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Unterbringung von Geflüchteten: Nur noch wenige Kommunen sind überlastet

12. November 2025 13:24:06

Die Aufnahme von Geflüchteten bleibt für die meisten Städte und Gemeinden herausfordernd. Aber nur noch jede zehnte Kommune sieht sich mit der Unterbringung überlastet, zeigt eine Befragung. Sie liefert auch neue Erkenntnisse zur Bezahlkarte.

Unterkunft für Geflüchtete in Potsdam

Unterkunft für Geflüchtete in Potsdam

Die Lage bei der Unterbringung von Geflüchteten hat sich für viele Kommunen entspannt. Das zeigt eine Expertise des Mediendienstes Integration und der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim, die am 12. November veröffentlicht wurde. Die Datengrundlage bildet eine Online-Befragung, an der knapp 900 Kommunen teilgenommen haben.

Nur noch 11 Prozent der Kommunen gaben an, dass sie mit der Unterbringung von Geflüchteten überlastet oder gar „im Notfallmodus“ seien. Bei vorangegangenen Befragungen hatten das noch 40 Prozent (2023) beziehungsweise 23 Prozent (2024) geantwortet. Die Hälfte der befragten Kommunen meldete, dass sich die Situation im vergangenen Jahr verbessert habe.

„Es gibt zwei Lesarten dieser Zahlen“, kommentiert Boris Kühn von der Universität Hildesheim, einer der beiden Autoren der Expertise. Einerseits sei der Anteil der überlasteten Kommunen deutlich zurückgegangen, andererseits gebe es „keine flächendeckende Entspannung“. Laut den vorliegenden Antworten können nur 17 Prozent der Kommunen die Flüchtlingsunterbringung ohne größere Schwierigkeiten stemmen. Die große Mehrheit beschreibt die Lage als herausfordernd.

Auszugskrise bleibt bestehen

Ein Problem besteht darin, dass viele Geflüchtete keine eigene Wohnung finden und deshalb nicht aus der kommunalen Unterbringung ausziehen können. Einige Kommunen kritisieren in diesen Zusammenhang die Wohnsitzauflage, weil diese die Wohnungssuche erschweren könne.

81 Prozent der Kommunen greifen auf privat angemietete Wohnungen zurück, um Geflüchtete unterzubringen. Auch kommunale Wohnungen (63 Prozent) oder Sammelunterkünfte in eigenen Gebäuden beziehungsweise Modulbauten (45 Prozent) werden häufig genutzt. Mit Geflüchteten belegte Sporthallen gibt es dagegen kaum noch, nämlich in weniger als drei Prozent der befragten Kommunen.

Etwa 20 Prozent der Kommunen lassen zumindest einen Teil ihrer Unterkünfte von externen Anbietern oder Trägern betreiben. Vor allem Großstädte greifen vermehrt auf diese Möglichkeit zurück.

Leichte Entlastung bei Aufnahme von Geflüchteten 

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist zuletzt zurückgegangen. 2024 lag sie bei rund 251.000, im Jahr davor bei 352.00. Finn-Christopher Brüning, Referent beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, führt den Rückgang der Zahlen auf die Grenzkontrollen zurück, die im September 2024 von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingeführt wurden. „Wir sind in einer leichten Phase der Entlastung“, bestätigt Brüning. Klaus Ritgen, Referent beim Deutschen Landkreistag, warnt davor, nur auf die monatlichen oder jährlichen Zuwanderungszahlen zu schauen. Man müsse die Gesamtzahl von mehr als vier Millionen Geflüchteten im Blick haben.

Für den möglichen Fall, dass die Zahl der Geflüchteten wieder steigt, sind die Kommunen unterschiedlich gewappnet. Immerhin 65 Prozent haben angegeben, dass sie Vorbereitungen getroffen haben, zum Beispiel indem Notfallpläne in der Schublade bereitliegen. Allerdings halten nur rund 38 Prozent auch Kapazitäten in bestehenden Gebäuden vor. Studienautor Boris Kühn sieht einen Grund darin, dass Kommunen kein Geld dafür bekommen, zusätzliche Unterkünfte bereitzuhalten. Trotzdem glaubt er, dass viele Städte und Gemeinden aus dem Flüchtlingssommer 2015 „durchaus etwas gelernt haben und vielleicht in struktureller Hinsicht besser aufgestellt sind.“ Lerneffekte seien schon in den Jahren 2022/23 zu beobachten gewesen, als die Lage nach dem Angriff auf die Ukraine gut und schnell bewältigt worden sei.

Viele Ausländerbehörden sind überlastet

Die Aufnahme von Geflüchteten ist für die Städte, Gemeinden und Landkreise nicht nur deshalb herausfordernd, weil sie Unterkünfte brauchen. Andere Aufgaben bereiten teils viel größere Schwierigkeiten. So haben in der aktuellen Befragung 45 Prozent der Kommunen angegeben, dass die Ausländerbehörden überlastet oder im Notfallmodus seien. Ein Grund: Das Ausländerrecht ändert sich ständig. Die Politik produziere immer wieder neue Aufgaben, Prüf- und Sachverhalte oder Gesetze, ohne die praktische Anwendbarkeit ausreichend zu prüfen, moniert Boris Kühn. „Da passt quantitativ und qualitativ einiges nicht zusammen.”

Im Bereich der Jobcenter beziehungsweise Arbeitsmarktintegration beklagen 27 Prozent der Kommunen eine Überlastung, ebenso im Bereich der Schulen. Jede vierte Kommune berichtet von größeren Problemen im Bereich der Beratungsangebote für Zugewanderte. Jede fünfte Kommune hält die Kitas für überlastet.

Einen gesonderten Blick haben die Autoren der Expertise auf die Bezahlkarte für Asylbewerber*innen geworfen. Bund und Länder haben sich im November 2023 darauf verständigt, diese einzuführen. Begründet wurde das mit der Hoffnung, die Karte könne Überweisungen ins Ausland verhindern und die Schlepper-Kriminalität bekämpfen. Außerdem hieß es damals, die Karte werde die Leistungsbehörden entlasten.

Bezahlkarte führt nicht überall zu Entlastungen

Zumindest letzteres scheint sich nicht bestätigt zu haben. Zwar geben 44 Prozent der Kommunen an, der Verwaltungsaufwand habe sich durch die Bezahlkarte dauerhaft reduziert. Dem stehen jedoch 43 Prozent gegenüber, die berichten, der Aufwand habe sich erhöht. In beiden Fällen sind die Effekte meistens überschaubar, die große Mehrheit der Kommunen hat nur leichte Veränderungen festgestellt.

Fast sämtliche Landkreise (95 Prozent) haben die Bezahlkarte mittlerweile eingeführt. Kreisfreie Städte sind zurückhaltender, nur in 58 Prozent wird die Bezahlkarte genutzt. Unterschiede gibt es auch zwischen den Bundesländern: In Nordrhein-Westfalen haben 86 Prozent der befragten Kommunen bisher auf die Einführung verzichtet, während Bayern und Baden-Württemberg sie flächendeckend eingeführt haben, wie Co-Autor Julian Schlicht (Landkreis Tübingen) berichtet. 

 

Link zur Expertise (PDF):
mediendienst-integration.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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