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Wie Kommunen Pflege und Wohnen neu erfinden können

Steffen Haake22. Februar 2021
Steffen Haake
Kommunen werden in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels einen größeren Anteil sozialer Daseinsvorsorge in den Bereichen Pflege und Wohnen übernehmen. Dafür bedarf es sowohl kreativer Lösungen der Politik als auch neuer Wege von Privaten und Vereinen.

Der ostfriesische Autor Jan Brandt schreibt in seinem Roman „Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt“ von den Problemen junger Menschen, in einer Stadt wie Berlin Wohnraum zu finden. Aber auch von dem Irrsinn, dass in den Dörfern ortsbildprägende Gebäude durch seniorengerechte Neubauklötze ersetzt werden. Die Themen gehören durchaus zusammen: Denn es gibt immer mehr ältere Menschen auf dem Land, deren Pflege schon jetzt nicht mehr in dem Maße von ihren Familien übernommen werden kann, wie es früher der Fall war.

In meiner Heimat Ostfriesland erwerben zunehmend Senior*innen aus NRW-Ballungsräumen einen Altersruhesitz. Auch da spätestens mit der Corona-Pandemie Immobilien auf dem Land attraktiver gewonnen sind, steigen die Preise. Junge Menschen ziehen häufig zum Studium in die Städte. Wenn sie zurückkommen, haben sie ähnlich wie die dagebliebenen Familiengründer*innen Probleme, bezahlbare Eigenheime zu finden.       

Es stellt sich also zunehmend die Frage, wie die Älteren, häufig ohne familiäre Bezugspunkte vor Ort, versorgt werden können? Denn der Ökonomisierungsdruck im Pflegesektor führt zu schlechten Arbeitsbedingungen, gerade im ambulanten Versorgungsbereich, und neben dem Pflege- gibt es auch im ländlichen Raum einen Wohnungsnotstand. Beide Problemstellungen sollten zusammen betrachtet werden.   

Der Traum vom Mehrgenerationenhaus

Auch in Ostfriesland wohnen zahlreiche ältere Menschen in großen Häusern: Als Ostfriesenhäuser gelten die sogenannten Gulfhöfe, Ziegelbauten mit hölzernem Ständerwerk. Gleichzeitig gibt es auch auf dem Land zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Insbesondere an kleineren Wohnungen für besonders junge oder alte Menschen mangelt es. Durch Corona vereinsamen alleinstehende Senior*innen zunehmend. Einsamkeit macht traurig und ist schlecht für die Gesundheit.

Es gibt also deutlich zu wenige Angebote betreuten Wohnens und alternativer Wohnkonzepte wie Senior*innen-WGs oder Mehrgenerationenhäuser. Diese gibt es bisher eher in Großstädten. Auf die veränderten Anforderungen könnte durch eine Wohnform eingegangen werden, in der Alt wie Jung sich ergänzen und die Jüngeren sich mit um die Versorgung der Älteren kümmern. Im Gegenzug könnten die Älteren diese beispielsweise bei der Kinderbetreuung unterstützen. Dabei können neue digitale Tools zu einem entlastenden Baustein werden.

Ich habe mir daher Gleichgesinnte gesucht, um ein Mehrgenerationenhaus in einem ostfriesischen Gulfhof zu verwirklichen – dafür haben wir uns auch mit der Gründungsidee eines gemeinnützigen Vereins oder einer Genossenschaft befasst. Die passende Rechtsform zu finden ist die kleinste Herausforderung, viel schwieriger ist es, die passende Umgebung für ein solches Projekt zu finden.    

Gulfhöfe stehen leer oder werden in Leer zu Projekträumen

Zur Verwirklichung unserer Vision haben wir zunächst versucht, unser Konzept in einer seit langem leer stehenden Pension umzusetzen. Da der Bebauungsplan jedoch keine Nutzung als Wohnraum vorsah, war dies nicht möglich. Auch bei der Besichtigung eines alten Pfarrhauses im Landkreis Leer stießen wir auf baurechtliche Probleme, da Wohnen im landwirtschaftlichen Außenbereich nach dem Bundesbaugesetz die Ausnahme darstellen sollte. Auch einen Emder Gulfhof haben wir geprüft, das Gebäude war jedoch unpassend – dennoch haben wir dadurch erfreulicher Weise Kontakt zur Emder Pflegegenossenschaft für Ostfriesland aufgebaut. Die Pflegegenoss*innen gehen „Zuhause Altern“ durch selbstorganisierte Pflegegruppen ohne Profitgedanken an.  

Die Kommunen sollten solche Genossenschafts- und Gemeinschaftsmodelle insgesamt noch stärker unterstützen. In meiner Geburtsstadt Aurich hat sowas funktioniert: Die ehemalige „Gartenbau-Versuchsanstalt“ wurde mit öffentlicher Unterstützung in ein genossenschaftliches Wohnprojekt umgewandelt, das auch altersgerechte Wohnungen bietet und ein Baustein in der pflegerischen Versorgung sein kann. Die Beispiele unserer Suche zeigen, dass der Strukturwandel in der Wohn- und Pflegelandschaft dem in der Landwirtschaft noch nicht Rechnung trägt – die Umnutzung leerstehender Resthöfe zu Wohnprojekten ist rechtlich kompliziert. Der Immobilienmarkt ist ebenso schwierig, wie die Pflegesituation durch eigene Initiativen zu verbessern, aber es lohnt sich!

Der Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.