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Warum es richtig ist, Gemeinden neu zu gliedern

Katharina Schenk18. März 2021
Katharina Schenk
In der Veränderung liegt eine Chance, meint Katharina Schenk, Staatsekretärin im Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales. Im Gastbeitrag erklärt sie, warum sich die Neugliederung von Gemeinden lohnen kann.

Das Thema Gebietsreform ist emo­tional. Egal wo man hingeht, gleichgültig wer es anspricht – jede und ­jeder verbindet etwas mit dem Thema Gemeindeneugliederung, weil es um eine Veränderung geht, die unser direktes Umfeld betrifft. Politik wird in der Kommune erlebbar und deswegen spielt es eine kaum zu unterschätzende Rolle, ob im Rathaus noch Licht brennt, ob der Ortsname bleibt oder Bürgermeister jetzt plötzlich „nur“ noch ein Ehrenamt ist.
 
Die Neugliederung von Gemeinden zu einer größeren Einheit wird oft mit nur finanziellen Erwägungen in Verbindung gebracht – frei nach dem Motto: Eigentlich wären wir hier ein funktionierender Ort, aber das fehlende Geld nimmt uns den Raum zum Gestalten. Die vergangenen Monate habe ich mir Zeit genommen die Orte tiefer kennenzulernen, die bereits den Weg der Neugliederung gegangen sind. Ich will die emotionale Ebene verstehen und das sammeln, was an Erfahrungen gemacht wurde – im Guten wie im Schlechten – denn nur so kann ich für die Zukunft das Posi­tive aus dem ziehen, was passiert. Die Einwohner:innenzahlen schrumpfen, es wird immer schwieriger Fachkräfte zu finden, Großprojekte, die mehrere Akteur:innen involvieren, Fördermittelsuche, ein steigendes Alter der Bevölkerung, die Herausforderungen der Digitalisierung – das sind nur Schlaglichter und sie zeigen bereits, womit sich eine Kommune heute konfrontiert sieht.

Umfangreichste Reform seit den 1990er Jahren

Die Neugliederungsmaßnahmen der 6. Wahlperiode auf der Gemeindeebene waren die umfangreichsten kommunalen Strukturänderungen seit der Gebietsreform der 90er Jahre in Thüringen. Mit diesen Neugliederungen wurden wichtige Schritte eingeleitet, um den aktuellen sowie den absehbaren Herausforderungen für die kommunale Selbstverwaltung begegnen zu können. Die Gemeindegebietsreform in Thüringen hat sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt.

Und dennoch besteht weiter dringender Handlungsbedarf. Die Gemeindestrukturen in Thüringen sind durch eine erhebliche Kleinteiligkeit geprägt. Aktuell haben noch immer rund 60 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden Thüringens weniger als 1.000 Einwohner:innen und etwa 40 Prozent weniger als 500 Einwohner:innen. Mehr als 75 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden des Landes nehmen ihre Aufgaben nicht eigenständig wahr, sondern bedienen sich der Hilfe einer Verwaltungsgemeinschaft oder erfüllenden ­Gemeinde.

Das zeigt, dass die Gemeinden ausreichend groß sein müssen, um die öffentlichen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft auch in Zukunft erfüllen und effizient arbeiten zu können. Die Bildung von größeren und leistungsfähigeren Strukturen trägt dazu bei, dass die Städte und Gemeinden in Thüringen dauerhaft über die erforderliche Leistungs- und Verwaltungskraft verfügen, um die ihnen obliegenden Aufgaben sachgerecht, bürgernah, rechtssicher und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.

Traditonen werden gestärkt

Das sind die Fakten. Und trotzdem herrscht an vielen Orten die Sorge, dass man etwas verlieren könnte, wenn man sich in „neue Hände“ begibt. Es hilft daher auf dem Weg zu leistungsfähigen Strukturen in ganz Thüringen die positiven Beispiele in den Blick zu nehmen. Denn hinter den Zahlen stehen konkrete Geschichten. Da sind die Ortsteilbürgermeister:innen, die plötzlich ein Mehrbudget haben, um liebgewonnene Traditionen zu pflegen, da sind die umgesetzten Maßnahmen, die vorher lange auf der To-do-Liste standen. Da sind Verwaltungen, die zusammenwachsen und sinkender Arbeitsdruck, weil lange unbesetzte Stellen endlich besetzt werden. Da sind Vereine, die sich ­einer steten finanziellen Unterstützung sicher sein können, da ist ein Gemeinderat, der wirklich erlebt, was kommunale Selbstverwaltung bedeutet, weil eine große Gemeinschaft eben viel mehr bewegen kann als viele Einzelkämpfer:innen.

Traditionen müssen nicht aufgegeben werden, wenn man sich in einen größeren Rahmen begibt. Im Gegenteil: Die Erfahrungen zeigen, dass Traditionen gestärkt werden, wenn die großen Lasten der Verwaltung auf breite Schultern verteilt werden. Das größere regionale Denken ermöglicht mehr, als es wegnimmt. Wenn man anfragt in Ilmenau, Mühlhausen oder in Ohrdruf, dann hört man unisono, dass es sich gelohnt hat und noch lohnt. Da hört man, dass es auch emotional zuging, dass es noch Dinge gibt, die getan werden müssen, dass man noch auf dem Weg ist. Man hört auch, dass es manchmal Kummer gibt über einen verlorenen Namen einer Straße. Viel häufiger aber hört man die Geschichte, wie das, was den Ort wirklich ausmacht, gefeiert wird, auf einem Dorfplatz, der in Schuss ist, mit Kindergartenkindern, die wieder eine gut gefüllte Einrichtung besuchen und mit einer Bürgermeisterin, die gestützt wird und nicht den Mangel an Zeit und Kraft verwaltet.