt auf die transformativ oder ökologisch resiliente Kommune. Das ist kommunale Daseinsvorsorge, die mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN korrespondiert. Die Kommune verfügt über antifragile und lernfähig Strukturen, beteiligt Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungen, antizipiert das Erscheinen „schwarzer Schwäne“, steckt aber „den Kopf nicht in den Sand“, sondern nimmt die gesellschaftlichen Herausforderungen als Potential für die Dorf- und Stadtentwicklung. Sie schafft Möglichkeitsräume für gesundes Verhalten.

 

Quelle: Bucksch, J. & Schlicht, W. (2023). Kommunale Gesundheitsförderung. Ein Debattenanstoß zu einer policy-orientierten Transformation der Kommune zur ökologischen Resilienz. Heidelberg: Springer

Im Blog „Meine Sicht” veröffentlichen wir Beiträge wechselnder Autoren, die aus persönlicher Perspektive über kommunalpolitische Themen schreiben.