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Vielfalt im öffentlichen Dienst: Warum Migranten sich seltener bewerben

In der öffentlichen Verwaltung sind Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte unterrepräsentiert. Das hat Folgen für die Arbeitspraxis der Behörden, erklärt die Migrationsforscherin Christine Lang im Interview. 

von Carl-Friedrich Höck · 15. November 2024
Junge Menschen in Anzügen sitzen in einer Reihe mit Bewerbungsmappen in der Hand

Bewerber*innen warten auf ein Vorstellungsgespräch (Symbolfoto). Um Menschen mit Migrationshintergrund für die Verwaltung zu gewinnen, müssen Kommunen aktiv auf sie zugehen, meint Christine Lang.

DEMO: In der Bundesverwaltung haben zwölf Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund. In der Bevölkerung sind es mehr als doppelt so viele. Warum sind Migrant*innen und ihre Nachfahren so unterrepräsentiert?

Christine Lang: Das hat viel mit Rekrutierungskanälen zu tun und mit der Frage: Wer bewirbt sich bei der öffentlichen Verwaltung? Oder anders formuliert: Wer will für den Staat arbeiten? Bei Menschen aus Einwandererfamilien besteht da häufiger eine Barriere, weil sie mit dem Staat nicht immer nur gute Erfahrungen gemacht haben. Manche hatten schon als Kind unschöne Kontakte zu Ausländerbehörden. Das prägt nachhaltig das Bild, das sie von Behörden haben. Viele nehmen den Staat als etwas Großes wahr, das weit weg ist von der eigenen Lebenswelt. Wenn sie auf der Suche nach einem Job oder Ausbildungsplatz sind, sehen sie ihre Optionen eher in der Privatwirtschaft.

Der zweite Aspekt: Wer weiß überhaupt, welche verschiedenen Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten es in der Verwaltung gibt? Diejenigen, die sich für Stellen im öffentlichen Dienst bewerben, kennen oft schon jemanden, der dort arbeitet. Wer über die Familie oder Freund*innen keinen Bezug zu dem Thema hat, dem fehlt häufig das Wissen, wie vielfältig die Tätigkeiten in Behörden sein können. Und dann bewirbt man sich auch nicht auf diese Stellen.

Expertin

Christine Lang ist Juniorprofessorin für Sozialgeographie und Reflexive Migrationsforschung an der Universität Osnabrück und hat unter anderem zur Beschäftigung von Menschen aus Einwandererfamilien in kommunalen Verwaltungen geforscht.

Porträtfoto Christine Lang

Die eingangs erwähnte Statistik bezieht sich auf die Bundesverwaltung. Sieht es in kommunalen Behörden anders aus?

Leider fehlen die Zahlen, um diese Frage verlässlich zu beantworten. Der sogenannte Migrationshintergrund wird statistisch nicht erhoben und darf es auch nicht. Deshalb gibt es nur freiwillige Umfragen aus mehreren Stadtstaaten, an denen aber längst nicht alle Mitarbeitenden teilgenommen haben. Daraus lassen sich immerhin vage Erkenntnisse ziehen. In Berlin hat eine Umfrage 2024 ergeben, dass knapp 22 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund haben. Allerdings hat nur ein Fünftel der Beschäftigten daran teilgenommen und bei freiwilligen Umfragen kann man davon ausgehen, dass der Anteil überschätzt wird. Zum Vergleich: In der Berliner Bevölkerung liegt der Anteil bei mehr als 39 Prozent.

Hat es Folgen für die Gesellschaft, wenn die Behörden sich anders zusammensetzen als der Rest der Bevölkerung?

Ja! Und zwar auf mindestens zwei Ebenen. Zum einen geht es um Symbolik. Wenn eine Gruppe sich bei den staatlichen Behörden nicht angemessen repräsentiert sieht, kann es das Gefühl fördern, dass man zum Gemeinwesen nicht richtig dazugehört. Das kann zur Folge haben, dass diese Menschen staatlichen Stellen mit Distanz, Skepsis oder auch Ablehnung begegnen.

Die zweite Ebene ist die Arbeitspraxis. Wenn Menschen mit unterschiedlichen familiären Hintergründen in einer Behörde zusammenarbeiten, bringen sie auch verschiedene Perspektiven und Erfahrungen mit. Das wirkt sich darauf aus, wie Sachverhalte diskutiert oder eingeordnet werden – und letztlich auch auf die Praxis der Behörde, zum Beispiel im direkten Umgang mit Bürger*innen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Denken wir an die Sozialämter oder Jugendämter. Es hilft ihnen, wenn sie die familiären, sozialen und kulturellen Hintergründe kennen, um Klient*innen besser einordnen zu können. Vielfalt in der Verwaltung trägt dazu bei, dass stereotype Ungleichbehandlung und Diskriminierung abgebaut werden.

Christine Lang

Vielfalt in der Verwaltung trägt dazu bei, dass stereotype Ungleichbehandlung und Diskriminierung abgebaut werden.

Sie haben bereits über die Perspektive potenzieller Bewerber*innen gesprochen. Was können die Behörden selbst tun, um bunter und vielfältiger zu werden?

Es ist wichtig, dass sie an ihrer Außenwirkung arbeiten, damit „der Staat“ nicht als etwas hermetisch Abgeriegeltes, Unfreundliches, Verstaubtes wahrgenommen wird. Der Fachkräftemangel ist längst auch in den Behörden angekommen. Deshalb muss der Staat sich als attraktiver Arbeitgeber für eine junge und vielfältige Zielgruppe darstellen und diese aktiv ansprechen.

Wie lässt sich das umsetzen?

Der Berliner Senat hat vor einiger Zeit eine Kampagne gestartet mit dem Slogan „Berlin braucht dich!“ Die Stadtverwaltung ist aktiv auf Jugendliche aus Familien mit Einwanderungsgeschichte zugegangen. Es gab Plakatkampagnen, Schulen wurden besucht und Praktika vermittelt. Als ich später Menschen aus der Verwaltung für meine Forschung interviewt habe, wurde mir oft gesagt, dass sie erst über die Kampagne auf die Möglichkeit, in der Verwaltung zu arbeiten,  aufmerksam geworden sind. Ähnliche Aktionen sieht man gelegentlich auch in anderen Städten. Natürlich sollten potenzielle Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund auch an Universitäten oder über Social Media angesprochen werden.

Welche Rolle spielen anonymisierte Bewerbungsverfahren? Haben sie sich bewährt?

Das ist umstritten. Es gibt Führungskräfte, die meinen: Wenn wir anonyme Bewerbungsverfahren haben, können wir auch nicht darauf achten, dass die Person spezielle familiäre Hintergründe mitbringt, die für uns von Vorteil wären, auch wenn die Schulabschlussnote nicht so gut ist. Diskriminierung im Auswahlverfahren scheint mir auch nicht das Hauptproblem zu sein. Diese ist im privaten Sektor stärker ausgeprägt. Die größere Hürde ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund in die Auswahlverfahren zu selten reinkommen, weil sie sich gar nicht erst bewerben. Ich sage nicht, dass es nicht auch Vorurteile in der Verwaltung gibt. Aber mein Eindruck ist, dass in vielen Verwaltungen das Bewusstsein dafür zugenommen hat, dass sie sich interkulturell öffnen und diversifizieren müssen.

Wie hilfreich wäre eine Migrant*innenquote im öffentlichen Dienst?

Das wäre vor allem eine symbolische Botschaft: „Wir wollen euch wirklich hier haben!“ Die Quote kann aber auch negativ aufgefasst werden, weil Menschen aufgrund ihrer Familiengeschichte als Migrant*innen gelabelt werden. Positiv wäre, dass die Quote den Druck auf Behörden erhöht, sich aktiv um das Thema zu kümmern. Es reicht dann nicht mehr, zu sagen: „Wir bekommen eben zu wenig Bewerbungen von Kandidaten mit Migrationshintergrund“. Persönlich sehe ich die Quote eher kritisch, weil sie wenig aussagekräftig ist. Wenn eine Behörde einen Niederländer und eine Halbfranzösin einstellt, hat sie ihre Migrant*innenquote erhöht. Aber ob damit Barrieren für die großen Einwanderungsgruppen in Deutschland abgebaut wurden, würde ich in Frage stellen.

Es gibt in Deutschland nur einen Landrat mit offensichtlichem Migrationshintergrund: Ali Dogan im Kreis Minden-Lübbecke. Ist es ein Teil des Problems, dass für Migrant*innen die Vorbilder an der Spitze der Verwaltung fehlen?

Ja, absolut! Das spielt eine große Rolle, zum Beispiel für die Nachwuchsgewinnung. Ob jemand sich auf eine Stelle in der Verwaltung bewirbt, hängt unter anderem davon ab, welche Aufstiegsmöglichkeiten die Person sieht. Stehen ihr perspektivisch auch höhere Dienstebenen oder sogar eine Führungsposition offen? Die Botschaft, dass jemand mit Vornamen Ali Chef werden kann, macht die Verwaltung für Menschen mit Migrationshintergrund attraktiver. 

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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