Anträge auf den deutschen Pass stapeln sich
Peter Schlotzer arbeitet in der Einwanderungsbehörde des Regierungspräsidiums Darmstadt. Er ist außerdem Dozent für Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrecht. Somit kennt er die Entwicklung des Einbürgerungsgesetzes seit Ende der 1990er Jahre recht genau. Die jüngste Änderung ist erst zwei Jahre alt. Großartige Steigerungsraten bei den Anträgen auf eine Einbürgerung habe es in den 20 Jahren nicht gegeben, berichtet er.
Mehr als 40 Prozent sind über zehn Jahre in Deutschland
Tarik Tabbara ist Professor für Öffentliches Recht in Berlin. Er ergänzt: Obwohl die Zahl der Neuzuwanderung seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich steige, bleibe die Quote der Einbürgerung gering. Nur jeder dritte Person über 20 Jahre mit Migrationshintergrund habe einen deutschen Pass. Tabbara hat für den Mediendient Integration in einer Analyse festgestellt: Im Verhältnis zu 1998 (als das neue Staatsbürgerschaftsrecht eingeführt wurde) ist die Zahl der ausländischen Staatsbürger*innen in Deutschland um etwa 60 Prozent gestiegen – von sieben auf rund elf Millionen Menschen. Mehr als 40 Prozent von ihnen leben seit mehr als zehn Jahren in Deutschland.
Schlotzer und Tabbara erwarten die angekündigte Novelle mit einiger Spannung. Denn mit der Verkürzung der Aufenthaltszeit von acht auf fünf Jahre bekämen allein von der Statistik „sehr viel mehr Personen Anspruch auf einen deutschen Pass“, sagt Schlotzer. Noch viel größere Auswirkung werde jedoch haben, dass eine Mehrstaatlichkeit in der Zukunft zulässig sei. Schlotzer rechnen mit „einem sehr großen Andrang“ aus der türkischen Bevölkerungsgruppe. Dort ist der Wunsch nach einer doppelten Staatsbürgerschaft besonders groß.
Einbürgerungslotsen erleichtern Migrant*innen und Behörden die Arbeit
Bei der Bearbeitung der Einbürgerungsanträge gebe es jedoch „ein praktisches Problem“. Wie bei den Wohngeld-Ämtern herrscht auch bei den Ausländerbehörden Personalmangel. Außerdem habe der Gesetzgeber bislang darauf verzichtet, einheitliche Verwaltungsvorschriften zu erlassen, so dass in den Bundesländern die Einwanderungswege unterschiedlich geebnet seien. Irem Gündüz von der Stadt Bremen berichtet, dass Einbürgerungslotsen auch dazu dienten, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Die Bremer Einbürgerungslotsen unterstützen und begleiten seit 2018 Migrant*innen auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft.
Erst wenn sämtliche Unterlagen vorlägen, würden die Anträge eingereicht. Das erübrige zeitaufwändiges Nachfragen der Behörde und verhindere eine Ablehnung, weil Dokumente, insbesondere Herkunftsnachweise, fehlten. Die Quote der abgelehnten Einbürgerungsanträge sei wegen der guten Vorbereitung gering, so ihre Beobachtung, Klagen vor Gericht aus dem gleichen Grund eher selten. Mit Zahlen lässt sich das nicht belegen. „Wir führen keine Ablehnungsstatistik. Deswegen wissen wir das nicht“, so Professor Tabbara.
In Gelsenkirchen hat sich die Zahl der Einbürgerungen verdoppelt
Seit 2021 steigt die Zahl der Einbürgerungen. Grund dafür ist laut der vom Mediendienst Integration veröffentlichten Studie, dass viele Geflüchtete (insbesondere aus Syrien und dem Irak) inzwischen länger als acht Jahre in Deutschland leben und deshalb berechtigt sind, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Die Zahl der Einbürgerungen steigt nicht überall gleichmäßig: In etwa der Hälfte der deutschen Städte, die der Mediendienst angefragt hat, gab es deutlich mehr Einbürgerungen. In Braunschweig, Bremen, Dresden und Düsseldorf ist die Zahl der Einbürgerungen im Jahr 2022 um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – in Münster und Wuppertal um jeweils 40 beziehungsweise 56 Prozent. In Gelsenkirchen hat sie sich sogar verdoppelt.
In fast allen Städten kommen die meisten Neubürger*innen aus Syrien. In Bremen waren es etwa die Hälfte aller eingebürgerten Personen im Jahr 2022. Viele Neu-Eingebürgerte kommen auch aus dem Irak, der Türkei und dem Iran. Unter den EU-Staatsbürger*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, stammten viele aus Polen und Rumänien. Noch stärker als die Zahl der Einbürgerungen wächst die Zahl der Einbürgerungsanträge. In Köln und Dresden hat sich diese innerhalb von einem Jahr verdoppelt, in Bielefeld sogar verdreifacht.
In Berlin warten 26.000 Anträge auf eine Bearbeitung
Die Wartezeiten variieren sehr stark von Fall zu Fall, wie die Städte bekanntgaben. Mehrere Städte (Augsburg, Braunschweig, Essen, Hamburg, München, Münster) geben eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von rund einem Jahr an. Andere wie etwa Aachen, Bremen, Karlsruhe und Stuttgart schätzen die durchschnittliche Bearbeitungszeit auf rund 1,5 Jahre. Chemnitz hat die längste Zeitspanne angegeben: Zwischen 6 und 36 Monaten. In allen Städten stapeln sich laut Mediendienst mehrere tausend Anträge – am meisten in Berlin (etwa 26.000 offene Anträge), Hamburg (rund 19.000) und München (etwa 10.000). Insgesamt sind in den 22 Städten, die Daten geliefert haben, mehr als 115.000 Anträge in Bearbeitung.
Die Städte suchen nach Abhilfen: In Bielefeld und München können Interessierte den Antrag bereits digital stellen. Weitere Städte wie Bonn, Braunschweig, Essen und Gelsenkirchen möchten auf digitale Antragstellung umstellen. In Wuppertal können Einbürgerungsanträge per E-Mail gestellt werden. Braunschweig und Chemnitz prüfen per E-Mail, ob die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllt sind. Viele Städte haben neue Stellen geschaffen, können diese aber nicht immer besetzen. Einige Städte wie Hannover haben deshalb die Anforderungen in Bezug auf Qualifikationen der Bewerber*innen reduziert.
Düsseldorf verdoppelt Zahl der Einbürgerungen
In Leipzig wurde Anfang 2023 ein eigenes Sachgebiet für Einbürgerung gegründet, das eine fortlaufende Prozessanalyse und -verbesserung ermöglicht. Auch der Berliner Senat plant im Landesamt für Einwanderung eine zentrale Zuständigkeit für Einbürgerungen mit 120 neuen Stellen. Dank Personalaufstockung und Digitalisierung hat Düsseldorf zum Beispiel die Einbürgerungszahlen innerhalb der letzten Jahre verdoppelt: Im Jahr 2022 wurden rund 3.000 Personen eingebürgert. Vor Pandemiebeginn gab es durchschnittlich 1.500 Einbürgerungen pro Jahr.
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu