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Warum der Frauenanteil in der Kommunalpolitik so gering ist

Nur neun Prozent der Kommunen werden von einer Frau geführt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) macht das rauer werdende politische Klima sowie zunehmende Gewalt, Hass und Hetze mit dafür verantwortlich.

von Karin Billanitsch · 28. Juni 2024
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hält eine Rede auf der Kommunalkonferenz der SPD-Fraktion.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hält eine Rede auf der Kommunalkonferenz der SPD-Fraktion. 

Vor wenigen Wochen hat Tina Rudolph ein kleines Nagetier in ihrem Briefkasten gefunden – „und es hat keinen interessiert“. Das passiere tagtäglich nicht nur Abgeordneten, sondern auch Kommunalpolitikerinnen und -politikern, weiß Rudolph.  Mit diesem Beispiel illustriert die SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Landesgruppe Ost der SPD-Bundestagsfraktion die Stimmung in Thüringen, wo 2024 Landtagswahlen anstehen.

Ein Schwerpunkt der Kommunalkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion am Freitag war das Thema Gewalt gegen Kommunalpolitikerinnen. Rudolph hat den Vorfall mit dem Nagetier zur Anzeige gebracht. Zunächst sollte es als „Beleidigung“ eingestuft werden. Schließlich hat sie im Gespräch mit der Polizei erreicht, dass es als „Bedrohung“ aufgenommen wurde – allerdings nicht zuletzt, weil sie als Bundestagsabgeordnete aufgetreten ist. „Ich wollte, daß es in der Kriminalstatistik richtig steht.“ Sie verspricht sich indes nicht viel von den Ermittlungen, stellt aber klar: „Es darf nicht so sein, dass man sagt, so etwas ist schon normal.“

Neben Rudolph war auch die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken eingeladen, auf dem Podium zu diskutieren. Esken, schon seit vielen Jahren politisch aktiv, bestätigte, dass sich die politische Debattenkultur verändert hat. Früher sei es nicht an der Tagesordnung gewesen, dass Kommunalpolitiker*innen und Kandidierende auf eine Art und Weise angegangen werden, dass sie am Ende aufgeben und sich zurückziehen. „Das ist eine Entwicklung, die uns sehr alarmieren muss.“ Sie erinnerte an den parteilosen Bürgermeister Markus Nierth, der vor Jahren aus Angst um seine Familie aufgegeben hat. Das Landratsamt hatte damals eine Demonstration der NPD vor seiner Haustür erlaubt.

Saskia Esken: Zivilgesellschaft stärken

In den meisten Fällen mangele es an Unterstützung vor Ort, so die Parteivorsitzende der SPD. „Ich finde es wichtig, deutlich zu machen, dass diese Unterstützung gestärkt werden muss.“ Es müsse rechtsstaatlich gegen diese Bedrohungen vorgegangen werden, aber auch „die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden, damit sie damit sie den Aktiven den Rücken stärken kann“. Sie verwies etwa auf das Programm „Demokratie leben“ im Bundeshaushalt. „Der beste Weg, die Debattenkultur zu verändern, ist die Partizipation vor Ort zu stärken.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte anlässlich der Konferenz in einer Rede, dass der Hass und das Verunglimpfen im Netz in dieser Form neu sei. Sie kenne die Probleme der kommunalen Ebene aus eigener Erfahrung nach 30 Jahren im Main-Taunus-Kreis, ihr Vater sei Bürgermeister gewesen. „Der Entwicklung, dass Hass, Hetze und Gewalt gegen diejenigen, die sich ehrenamtlich für andere engagieren, zunehmen, müssen wir uns entgegenstellen, so die Ministerin. „Wir müssen alles tun, um die Herzkammer der Demokratie zu schützen“, bekräftigte Faeser.

Neue bundesweite Anprechstelle

Das rauer werdende gesellschaftliche Klima wirke sich auch auf das politische Engagement von Frauen aus, ist Faeser überzeugt. Immerhin: Nur neun Prozent der Kommunen werden von Frauen geführt, zeigt die Statistik.  „Ich glaube schon, viele sind nicht mehr bereit, sich zu engagieren, weil sie sich bedroht fühlen oder bedroht werden. Frauen sind hier offenbar sensibler, sie stellten sich eher die Frage, wie sich die Umstände auf ihre Familie auswirken könnten“, stellte Faeser fest.

Die Bundesinnenministerin hat eine „Allianz für Kommunen“ geschmiedet. Sie sei überzeugt, daß ein direkter Draht vom Bund zu den Kommunen sich bewähren wird, um die Perspektiven der Kommunen sichtbar zu machen. Aktuell werde gerade eine neue bundesweite Ansprechstelle („starke Stelle“) eingerichtet, an die sich Betroffene von Gewalt wenden können. Sie ist angesiedelt am deutschen Zentrum für Kriminalprävention. Eine bundesweite Telefonnummer wird im 4. Quartal freigeschaltet.

Warnung vor ernsthaftem Schaden für die Demokratie

Miriam Marnich, Referatsleiterin beim deutschen Städte- und Gemeindebund für Hasskriminalität und Extremismusprävention ordnet das Thema in einen großen gesellschaftlichen Kontext ein: „Das ganze Thema Hass, Beleidigung und Anfeindung gegenüber kommunalpolitisch Engagierten geht uns alle an und macht etwas mit uns allen. Wenn Menschen sich aus dem politischen Diskurs zurückziehen, dann bedeutet das einen ernsthaften Schaden für die Demokratie.“

Laut einer Studie der Körber-Stiftung zur Diskussionskultur in Deutschland berichten besonders weibliche Ratsmitglieder von Grenzüberschreitungen und fehlendem Respekt. Sie beklagen demnach den rauen Umgangston, während männliche Kollegen ihnen die Kompetenz absprechen und sie darauf hinweisen, dass man in der Kommunalpolitik eben nicht zimperlich sein dürfe. Sexistische und übergriffige Kommentare seien keine Seltenheit. Die Stiftung hat gemeinsam mit den kommunalen Verbänden das Portal „stark-im-amt“ initiiert, das Betroffenen Unterstützung bietet.

Es gibt aber auch andere Gründe, warum sich so wenig Frauen in der Kommunalpolitik engagieren: Nancy Faeser berichtet von vielen Veranstaltungen, die abends statt fänden: „Das ist Familienzeit“. Care-Arbeit sei in Deutschland nach wie vor Aufgabe der Frauen. Und auch in der Kommunalpolitik gebe es männliche Netzwerke, die die ihre Mitglieder unterstützen, in Führungspositionen zu kommen.

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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