Vorschläge für Staatsreform: Initiatoren hoffen auf „Druck von unten“
Zu viel Bürokratie, unklare Zuständigkeiten: Deutschland gilt als reformbedürftig. Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat nun Empfehlungen vorgelegt. Den Kommunen könnte bei der Staatsmodernisierung eine wichtige Rolle zufallen.
Tilo Strauss/Photothek
Peer Steinbrück, Julia Jäkel, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle stellten ihren Abschlussbericht vor – hier in der Bundespressekonferenz nach dem Termin im Schloss Bellevue.
Die „Initiative handlungsfähiger Staat“ wollte ergründen, wie das deutsche Staatswesen vom Kopf auf die Füße gestellt werden kann. Weniger als ein Jahr haben sich die Initiator*innen dafür Zeit genommen – namentlich Medienmanagerin Julia Jäkel, der langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle sowie die ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD).
Am Montag haben sie ihren Abschlussbericht im Schloss Bellevue vorgestellt und an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben. Sie wollen „dazu beitragen, Blockaden und Selbstblockaden staatlichen Handelns aufzulösen“, heißt es darin.
Steinmeier: „Staat besser, schneller, bürgernäher machen”
Unterstützt wurde das Quartett von mehreren Stiftungen und von Steinmeier, der die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen hat. „Immer wieder wird die Sorge formuliert, dass die Handlungsfähigkeit unseres Staates durch ein dicht gewobenes Netzwerk aus Regelungen und Vorschriften eingeschränkt, sogar beschädigt wird“, konstatierte der Bundespräsident. „Unsere Demokratie wird stärker und resilienter, wenn wir unseren Staat besser, schneller, bürgernäher machen.“
Andreas Voßkuhle zeigte sich zufrieden. Die Initiative habe „einen Impuls für einen handlungsfähigen Staat setzen“ wollen. Das sei gelungen. Man habe sich nicht auf einzelne Sachfragen konzentriert, sondern auf „Gelingensbedingungen von Reformen“. Um noch Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen nehmen zu können, hat die Initiative im März bereits einen Zwischenbericht veröffentlicht und konkrete Vorschläge veröffentlicht. Der Erfolg war größer, als die Initiator*innen selbst erwarteten hatten. Der Wille, eine Staatsreform anzupacken, durchziehe den ganzen Koalitionsvertrag, urteilte Julia Jäkel. „Der größte Teil unserer Empfehlungen steht da drin“.
35 Empfehlungen für handlungsfähigen Staat
Die Initiative rät unter anderem dazu, die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Kommunen klarer zuzuordnen – etwa im Bildungsbereich oder bei Sozialleistungen. Alle Regelleistungen des Sozialstaats sollen über eine zentrale digitale Dienstleistungsplattform bereitgestellt werden. Der Staat solle den Bürger*innen „mit einem Vertrauensvorschuss“ begegnen, also nicht alles bis ins Kleinste kontrollieren. Weitere Empfehlungen lauten, die Trennung von Zivil- und Katastrophenschutz aufzuheben, eine Dienstpflicht (Pflichtjahr) einzuführen und ein Digitalministerium zu gründen. Letzteres wurde von der neuen Bundesregierung bereits umgesetzt.
Insgesamt 35 Empfehlungen umfasst der Bericht. Die meisten sind seit März bekannt, fünf Punkte wurden aber jetzt erst neu eingefügt. Dazu zählt der Vorschlag, Modellkommunen und -regionen einzurichten, in denen Vorschläge für die Verwaltungsmodernisierung als Ganzes erprobt werden können. Laut der Initiative könnten dort zum Beispiel Antrags- und Genehmigungsverfahren vereinfacht, der Bürgerservice beschleunigt und eine neue Personal-, Fehler- und Führungskultur ausprobiert werden.
Wenn auf kommunaler Ebene losgelegt werde, entstehe ein Druck von unten, erklärte Julia Jäkel. „Es gibt keinen Grund, auf die anderen zu warten.“ Mehrere Kommunen haben sich bereits bei der Initiative gemeldet und wollen deren Vorschläge umsetzen, darunter die Kreisstadt Stralsund und der Regierungsbezirk Köln.
Abschlussbericht der Initiative als „Staffelübergabe”
Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat ihre Arbeit mit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes beendet. Voßkuhle, Jäkel, Steinbrück und de Maizière haben ihre Vorschläge mit 54 weiteren Expert*innen erarbeitet, darunter Wissenschaftler*innen, Verwaltungsfachleute und Kommunalpolitiker*innen. Bundespräsident Steinmeier sprach am Montag von einer „Staffelübergabe“: Nun seien die gewählten Politiker*innen an der Reihe, die Expertise praktisch umzusetzen.
Um Bürokratie abzubauen, müssen nicht nur die Behörden umdenken, sondern auch die Bürger*innen. Diese Erkenntnis durchzog eine Diskussionsveranstaltung mit Digitalminister Karsten Wildberger (CDU), Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Zwickaus Oberbürgermeisterin Constance Arndt. Kretschmann kommentierte: „Wir haben eine sehr klagefreudige Bevölkerung.“ Das sei einer der Gründe für die Überregulierung in Deutschland, weil man alles gerichtsfest machen wolle.
Arndt appellierte an die Bürger*innen, die eigenen Ansprüche zu überdenken. So mancher fordere für die eigene Baugenehmigung, dass sie möglichst unkompliziert komme, aber wenn der Nachbar bauen wolle, solle der Staat ganz genau hinschauen.
Wildberger schlug vor, einen stärkeren Fokus darauf zu legen, wie Gesetze umgesetzt werden und was sie tatsächlich bewirken. Es reiche nicht aus, sie nur zu beschließen und das Thema dann abzuhaken. „Gutes Staatshandeln muss wirksames Staatshandeln sein“, betonte der Digitalminister. Messbarkeit sei ihm ein wichtiges Anliegen.
Städte wünschen sich „ernsthafte Diskussion”
Der Deutsche Städtetag lobte den Abschlussbericht der Initiative. Diese setze an der richtigen Stelle an, erklärte Hauptgeschäftsführer Christian Schuchardt in einer Mitteilung: „Gesetzgebung und Verwaltung müssen einfacher, schneller und zugleich wirksamer werden. Nur so bleibt unser Staat leistungsfähig und bürgernah.“
Viele Empfehlungen der Initiative teile man, so Schuchardt. „Besonders sinnvoll ist der Vorschlag, bestimmte Verwaltungsaufgaben – wie das Elterngeld oder den Personalausweis – zentral und digital zu bündeln.“ Wenn Kommunen bei einer Aufgabe keinen eigenen Gestaltungsspielraum hätten, sollte die Leistung standardisiert und effizient organisiert werden – am besten von Bund und Ländern, nicht mehr von den Kommunen. „Die Vorschläge der Initiative verdienen eine ernsthafte, gemeinsame Diskussion.“
Der Abschlussbericht ist hier zum Download verfügbar:
hertie-school.org
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.