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„Der Bund sollte den Kommunen Anreize geben, sich ein Kommunales Kino zu leisten”

Was können Kommunale Kinos leisten? Und wie steht es um die Lichtspielhäuser nach einem Jahr Corona-Pandemie? Die DEMO hat Andreas Heidenreich gefragt, den Vorsitzenden des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit e.V.
von Carl-Friedrich Höck · 20. Mai 2021
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Herr Heidenreich, eine Frage vorneweg: Was genau ist ein Kommunales Kino?

Andreas Heidenreich: Was ein Kommunales Kino ausmacht, lässt sich nicht in einem Satz beantworten. Das Konzept geht wesentlich auf Hilmar Hoffmann zurück, der Anfang der 1970er Jahre Kulturdezernent in Frankfurt am Main war – die Idee war damals, das Konzept noch in 150 weitere Städte zu übertragen. Allerdings wurde die Verwirklichung der Idee oft missverstanden und politisch stiefmütterlich behandelt. Kommunales Kino – mit großen K – ist so ein Eigenbegriff und bedeutet heute leider nicht, dass zwangsläufig die Kommune das Filmtheater betreibt. Oft stellt die Stadt nur die Räumlichkeiten, an manchen Orten gibt die Kommune überhaupt keine Zuschüsse. Dennoch gibt es dort Initiativen, die oft in prekären Verhältnissen dafür sorgen, dass die Kinokultur dort Fuß fassen kann.

Organisatorisch gibt es eine riesige Bandbreite: von Genossenschaften über Vereine bis hin zu wirklich im Kulturamt einer Stadt verankerten Institutionen, Volkshochschulkinos oder Uni-Kinos. Es gibt Kinos großer Filmmuseen oder Bürgerinitiativen, die den Betrieb aufrechterhalten wollten, nachdem das letzte Kino der Stadt geschlossen hat. Manche können ihre Mitarbeiter angemessen bezahlen, andere betreiben das Kino notgedrungen ehrenamtlich.

Gemeinsam ist allen, dass sie versuchen ein besonderes Programm anzubieten. Auch hier gibt es von Ort zu Ort Unterschiede – ein Kommunales Kino in einer Großstadt macht ein anderes Programm als eine Einrichtung wie wir in Weiterstadt, die dort das einzige Kino im Ort ist. Wesentlich ist aber, dass man ein Programm macht, das divers und nicht gewinnorientiert ist, ein bildendes und diskussionsförderndes Programm, dass man Filmen eine Chance gibt, die es ansonsten schwer haben, und diese in einen Zusammenhang stellt. Bei der Auswahl der Filme steht die Frage im Vordergrund: Was will man vermitteln?

Darüber hinaus beschäftigen uns als Kinos und Verband viele Themen, für die es schwierig ist, Gehör zu finden. Ein Beispiel: Wir finden es gut und wichtig, dass die Filmgeschichte durch die Digitalisierung sichtbar gemacht wird. Es reicht dabei aber nicht, die Filme nur zu digitalisieren. Man muss den Kinos auch nahebringen, diese dann auch zu spielen, etwa mit einer Messe für Filmgeschichte und zu vernünftigen Konditionen. Und es ist extrem wichtig, dass auch das analoge Filmerbe erhalten wird und die Möglichkeiten, dieses abzuspielen. Das ist eine Mammutaufgabe, bei der man gegen Windmühlen kämpft.

Auch wenn die Kinos nicht gewinnorientiert arbeiten, sind sie auf Einnahmen angewiesen, um ihre Kosten zu decken. Die Ticketerlöse fallen aber seit vielen Monaten wegen der Corona-Krise aus. Wie steht es um die Kinos finanziell?

Das Thema Geld beschäftigt die Kommunalen Kinos seit vielen Jahren, nicht erst seit Corona. Viele davon kämpfen seit langem darum, ausreichend finanziert zu werden. Ein gut finanziertes Kommunales Kino ist für die Gewerblichen auch keine Konkurrenz, denn ohne ökonomischen Druck kann man experimentieren und Nachwuchsfilme zeigen oder Filme aus unbekannteren Ländern und Formate und Kinematografien aufbauen, die dann vielleicht ja auch ihren Weg in andere Kinos finden. Aktuell werden wir gerne übersehen, so wurde der BKM-Programmkinopreis in der Pandemie deutlich erhöht, während der Kinopreis des Kinematheksverbunds, der an nicht-gewerbliche Kinos geht, immer noch auf einem sowieso schon viel zu niedrigen Level geblieben ist.

Corona ist natürlich ein Problem für die gesamte Branche, und einige Kinos werden nicht wieder öffnen. Von einem Massensterben der Kinos gehe ich aber nicht aus. Die staatlichen Maßnahmen wie Überbrückungshilfen oder die Gelder aus dem Programm „Neustart Kultur“ helfen nicht allen, aber sie helfen. Ein Problem ist aber: Viele Kultureinrichtungen finanzieren sich mit den Einnahmen aus den Wintermonaten und können damit den Sommer überleben. Wenn man im Winter nur am Leben gehalten wird, aber keinen Gewinn machen kann, lassen sich keine Rücklagen aufbauen. Das könnte im Sommer noch zum Problem werden, wenn die Kinos zwar wieder öffnen, die Einnahmen aber trotzdem nicht reichen um die Kosten zu decken.

Der Lockdown trifft übrigens nicht alle gleichermaßen. Wenn ein ehrenamtlich geführtes Kino zu ist und keine Raummiete bezahlt werden muss, fällt kaum ein Minus an. Aber hier stellt sich die Frage: Wie hält man Ehrenamtliche? Festangestellte, die man in Kurzarbeit schicken konnte, sind nach dem Lockdown noch da. Aber Minijobber, die weg sind, kommen nicht unbedingt wieder. Und Ehrenamtliche wieder zu motivieren, die oft selbst zu Risikogruppen gehören? Wenn die Kinos wieder öffnen, werden manche nicht genügend Filmvorführer*innen oder Kassierer*innen haben.

Viele Kommunen gehen davon aus, dass sie bei ihren „freiwilligen Aufgaben“ demnächst den Rotstift ansetzen müssen. Das dürfte der Kulturbereich besonders zu spüren bekommen. Wie fällt Ihr Blick in die Zukunft aus?

Das Geld wird tatsächlich weniger. Dem Filmmuseum München wurde der Etat im letzten Jahr um mehr als ein Viertel gekürzt. Andere erleben das in diesem Jahr. Da kann schnell eines zum anderen führen. Ein Beispiel: In Baden-Württemberg gibt es eine Komplementärförderung durch das Land. Wenn in Heidelberg 15 Prozent von der Stadt gestrichen werden, fallen auch 15 Prozent vom Land weg.

Eigentlich müsste es jetzt heißen: Es ist die Stunde für die Idee von Hilmar Hoffmann gekommen, dass Kinos gut gefördert werden! Die Kinokultur muss erhalten bleiben. Bei großen Theatern wird diese Förderung als selbstverständlich wahrgenommen. Es geht auch darum Diversität abzubilden. Wo sind afrikanische, asiatische oder lateinamerikanische Filme bisher groß gelaufen? Wo wird die Filmgeschichte präsent gehalten? In den Kommunalen Kinos! Filmbildung ist ein weiteres Thema. In Kommunalen Kinos kann man lernen, wie Filme funktionieren, wie bewegte Bilder auch manipulieren können. In der Schule gibt es Kunst- und Musikunterricht oder Literaturanalysen, aber der Film kommt oft zu kurz. Und wo können Kinder spielerisch, Jugendliche engagiert und Erwachsene ebenso die Filmsprache lernen zu lieben wie Literatur und Kunst?

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten: Was soll passieren, damit der Neustart der Kinos nach dem Lockdown gelingt?

Es sollte einen möglichst einheitlichen Neustart geben und keinen Flickenteppich. In anderen Ländern klappt das ja auch. Ein einheitlicher Termin ist wichtig für das Publikum und die Branche. Man startet ja das Kino nicht von heute auf morgen. Eine Werbekampagne für die Kinos oder für einzelne Filme zu starten lohnt sich nicht, wenn nur ein Bruchteil der Kinos offen ist. Die Kommunalen Kinos arbeiten ja nicht nur mit Filmpremieren, sondern auch mit Filmgeschichte. Da liegen, ähnlich den städtischen Galerien, oft kuratierte Filmreihen seit November auf Halde. Die aufwändig besorgten Archivkopien müssen möglichst bald eingesetzt werden. Dennoch: Auch hier kann man nicht von Null auf Hundert hochfahren, viele arbeiten mit Monatsprogrammen, und gerade bei Filmen, die nur in wenigen Vorstellungen gezeigt werden können und dafür hohe Gebühren kosten, braucht das Publikum mehr Planungszeit und das Kino wirtschaftlich vernünftige Auflagen.

Außerdem wird es etwas dauern, bis die Besucher wieder Vertrauen aufbauen. Im letzten Jahr kam gerade besonders das ältere Publikum oft erst einzeln ins Kino und hat geguckt: Fühlt man sich hier wohl und sicher? Beim zweiten Mal kamen sie dann wieder gemeinsam. Da muss man sagen, dass Kino wirklich ein sicherer Ort ist, mit funktionierenden Hygienekonzepten.

Gut funktionierende Kommunale Kinos sind nicht nur eine Aufgabe der Kommunen. Eigentlich müsste auch der Bund ein Interesse daran haben, dass es flächendeckend anspruchsvolles und bildendes Kino gibt. Kino, das auch der ganzen Branche Impulse geben kann. Der Bund sollte den Kommunen Anreize geben, sich ein Kommunales Kino zu leisten. Kino ist eine Kunstform, dieser Stellenwert muss noch mehr ins Bewusstsein gerückt werden.

 

Mehr Informationen:
kommunale-kinos.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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