Frauen

„Wir müssen die Gewaltspirale durchbrechen“

Karin Billanitsch24. Juli 2020
Gewaltschutz wird in jedem Bundesland anders umgesetzt. Das ist ein Zugangshindernis für betroffene Frauen.
Familienministerin Giffey will einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für von Gewalt betroffenen Frauen durchsetzen. Wenn es wirklich so konsequent umgesetzt wird, wäre den Betroffenen geholfen, sagt Christina Runge, Gleichstellungsbeauftragte und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen im DEMO-Interview.

Wie bewerten Sie einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung?

Vorausgeschickt ist, dass Gewaltschutz in jedem Bundesland anders umgesetzt wird. Es gibt sehr unterschiedliche Finanzierungsmodelle der Beratungs- und Schutzeinrichtungen in jedem Bundesland. Die Vorhaltung und Finanzierung von Unterstützungssystemen wird von den Ländern grundsätzlich den Kommunen als freiwillige Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge zugewiesen. Aber diese Unterschiedlichkeit  ist als wesentliches Zugangshindernis für gewaltbetroffene Frauen, insbesondere für Frauen in besonderen Lebenssituationen, längst identifiziert und ein Haupthindernis für die verlässliche Arbeit der Frauenhäuser und anderer Unterstützungsangebote. Daher ist ein auf Bundesebene festgeschriebener Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung längst überfällig, zumal das Thema eine hohe gesamtgesellschaftliche Relevanz hat und einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht – von den lebenslangen individuellen Schädigungen der gewaltbetroffenen Frauen abgesehen.  Laut dem von den Vertreter*innen des Runden Tisches „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ bestellten Rechtsgutachten des Juristen Prof. Stephan Rixen von der Universität Bayreuth sind die Finanzfragen bei zahlreichen Frauenhäusern nicht gesichert, sowiei der Zugang zu den Hilfsangeboten für eine Reihe gesellschaftlicher Gruppen nicht geklärt

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht?

Ich arbeite in einem großen Landkreis in Niedersachsen. Bei uns wird das Frauenhaus, die Beratungs- und Interventionsstelle und die Beratungsstellen für Frauen und Mädchen von einem freien Träger betrieben und erhält dafür vom Landkreis und vom Land eine finanzielle Zuwendung. Ich bekomme mit, dass es dem Trägerverein viel zeitliche und personelle Ressourcen kostet, um für die ständig steigenden und schwieriger werdenden Schutz- und Beratungsbedarfe eine verlässliche Finanzierung sicher stellen zu können. Dies sind personelle Kapazitäten, die dringender und sinnvoller in der Schutz-, Beratungs- und Präventionsarbeit eingesetzt werden sollten. Mir liegt besonders eine personell verstärkte Präventionsarbeit am Herzen, die ja auch in der Istanbul-Konvention einen hohen Stellenwert hat mit einem sechs Artikel umfassenden eigenen Kapitel.

Und von dem Rechtsanspruch verspricht man sich eine konstante finanzielle Unterstützung durch den Staat bei der Erfüllung der Aufgabe durch die Kommune bzw. freie Träger?

Ja. Bislang finanziert der Bund durch ein Sonderprogramm in bauliche Maßnahmen. Aber es geht eben nur um bauliche Ausführungen, also den Bau neuer Häuser und mehr Barrierefreiheit in vorhandenen Gebäuden, um Frauen mit Handicaps den Zugang zu ermöglichen. Das ist bisher gerade in den ländlichen Regionen kaum möglich. Dort gibt es besonders große Herausforderungen. Darüber hinaus braucht es aber auch verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen für qualifiziertes Personal, das diese wichtige Arbeit leistet.

Schildern Sie bitte die Situation, die man in den ländlichen Räumen vorfindet.

Mein Landkreis, Diepholz, hat 2.000 Quadratkilometer, die Fläche des Saarlandes. Das sind unwahrscheinliche Wege, die zurückgelegt werden müssen, um die Beratungseinrichtungen zu erreichen. Unser Träger bemüht sich auch um eine Dezentralisierung, aber so etwas muss auch finanziert werden. Das hat nicht nur etwas mit Räumen zu tun, das hat auch mit Personal zu tun. Momentan wird das Personal stark gebunden durch die Klärung und Sicherung einer Finanzierung. Dieses ist in der Regel eine Mischfinanzierung aus Landes- und kommunalen Mitteln, Buß- und Spendengeldern, Tagessätzen nach SGB II und SGB XII. Ein aufwändiges und zeitraubendes und in den seltensten Fällen ein konstantes und verlässliches Finanzierungssystem.

War das Thema Finanzen schon früher Thema?

Ja, die Finanzierung ist schon immer Thema gewesen und von den Frauenverbänden in die öffentliche Debatte gebracht worden. Auch gerade der Deutsche Juristinnenbund hat sich damit auseinandergesetzt. Besonders durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention vor zwei Jahren – da geht es um die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt– ist das Thema stärker in die Öffentlichkeit gerückt worden. Nun muss es auch den Weg in eine veränderte Gesetzgebung auf Bundes- und Landesebene finden.

Wird die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten auf kommunaler Ebene jetzt auch erleichtert?

Ja, denn der Gewaltschutz ist ein großes Arbeitsfeld für uns Gleichstellungsbeauftragte und bindet auch bei uns viel personelle Ressource:  um die Trägerlandschaft zu sichern, finanzielle Mittel einzuwerben, immer wieder durch Öffentlichkeitsarbeit auf die gesellschaftliche Relevanz des Themas aufmerksam zu machen. Denn es hat eine unwahrscheinlich hohe gesamtgesellschaftliche Relevanz, und auch hohe Folgekosten für die Gesellschaft.

Bitte erklären Sie das ein wenig.

Es gibt eine Studie der Universität Cottbus, die erste bundesdeutsche Studie. Viele sagen: Häusliche Gewalt ist ein persönliches Problem. Nein, das ist es nicht! Denn wir zahlen alle mit, auch wenn wir selber nicht betroffen sind. Durch hohe Kosten im Gesundheitssystem, durch Polizeieinsätze. Es gibt hohe wirtschaftliche Folgekosten, weil Opfer häuslicher Gewalt arbeitsunfähig sind, vielleicht ganz aus dem Arbeitsprozess ausscheiden müssen aufgrund ihrer Traumatisierung. Es gibt auch viele Studien, was häusliche Gewalt mit den Kindern macht, wenn sie in einem solchen Umfeld aufwachsen. Das müssen wir stärker in die Öffentlichkeit bringen, und versuchen, diese Gewaltspiralen zu durchbrechen.

Würde der Rechtsanspruch aus Ihrer Sicht auch den Betroffenen helfen?

Wenn es wirklich so konsequent umgesetzt wird: ja, dann ist den Betroffenen geholfen. Vor allem denke ich dabei an die Rat- und Hilfesuchenden in prekären Lebenssituationen. Ihr Zugang würde sich endlich verbessern. Denn die Einrichtungen müssen nicht mehr überlegen, ob das „Finanzierungsmodell“ der Einrichtung eine Aufnahme oder andere Unterstützungsleistung auch zulässt. So wird es dann auch einfacher sein, die Schutzsuchenden nach dem individuell erforderlichem Schutzkonzept unterzubringen – auch Landkreis fremd. Dieses ist bislang nicht selbstverständlich gegeben.  In unserem Frauenhaus – dieses hat neun Plätze – dürfen laut Vereinbarung mit dem Landkreis nur zwei Plätze mit Frauen aus anderen Landkreisen belegt werden. Das führt häufig zur Abweisung von Schutzsuchenden, die aufgrund ihrer besonderen persönlichen Bedrohungssituation möglichst Wohnort fern untergebracht werden sollten. Das könnte sich künftig zum Besseren ändern.

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