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Studie sieht Reformbedarf beim Bürgergeld

Laut einer neuen Studie geben die Jobcenter immer mehr Geld für Verwaltungsausgaben aus, während Mittel für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt stagnieren. In den Koalitionsverhandlungen spielt das Thema Bürgergeld aktuell auch eine Rolle. Der Landkreistag fordert eine Milliarde zusätzliche Mittel. 

von Karin Billanitsch · 17. März 2025
Screenshot Jobcenter

Website der Bundesagentur für Arbeit

Um das Thema Bürgergeld wird aktuell heiß diskutiert. Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz fordert eine radikale Reform des Systems. In den Koalitionsverhandlungen spiele das Bürgergeld eine Rolle, bestätigte am Montag SPD-Generalsekretär Matthias Miersch (SPD). Dabei gehe es um Fragen der Effizienz und auch darum, „wie man überhaupt die Leute in Arbeit bekommt“. Das werde in den Koalitionsverhandlungen noch ausgefeilt.

Viel Geld fließt in Verwaltung

Passend zum Thema hat die Bertelsmann Stiftung eine neue Publikation veröffentlicht, in der eine umfassende Reform des Bürgergelds gefordert wird. Das Konzept des Förderns und Forderns komme auf beiden Seiten zu kurz, sagte Roman Wink, Arbeitsmarktexperte der Stiftung und einer der Mitautoren anlässlich der Veröffentlichung der neuen Publikation „Bürgergeld: Anspruch, Realität, Zukunft“. „Seit Jahren geben die Jobcenter immer mehr Geld für das Verwalten aus und deutlich weniger für Maßnahmen der Arbeitsförderung“, lautete die Kritik. 

Ein Blick in die Statistik zeigt: 2024 hatten die Jobcenter rund 10,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Laut der Analyse sind die Kosten für die Verwaltung um rund 40 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro gestiegen, während die Mittel zur Förderung der betroffenen Kund*innen der Jobcenter bei 3,8 Milliarden Euro stagnieren. Dabei gibt es aber auch große Unterschiede von Ort zu Ort: Einige Jobcenter verschöben bis zu 70 Prozent der ihnen zur Verfügung stehenden Gelder in die Verwaltung, heißt es. 

Allerdings haben die Jobcenter die Wahl: Werden finanzielle Mittel in die Verwaltung verschoben, bedeutet das, dass die Eingliederung stärker durch eigenes Personal erbracht wird als durch zugekaufte Arbeitsmarktdienstleistungen.

Mehr Fördern und Fordern

Die Autoren plädierten dafür, einen stärkeren Akzent auf das „Fördern und Fordern” der Betroffenen zu setzen. „44 Prozent der arbeitslosen Bürgergeldempfänger*innen haben mindestens zwei Vermittlungshemmnisse“, erläuterte Wink, beispielsweise fehlende Berufsabschlüsse oder gesundheitliche Einschränkungen. Daher brauche es eine gezielte und individuelle Förderung, um sie an den Arbeitsmarkt heranzuführen.

Es sei zudem wichtig, die Menschen schon zu Beginn des Bürgergeldbezugs stärker zu aktivieren und sie „unmittelbar nach Antragstellung“ in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einzubinden. 

Moderate Sanktionen

Auf der anderen Seite würden die Sanktionen in der Praxis „kaum genutzt“, stellte Wink fest. Konkret gab es laut der Publikation im November 2024 29.612 erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit mindestens einer Leistungsminderung. Das ist eine Quote von 0,8 Prozent bezogen auf alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. 

Dass die Zahl der Sanktionen in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, hat aber mehrere Gründe: Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht 2019 eingegrenzt, wie hart mögliche Sanktionen ausfallen dürfen. Außerdem gab es Eindämmungsmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie. 

Die Bertelsmann-Experten sprachen sich für „moderate“ Sanktionen aus. In der Arbeitsmarktforschung zu Sanktionen habe sich gezeigt, wenn die Sanktionswahrscheinlichkeit moderat, also weder vergleichsweise gering noch übermäßig hoch sei, dann stiegen Beschäftigungsqualität und Einkommen längerfristig. Bei hoher Sanktionswahrscheinlichkeit würden dagegen eher Jobaufnahmen auf Helfer- und Anlernniveau ansteigen. 

Mehr Transparenz

„Wie viele Menschen die Jobcenter am Ende in Arbeit bringen, spielt eine untergeordnete Rolle”, kritisierte Roman Wink außerdem. „Eine wirkungsorientierte Steuerung oder auch nur Transparenz über den Zusammenhang zwischen Mittelausstattung und dem Erfolg der Jobcenter gebe es nicht. Der Experte hält deshalb mehr Transparenz für dringend erforderlich. 

Auch für eine einfachere Struktur des Sozialleistungssystems sprechen sich die Autoren aus. Nicht der Lohnabstand zum Bürgergeld an sich ist für sie das Problem: Personen, die arbeiten, hätten immer mehr Einkommen als diejenigen, die nicht arbeiten, stellen sie fest.

Allerdings sehen sie fehlende Anreize für Aufstocker*innen, das Bruttoeinkommen zu steigern. Die Autoren rechnen vor, dass mit steigendem Bruttoverdienst nicht nur das Bürgergeld weniger wird, sondern auch Wohngeld und Kinderzuschlag abschmelzen.

„Mehrarbeit lohnt oft nicht“

„Mehrarbeit lohnt sich oft nicht. Deshalb brauchen wir anreizstarke Leistungen aus einem Guss”, sagt Eric Thode, Mitautor der Studie. „Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag sollten so zusammengeführt werden, dass zusätzliches Arbeitseinkommen nicht mehr fast vollständig vom Leistungsanspruch abgezogen wird.“ 

In Deutschland bekommen aktuell 5,4 Millionen Menschen Leistungen aus dem Bürgergeld. Davon stehen etwa 2,7 Millionen Personen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil sie derzeit nicht erwerbsfähig sind, heißt es in der Studie. Darunter sind Menschen, die sich in einer Aus- oder Weiterbildung befinden oder Angehörige pflegen, und auch viele Kinder.

Landkreistag: Bürgergeld neu aufstellen

Mit Blick auf die kommende Legislatur hat der Landkreistag kürzlich seine Erwartungen an die Bundespolitik mit Blick auf das Bürgergeld formuliert: Unter dem Titel „Bürgergeld neu aufstellen“ fordert der kommunale Verband, den Jobcentern müssen ausreichende finanzielle Ressourcen sowohl im Verwaltungskostentitel als auch im Eingliederungstitel zur Verfügung stehen. Wegen steigender Kosten für Personal, Liegenschaften, Ausstattung, Digitalisierung und der politisch geforderten Fortführung des Job-Turbos hält der Landkreistag zusätzliche Mittel in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro für erforderlich.

Darüber hinaus sollen müssen die Mitwirkungspflichten bei derIntegration in Arbeit „wieder intensiviert“ werden, heißt es. Insbesondere bei einer Totalverweigerung sieht der Landkreistag Regelungsbedarf. „Auch das Nichterscheinen zur ersten Gesprächseinladung ohne wichtigen Grund sollte mit einer Leistungsminderung belegt
werden können“ so die Forderung. 

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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