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Freizügigkeit heißt auch, dass man bleiben können muss

Maria Noichl21. Juli 2017
Maria Noichl
Autorin Maria Noichl, Mitglied des Europäischen Parlamentes
Baugrund an Ortsansässige vergeben – das ist die Grundidee der sogenannten „Einheimischen-Modelle”. Aber ist das vereinbar mit dem Grundsatz, dass in Europa kein EU-Bürger diskriminiert werden darf? Das war lange fraglich, nun gibt es eine klare Antwort aus Brüssel.

Viele Vertreterinnen und Vertreter der EU berufen sich auf die vier Grundfreiheiten: den freien Warenverkehr, den freien Personenverkehr (bei welchem differenziert werden kann zwischen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der unternehmerischen Niederlassungsfreiheit), den freien Dienstleistungsverkehr sowie den freien Kapitalverkehr.

Diese vier Grundfreiheiten legen den Grundstein für die EU als großes Ganzes, oder?

Das Bleiben unterstützen

Na klar, antworte ich selbstbewusst, obwohl ich weiß, dass die Freizügigkeit der Menschen innerhalb der EU immer wieder an Verständnisgrenzen stößt. Mir ist es wichtig, den Begriff Freizügigkeit einmal von meiner Seite aus zu ­beleuchten. Freizügigkeit bedeutet für mich, dass Menschen freiwillig ihren Wohnort oder ihr Arbeitsumfeld verändern können. Dies macht die EU zu Recht möglich.
 
Doch was passiert mit den Menschen, wenn sie ihre Heimat, ihr familiäres Umfeld, ihre beruflichen Wurzeln oder ihren Ort des ehrenamtlichen Engagements behalten wollen? Wenn ihr Wunsch das Bleiben ist? Wenn dies aber durch extrem hohe Boden- und Immobilienpreise zu scheitern droht? Schützt die EU diese Menschen auch ausreichend und unterstützt ihren Wunsch zu bleiben nachhaltig?

Ein klares Ja aus Brüssel

Jetzt endlich, seit Mitte dieses Jahres, sind die jahrelangen Fragezeichen einer rechtsverbindlichen Regelung gewichen. Vergünstigtes Bauland an Einheimische zu vergeben ist rechtens. Der Diskriminierungsvorwurf, dies würde EU-Bürgerinnen und EU-Bürger aus anderen Regionen benachteiligen, ist vom Tisch.

Es dauerte rund zehn Jahre lang, bis sich die EU-Kommission, das entsprechende deutsche Bundesministerium und der Freistaat Bayern geeinigt haben. Zahlreiche Akteure haben mitgeholfen: der Eigenheimerverband Bayern e.V. mit seinem Präsidenten Wolfgang Kuhn an der Spitze, der Verband Wohneigentum mit dem Präsidenten Siegmund Schauer, zahlreiche BürgermeisterInnen und Abgeordnete. Allen sei hier an dieser Stelle für ihre Hartnäckigkeit gedankt. Das Ergebnis liegt jetzt auf dem Tisch und wartet auf seine Umsetzung: „Leitlinien für Gemeinden bei der vergünstigten Überlassung von Baugrundstücken im Rahmen des sogenannten Einheimischen-Modells“, lautet der sperrige Name.

Soziale Kriterien im Fokus

Jetzt kann rechtssicher Baugrund an Ortsansässige vergeben werden und darauf gebaut werden. Endlich sehen sich Kommunen nicht mehr mit dem ungelösten Problem der Haftung konfrontiert, das leider in einigen Regionen zu einem Stopp der Vergabe von Baugrundstücken im Einheimischen-Modell geführt hat. Jetzt sind die Rahmenbedingungen klar. Anders als beim „alten“ Einheimischen-Modell sollen jetzt stärker die sozialen Kriterien in den Fokus rücken. Dabei zählen die Kinder ebenso wie das langjährige soziale Engagement vor Ort.

Die Praxis, dass Vermögens- und Einkommensgrenzen nicht überschritten werden dürfen, bleibt. Der zentrale Punkt ist die langjährige Ansässigkeit am Ort. Nicht die Staatsangehörigkeit, nicht der rechtliche Status, sondern das langjährige Dazugehören zur Ortsgemeinschaft. Deshalb sprechen viele jetzt vom „Ortsansässigen-Modell“. Es ist ein soziales Modell. Ein Modell, das der Fortentwicklung von Wurzeln und sozialen Ankerpunkten dient.

Ein wichtiges Ziel für Europa

Mobilität einerseits ermöglichen und gleichzeitig Bleiben diskriminierungsfrei tatkräftig unterstützen ist kein Gegensatz. Als SPD-Europaabgeordnete wehre ich mich auch klar gegen das Mantra, der Markt würde alles lösen. Nein, der Markt kennt keine ideellen Werte, keine Zusammengehörigkeit, keine Heimatverbundenheit – der Markt kennt nur den Preis. Deshalb ist hier ein Eingreifen in den Markt sozioökonomisch sinnvoll.

Für uns in Bayern ist es gut ausgegangen. Die Vernunft hat gesiegt. Doch werfen wir einen Blick über die bayerischen Grenzen hinweg.

Es betrifft nicht nur Deutschland

Slowenien, ein wunderschönes Land mit direktem Zugang zum Mittelmeer. In Slowenien sind die Grundstückspreise durchschnittlich erschwinglich und nicht mit beispielsweise Oberbayern vergleichbar. Doch auch hier gibt es eine Mangelsituation, eine andere: Schiffsanlegeplätze in den Häfen. Zu alten Häusern im Hafen gehört dies traditionell einfach dazu, so wie bei uns die Bauernhöfe ihre Almen haben. Doch ist es slowenischen Kommunen erlaubt, ohne in die Diskriminierungsfalle zu tappen, diese begehrten Plätze vorrangig an Ortsansässige zu vergeben?

Ich höre Sie schon sagen: „Das ist doch nicht vergleichbar!“
Doch – das ist zu vergleichen.
Wo Mangel herrscht, steigen die Preise – und diese zu bezahlen ist nicht allen möglich.
In Starnberg oder in Portoroz – Heimat hat verschiedene Gesichter.

Die Freiheit des Kapitals birgt die Problemstellung, dass Marktpreise oft überhitzt und außerhalb der Möglichkeiten von Normalverdiener­Innen sind. Die EU muss gemeinsam mit den Mitgliedstaaten Mittel und Wege finden, allen Bürgerinnen und Bürgern ein würdevolles Leben zu ermöglichen – dort, wo sie es sich wünschen. Außerdem muss für alle gelten: Freizügigkeit ist nicht nur die Freiheit der Wahl eines neuen Wohnsitzes. Freizügigkeit muss immer auch verstanden werden als die Möglichkeit zu bleiben. Oder wie denken Sie darüber?

Der Beitrag erscheint mit Genehmigung der Landes-SGK Bayern und wurde zuerst in der DEMO, Landes-SGK Extra Bayern, veröffentlicht.

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