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Hirschberg: Bürgermeister verzweifelt gesucht

In der thüringischen Stadt Hirschberg findet sich bislang niemand, der das politische Ehrenamt übernehmen will. Obgleich ein Einzelfall, wirft er ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, mit denen die Rathauschef*innen zu kämpfen haben.

von Karin Billanitsch · 6. November 2024
Hirschberg

Im Thüringischen Städtchen Hirschberg ist ein Bürgermeisterposten zu vergeben. 

Auf der Internet-Seite der thüringischen Stadt Hirschberg sucht man vergeblich nach einem Bürgermeister oder einer Bürgermeisterin: Unter dem entsprechenden Link steht lediglich: „Sprechzeiten – jederzeit nach Vereinbarung“. Im Sommer 2024 verabschiedete sich der langjährige Amtsinhaber Rüdiger Wohl (SPD) in den Ruhestand. Seitdem hat sich niemand gefunden, der den Posten übernehmen will. Nun ist lediglich der Name von Patricia Duch als stellvertretende Bürgermeisterin aufgeführt. Sie steht derzeit kommissarisch an der Spitze der Kommune. 

Im ersten Wahlgang Ende Mai fehlte es an konkreten Wahlvorschlägen. Wenn das passiert, dann dürfen die 2.200 Einwohner*innen ihre Vorschläge auf dem Wahlzettel notieren. Roland Schricker (parteilos) und Benjamin Lill waren die beiden Namen, die dabei am häufigsten genannt wurden. In der folgenden Stichwahl im Juni gewann Schricker, der in der Stadtverwaltung arbeitet. Er lehnte jedoch das Amt ab. Im Oktober folgten ein weiterer Urnengang und eine Stichwahl. Schricker kam auf 72 Prozent. Nach einer Woche Bedenkzeit hat er nach Auskunft der Stadtverwaltung am gestrigen Montag wieder abgeleht. Einen erneuten Wahlgang soll es nun 2025 geben. 

Große Spanne bei Aufwandsentschädigungen 

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge lehnte Schricker ab, weil er von der Aufwandsentschädigung allein nicht leben könne. Seine Stellung bei der Stadtverwaltung könnte er nicht beibehalten. Eine solche Doppelfunktion ist nach Prinzipien der allgemeinen Verwaltung nicht möglich, um potenzielle Interessenskonflikte zu vermeiden. 

Hirschberg ist ein verzwickter Einzelfall. Er gibt aber Anlass, die Herausforderungen rund um das Ehrenamt näher in den Blick zu nehmen. Die Studie des Zentrums für Interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) der Ruhr-Universität Bochum, die kürzlich veröffentlicht wurde, beleuchtet nach eigenen Angaben „Probleme, Rahmenbedingungen und Potenziale“ des politischen Ehrenamts. Insgesamt haben demnach insgesamt 10.788 Kommunen in Deutschland (ohne Hamburg, Bremen und Berlin) 6.451 – also knapp 60 Prozent – eine*n ehrenamtliche*n Rathauschef*in 

Die Autoren Jörg Bogumil, David H. Gehne und Louisa Anna Süß haben unter anderem auch die Aufwandsentschädigungen unter die Lupe genommen und dabei große Unterschiede aufgedeckt: Ein ehrenamtlicher Bürgermeister in einer Kommune mit 5.000 Einwohnern in Bayern kann über 6.000 Euro Entschädigung enthalten, während ein Kollege in Sachsen-Anhalt in einer gleich großen Kommune nur 1.000 Euro bekommen könnte. Diese Regelungen seien allerdings eher hypothetisch, da die meisten Kommunen in diesen beiden Bundesländern deutlich kleiner seien. „Aber die große Spannweite wird exemplarisch deutlich“, so die Autor*innen. 

„Ich habe nicht den Eindruck, dass die Aufwandsentschädigung bei den klassischen Ehrenamtlichen, die sich im Rat engagieren, ausschlaggebend ist, ob sich jemand kommunalpolitisch einbringt oder nicht, es mag ein kleiner Ausschnitt sein“, sagt Anne Haller, Leiterin der KommunalAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung, gegenüber der DEMO. In der Praxis spielten viele Faktoren eine Rolle. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf Nordrhein-Westfalen, wo gerade diskutiert werde „inwiefern man Rahmenbedingungen für das politische Ehrenamt so gestalten kann, dass die Vereinbarkeit mit dem Berufs- und Privatleben einfacher wird. Zum Beispiel indem Sitzungen zeitlich begrenzt werden, oder Freistellung vom Job leichter möglich ist.“

Hauptmotivation: die Kommune gestalten

Die Ergebnisse der Bochumer Studie weisen in dieselbe Richtung: In der Wahrnehmung der Befragten wiegt das Thema „Familie und Privates kommen zu kurz“ am schwersten, gefolgt von „Privatleben wird öffentlich“ und „begrenzte Gestaltungsmöglichkeiten“. Weniger oft wird die unzureichende finanzielle Aufwandsentschädigung genannt. Durchschnittlich wenden demnach die ehrenamtlichen Rathauschefs und -chefinnen 20 Stunden pro Woche für ihr Amt auf. 

Auch wenn es hin und wieder wie in Hirschberg dazu kommt, dass es im Vorfeld einer Direktwahl keine Kandidat*innen gibt, so haben die Wissenschaftler*innen „keine Fälle gefunden, in denen es zu keiner Besetzung des Amtes des ehrenamtlichen Bürgermeisters kam, also Positionen dauerhaft frei bleiben“. 

Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, warum sich jemand dafür entscheidet, als Bürgermeister*in zu kandidieren. Der weitaus am häufigsten genannte Beweggrund ist für drei Viertel der Befragten, „mit ihrer Kandidatur das Bild der Kommune nachhaltig zu gestalten“. 

„Menschen die Kommunalpolitik machen, wollen etwas verändern“, betont Anne Haller. „Es gibt an vielen Orten großartige, engagierte Menschen, die die Herausforderungen auf sich nehmen, weil sie erleben, dass es ihnen gelingt, mit ihrem Engagement ihre Stadt besser zu machen und etwas zu bewirken.“ Vielleicht auch demnächst in Hirschberg. 

Der Text vom 29.10.24 wurde am 6.11.24 aktualisiert. 

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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