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1.000 Stunden Ehrenamt: ungewöhnliche Kampagne zur Bürgermeisterwahl

Melanie Witte-Lonsing will Bürgermeisterin von Hattingen werden. Doch statt einen normalen Wahlkampf zu machen, will sie ihre Zeit lieber direkt in die Stadt investieren – mit ehrenamtlicher Arbeit. Warum sich die Aktion schon jetzt gelohnt hat, erzählt sie im Interview.

von Carl-Friedrich Höck · 19. März 2025
Melanie Witte-Lonsing Nahaufnahme

Melanie Witte-Lonsing

DEMO: Seit zehn Jahren stellt die SPD in Hattingen nicht mehr den Rathauschef. Warum ist die Ausgangslage vor der Bürgermeisterwahl 2025 eine andere?

Melanie Witte-Lonsing: Der bisherige Amtsinhaber Dirk Glaser kandidiert nicht mehr, es gibt also keinen Amtsbonus. Glaser hat sich vor zehn Jahren als parteiloser Kandidat um das Amt beworben und war in Hattingen schon vorher sehr bekannt. Große Teile seines damaligen Unterstützerumfeldes befürworten jetzt auch meine Kandidatur.

Sie führen Ihren Wahlkampf auf ungewöhnliche Weise, nämlich indem Sie 1.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit leisten. Wie ist die Aktion entstanden?

Die Idee stammt von unserer Agentur. Dazu muss man wissen: Mein Wahlkampfteam hat sich schon vor eineinhalb Jahren überlegt, dass wir nicht mit einer klassischen Politikberatungsagentur zusammenarbeiten wollten. Es gibt einen bekannten Hattinger Bürger, Uli Wilkes, der in Köln eine große Werbeagentur und Fernsehproduktionsfirma besitzt und der auch viel Marketing für unsere Stadt macht. Für mich stand schnell fest, dass er die Idealbesetzung für meine Kampagne ist, auch wenn er bisher noch nie einen politischen Wahlkampf begleitet hat. Dieses Abenteuer wollten wir eingehen.

Unser erstes Ziel war es, mich als Person bekannter machen. Deshalb haben wir auch zunächst darauf verzichtet, die Partei in den Vordergrund zu stellen. Nicht, weil ich die SPD verleugne, sondern weil ich meine Offenheit für die gesamte Stadtgesellschaft deutlich machen wollte. Von Uli kam dann der Vorschlag: „1.000 Stunden Ehrenamt“. Ich bin mittlerweile seit einem halben Jahr unterwegs, habe bereits knapp 600 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet und kann sagen, dass die Idee voll aufgegangen ist. Die Kampagne hält uns über ein Jahr hinweg dauerhaft im Gespräch und sorgt dafür, dass ich immer wieder spannende Begegnungen habe.

Sie erklären auf Ihrer Website, dass auch ein klassischer Wahlkampf um die 1.000 Stunden in Anspruch nimmt und Sie diese Zeit direkt lieber in Hattingen investieren wollten. Welcher Gedanke liegt dem zugrunde?

Unser Berater hat uns klargemacht: Ihr kommt aus einer Situation, in der es viele Vorbehalte gegen Politiker gibt. Du musst die Menschen zuerst als Mensch überzeugen, bevor Sie dir die Kompetenz zuschreiben, eine Stadt nach vorne zu bringen. Deshalb haben wir die Aktion im September 2024 gestartet mit dem Motto: „Zeit zum Kennenlernen“.

Sie haben jetzt 600 Ehrenamts-Stunden geschafft. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Zum einen habe ich viele Menschen kennengelernt. Ich mache seit 30 Jahren in dieser Stadt Kommunalpolitik. Trotzdem war ich überrascht herauszufinden, wie gut die Vereine aus unterschiedlichen Bereichen miteinander vernetzt sind. Jetzt kann ich die engagierten Menschen in unserer Stadt noch besser zuordnen. Ich weiß mehr darüber, wo in der Zivilgesellschaft der Schuh drückt und welche Dinge besonders gut laufen.

Welche Erlebnisse haben sich Ihnen besonders eingeprägt?

Ein Beispiel war mein Besuch bei der Ortsgruppe des Fahrradclubs ADFC. Bei dem Termin habe ich ein Rikscha-Projekt kennengelernt. Es geht darum, mit Menschen, die in Pflegeheimen untergebracht sind oder zuhause gepflegt werden, mobil zu sein. Etliche Vereine und die Sparkasse unterstützen das Projekt. Die Hattinger Pflegeheime machen mit, der ADFC koordiniert die Einsätze, und ist wiederum mit dem ambulanten Hospizdienst vernetzt. Also haben wir Menschen, die in ihren Wohnungen palliativ versorgt werden, mit der Rikscha kurz vor ihrem Lebensende an bestimmte Orte gefahren, mit denen sie wichtige Erinnerungen verbinden: weil sie hier zum Beispiel mal gewohnt haben oder der Ehepartner dort zur Arbeit gegangen ist. Wenn man die Reaktionen der Menschen erlebt, geht einem das Herz auf.

Melanie Witte-Lonsing

Es ist wichtig, dass ich jetzt schon Kontakte knüpfe und als Bürgermeisterin nicht erst Vorstellungsbesuche machen muss.

Sie wollen Bürgermeisterin werden. Betrachten Sie die 1.000 Stunden Ehrenamt auch als Vorbereitung für das angestrebte Amt?

Na klar!

Inwiefern?

Mein Eindruck ist, dass die Verwaltung sich seit Jahren weitgehend selbst überlassen ist, weshalb Hattingen sich im Dornröschenschlaf befindet. Das wird von den Menschen auch wahrgenommen. Die Verwaltung macht ihre Arbeit, aber es gibt kaum noch Ideen und Projekte, um die Stadt nach vorne zu bringen. Ich will das ändern. Wenn es mit der Wahl zur Bürgermeisterin klappt, werde ich nach Amtsantritt nicht mehr so viel Zeit haben, um auf alle Sportlerehrungen und Veranstaltungen zu gehen, weil meine Hauptaufgabe dann der Umbau der Verwaltung sein wird. Deshalb ist es wichtig, dass ich jetzt schon Kontakte knüpfe und als Bürgermeisterin nicht erst Vorstellungsbesuche machen muss. Außerdem habe ich gelernt, wie die Förderung von Projekten bei uns funktioniert. Ich denke, dass wir bereits mit kleinen Umstrukturierungen dafür sorgen können, dass bei den Vereinen und Organisationen viel mehr Unterstützung ankommt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir haben Bürgervereine, die Stadtteilfeste organisieren. Wer ein kleines Fest an einem Sonntagnachmittag plant, muss bei mindestens fünf unterschiedlichen Abteilungen vorstellig werden. Da muss beim Ordnungsamt die Sondernutzungserlaubnis eingeholt werden, die GEMA muss beantragt werden, die Veranstaltung muss beim Stadtmarketing angekündigt und mit der Feuerwehr abgestimmt werden. Für einen kleinen Verein ist das ein zermürbender Aufwand. Das kann man besser machen.

Wollen Sie mit den Ehrenamts-Terminen auch bestimmte politische Themen setzen?

Ich möchte das gar nicht direkt verknüpfen. Wenn ich soziale Vereine, Sportvereine usw. besuche, mache ich das nicht, weil es mir in Bezug auf ein bestimmtes politisches Thema nützt. Das wäre auch kein guter Umgang mit den Vereinen. Aber natürlich liegt es mir am Herzen, das Ehrenamt zu fördern.

Was wollen Sie darüber hinaus in Hattingen verändern?

Ein wichtiges Thema ist die Infrastruktur. Wir haben einen großen Investitionsstau bei unseren Gebäuden, bei Schulen und Kitas. Um das abzuarbeiten, müssen wir die Verwaltung neu aufstellen und das Personal effizienter einsetzen.

 

Mehr zur Aktion „1.000 Stunden für Hattingen”:
witte-lonsing.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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