Blog Meine Sicht

Mobilität nach Corona: Wie wollen wir leben?

Ulrich SybergRebecca Peters15. Dezember 2020
Radfahrer in Berliner Herbstlandschaft: Mobilitätsroutinen haben sich im Corona-Jahr 2020 verändert.
Das Jahr 2020 war ein Durchlauferhitzer für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse, schreiben der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Sybert und die stellvertretende Vorsitzende Rebecca Peters. Für die DEMO haben sie notiert, was das Corona-Jahr dem Radverkehr gebracht hat.

Alltags- und Mobilitätsroutinen verändern sich

Die Pandemie hat den Alltag vieler Menschen schlagartig verändert. Viele arbeiten seit März 2020 von zuhause aus, Dienstreisen sind auf ein Minimum reduziert worden. Große Veranstaltungen wie Konferenzen und Workshops, aber auch politische Gremien finden vielerorts digital statt. Der Urlaub im Sommer fand in weiten Teilen Deutschlands im näheren Umfeld statt. Durch die vielen individuellen und gemeinschaftlichen Entscheidungen haben sich nicht nur Alltagsroutinen verändert, auch die Wahrnehmung des öffentlichen Raums, insbesondere des Nahraums befindet sich im Wandel. Menschen bevorzugen vielerorts die kleinen Läden um die Ecke und Märkte an der frischen Luft anstelle der großen Shopping Malls. Und richtig viele Menschen haben in diesem Jahr das Fahrradfahren für sich entdeckt, sei es als Freizeitbeschäftigung oder als Alternative zu vollen Bussen und Bahnen.

Der Radverkehr

Die 16 Fahrradzählstellen in Berlin haben im Juni 2020 26,5 Prozent mehr Fahrräder gezählt als ein Jahr zuvor. Nach repräsentativen Umfragen nutzen während der Corona-Pandemie 32 Prozent stärker das Fahrrad. Die Gruppe der Alltagsradlerinnen und -radler ist in dieser Zeit um die Hälfte angewachsen. Wer sich heute ein Fahrrad kaufen möchte kommt zu spät und muss auf sein neues Rad warten. Insbesondere Pedelecs sind der Renner in deutschen Fahrradläden.

Politische Reaktionen

Dieses sich ändernde Mobilitätsverhalten schlägt sich auch in der Wahrnehmung des öffentlichen Raums nieder. Der Wunsch nach einer anderen Flächenaufteilung auf unseren Straßen nimmt zu. Die Politik, insbesondere die Verwaltung, hat darauf in einigen wenigen Städten reagiert, zum Beispiel mit der Schaffung von Pop-Up Infrastruktur für Radfahrende oder der Freigabe von Straßenraum für Sitzgelegenheiten der Gastronomie.

Chancen und Aufgaben für Kommunen, die StVO-Novelle

Damit sich Lebensqualität und Verkehrssicherheit durch gute Infrastruktur realisieren lassen, sind Änderungen der Straßenverkehrsgesetzgebung notwendig. Einige Verbesserungen sind in der StVO-Novelle vom Frühjahr 2020 enthalten. Verkehrsversuche sind nun leichter möglich, auch ohne Nachweis einer besonderen örtlichen Gefahrenlage. Der Sicherheitsabstand von 1,5 m beim Überholen von Radfahrerenden wurde gesetzlich festgelegt. Wenn der neue Bußgeldkatalogwieder in Kraft ist, sind die Städte und Kreise aufgefordert diesen engagiert einzusetzen.

„Stadt und Land“ - das Klimapaket

Aber auch in der Finanzierung von kommunaler Radverkehrsinfrastruktur hat sich einiges getan. Das Klimapaket der Bundesregierung stellt für den Radverkehr bis 2023 zusätzliche Mittel in Höhe von 900 Millionen Euro zur Verfügung, vorgesehen für die Schaffung von Radwegenetzen. Die Zeit bis 2023 ist knapp, deshalb fordert der ADFC die Kommunalpolitiker*innen auf, mit ihren Bürger*innen in den Dialog zu treten und gemeinsam durchgängige Radverkehrsnetze zu entwickeln. Mit geschützten Radfahrspuren auf Hauptverkehrsstraßen und verkehrsberuhigten Fahrradstraßen im Nebennetz lassen sich sehr schnell sichtbare Erfolge erzielen. Mutige Entscheidungen sind nun gefragt, denn der Platz in der Stadt ist begrenzt.

Nachmachen

Dabei muss immer gelten: auch das 10-jährige Schulkind und die 85-Jährige Oma müssen sicher Radfahren können. Erkenntnisse zu guten Radwegen und Konzepten können aus fahrradfreundlichen Städten weltweit gewonnen werden. Der ADFC hat gute Beispiele für die Anwendung in Deutschland aufbereitet: dazu gehören die „Superblocks“ in Barcelona, die „Mini-Hollands“ in London, die Radverkehrsnetze aus Paris, autofreie Tage in Stockholm und Bogota, modale Filter und niederländisches Kreuzungsdesign.

Lebenswerte Städte als Ziel

Das Jahr 2020 war ein Durchlauferhitzer für verschiedene gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Die Neuaufteilung des öffentlichen Raums, hin zu lebenswerten Städten mit viel mehr Platz für Menschen, ob als Zu-Fuß-Gehender oder Radfahrender, ist eine globale Entwicklung, die niemand mehr aufhält - mit oder ohne Corona. Jetzt sind die Kommunen aufgerufen ihre Chance zu ergreifen, wenn sie nachhaltig ihre Verkehrsprobleme in den Griff bekommen wollen. Denn eins ist klar: die lebenswerte Stadt mit attraktivem Nahumfeld und sicheren Radwegen ist die klimafreundliche, pandemiefeste und soziale Stadt der Zukunft. Resilienten Städten gehört die Zukunft.

 

Im Blog "Meine Sicht" schreiben wechselnde Autor*innen aus persönlicher Perspektive über kommunale Themen.