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Warum wir mehr interkommunale Zusammenarbeit wagen sollten

Steffen Haake29. Januar 2020
Steffen Haake
Die Herausforderungen werden mit der Digitalisierung, der Verkehrs- und Energiewende auch für die Kommunen immer größer. Deshalb sollten sie mehr interkommunale Zusammenarbeit wagen, fordert unser Blogger Steffen Haake. Auch, aber nicht nur im Nordwesten Deutschlands.

„Allenich kummst hoch, man tosomen kummst wiet“, ist ein plattdeutsches Credo der Zusammenarbeit. Übersetzt bedeutet es so viel wie „Alleine kommst du hoch, aber zusammen kommst du weit.“ Ein Motto, das nach der Krise der Windkraftindustrie auch für den Nord-Westen Deutschlands gelten sollte. Es braucht nun kommunenübergreifende Förderprogramme für regenerative Energien, genauer gesagt ein Strukturprogramm für Ostfriesland.

Flachland, Bäume, Windräder: Ostfriesische Küstenlandschaft. Bild: Erich Westendarp/pixelio.de

Dieses könnte im besten Falle zu Gunsten des Wasserstoffs ausfallen. Die Technik könnte für Züge und Busse weiterentwickelt werden, genügend Windstrom und Produktionskapazitäten, auch für die Produktion von Kabeln und anderen Bauteilen, sind zwischen Weser und Ems vorhanden. In einem Örtchen mit dem einladenden Namen Diele im südlichen Rheiderland bei Leer entsteht momentan die größte Power-to-Gas-Anlage, solche Projekte sollten in Ostfriesland und dem Emsland durch kommunenübergreifende Anstrengungen gefördert werden. 

Strukturkonferenz Ostfriesland wiederbeleben

Die niedersächsische SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Johanne „Hanne“ Modder aus dem Landkreis Leer schlug kürzlich vor, die Strukturkonferenz Ostfriesland wiederzubeleben, ein Gremium, das vor Jahrzehnten ins Leben gerufen wurde, um die damals grassierende Arbeitslosigkeit von bis zu 25 Prozent zu bekämpfen. Dieses Gremium schuf Institutionen wie die Ostfriesland Tourismus GmbH (OTG), Errungenschaften der interkommunalen Zusammenarbeit, die im Wohlstand fruchteten. Leider scheiterte jedoch das Folgegremium der Strukturkonferenz, der Regionalrat Ostfriesland.

Das Ziel des damaligen Bundestagsabgeordneten Garrelt Duin war als Vorsitzender des Regionalrats, diesen Ende 2016 erstmalig direkt und mit Befugnissen wählen zu lassen. Dazu kam es aber nie. Dennoch, die Demografie, die Digitalisierung und auch die finanziellen Entwicklungen der Kommunen werden zwingend zu größeren kommunalen Einheiten führen müssen. Zudem haben größere Einheiten mehr politisches Gewicht. Auch in puncto Fördergelder aus Brüssel bringt es Vorteile, als Region in Europa aufzutreten.

Co-Working auf Platt

Noch effektiver könnte diese Zusammenarbeit verlaufen, würde Ostfriesland sich politisch konsolidieren. So wäre eine Region Ostfriesland denkbar – ähnlich wie die Region Hannover, in der sich der Landkreis und die kreisfreie Stadt Hannover zusammenschlossen und die von ihrer Schlagfertigkeit und ihrem Standing in Niedersachsen profitiert. Anstatt eines solchen Kommunalverbands besonderer Art könnte unter Beibehaltung der Landkreise jedoch auch die Ostfriesische Landschaft als Höherer Kommunalverband gestärkt werden. Auf Landesebene könnte eine Region Ostfriesland dadurch sicher effektiver Einfluss ausüben. Auf EU-Ebene könnte diese eine weiterhin stabile Fördermittel-Akquise sichern.

Ein tolles Beispiel sind in Zeiten von New Work auch Co-Working-Spaces und Gründungs-Inkubatoren, die mit Beteiligung verschiedener Gemeinden geschaffen werden. In Südniedersachsen ist ein Bündnis bekannt, in dem sich Kommunen mit Fachwerkbeständen zusammengeschlossen haben, um die Fachwerkhäuser gemeinsam zu erhalten. So etwas könnte ich mir auch im Norden für unsere ostfriesischen Höfe vorstellen. Leider scheitern diese Projekte häufig an der fehlenden Bereitschaft der Akteure, Kompetenzen und damit vermeintliche Macht, abzugeben. Oft spielt altes Kirchturmdenken in verkrusteten Strukturen eine Rolle.

Doch es gibt sie, die Beispiele für hervorragende interkommunale Zusammenarbeit, so wie die EU-Förderung Ostfrieslands durch die Programme LEADER und ILE. Da gibt es beispielsweise die LEADER oder ILE Region Mittleres Ostfriesland (geografisch naheliegende Zusammenschlüsse aus Emden, Aurich, Wittmund und Umland), wo umfangreiche Regionale Entwicklungskonzepte (REK) erarbeitet und mit lokalen Aktionsgruppen (LAG) mit Bürgerschaftsengagement viel erreicht wird. Vertreter*innen von Sportvereinen, der Zivilgesellschaft, den Verwaltungen und der Politik treffen sich und erarbeiten Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum.

Besonders die Ems-Dollart-Region (EDR) ist aufgrund ihrer Netzwerkfunktionen enorm wichtig für Ostfriesland. Beim Sitz der EDR am niederländischen Grenzort Nieuweschans wird effektive Lobby-Arbeit für grenzüberschreitende Interessen geleistet. Das ist wichtig, weil Gesetzgebung aus Brüssel die kommunale Ebene unmittelbar beeinflusst.

Aufgaben der Zukunft gemeinsam schultern

Meine Hoffnung ist, dass angesichts der Schwere der aktuellen Wirtschaftskrise im Nord-Westen den handelnden Akteuren deutlich wird, dass es jetzt eine beherzte Zusammenarbeit braucht. Es gibt viele Beispiele dafür, sei es die Schaffung der Region Hannover oder informelle Kooperationen, wo Zusammenarbeit über Stadtgrenzen hinweg funktioniert. Das kann von guten Kontakten, die genutzt werden, um gemeinsam regionale Lobbyarbeit zu betreiben, über gemeinsames Vorgehen bei gesundheitspolitischen Fragen reichen.

So schaffen Landkreise gemeinsame Gesundheitsregionen, Pflege- oder Klinikgesellschaften oder – wie am Beispiel Leer/Groningen zu sehen – eine grenzüberschreitende krankenhauskeimfreie Zone. Hier kooperieren die Akteure des Klinikums Leer, das auch das Inselkrankenhaus Borkum betreibt, mit denen der Universitätsklinik Groningen. Auch im Tourismus gibt es diese Beispiele, so gründete die bundesdeutsche Grenzgemeinde Bunde, unter der eine Thermalquelle liegt, einen Bund mit Nieuweschans, um ein Bad auf der niederländischen Seite zu bauen.

Auch in der Digitalisierung gilt: Es macht wenig Sinn, dass jede Stadt Apps zur Ermittlung der Hundesteuer oder zur PKW-Zulassung von Dienstleistern wie SAP entwickeln lässt. Besser könnten sich Gemeinden zusammentun und gegenüber globalen Softwareanbietern schlagkräftiger auftreten. Die erzeugten Digitalprodukte sollten dann auch als eine Art Allmende betrachtet werden, der Code also kostenfrei oder günstig anderen öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Frei nach Willy Brandt lautet das Gebot der Stunde: Wir müssen mehr interkommunale Zusammenarbeit wagen!