Wie autonomes Fahren den Öffentlichen Nahverkehr revolutioniert
Autonom fahrende Busse werden bald zum Alltag gehören. Ab Sommer sollen selbstfahrende Shuttles auf Hamburgs Straßen unterwegs sein. Im internationalen Vergleich hat Deutschland aber noch Aufholbedarf, war auf der Messe „Mobility Move“ zu erfahren.
Höck
Ein Shuttlebus der Firma Holon, die auch an dem Projekt zum autonomen Fahren in Hamburg beteiligt ist, wurde auf der „Mobility Move”-Messe den Besucher*innen präsentiert.
Die Forschung zu selbstfahrenden Fahrzeugen macht enorme Fortschritte. In San Francisco setzt die Google-Tochterfirma Waymo schon seit 2023 fahrerlose Robotaxis ein. Derzeit expandiert sie mit ihrem Geschäft in weitere Teile der USA. In Deutschland ist man noch nicht ganz so weit, aber auch hierzulande wird einiges ausprobiert. Auf Hamburgs Straßen sollen am Mitte 2025 unter dem Projektnamen „Alike” autonom fahrende Shuttles in den Testbetrieb gehen – allerdings noch mit Fahrzeugbegleiter*innen, welche in Notfällen eingreifen können. Ähnliche Pilotprojekte gab es bereits in anderen Kommunen, beispielsweise Karlsruhe.
Mehr Sicherheit, verbesserte Effizienz?
Im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) verspricht man sich viel von der neuen Technologie. Das war am Mittwoch auf der Fachmesse „Mobility Move“ zu erfahren. Gertrud Husch, Ministerialdirektorin im BMDV und Abteilungsleiterin für Digitale Konnektivität, stellte die Fachstrategie der Bundesregierung zum autonomen Fahren vor. Sie wurde erst nach dem Bruch der Ampel-Koalition veröffentlicht, allerdings gebe es bei dem Thema keinen großen Dissenz zur CDU/CSU, merkte die Ministerialdirektorin an.
Das Potenzial sei groß, erklärte Husch: Autonomes Fahren könne die Verkehrssicherheit verbessern, den Verkehr effizienter leiten, den ländlichen Raum besser anschließen, die Teilhabe von Menschen mit Handicap verbessern und sich auch positiv auf den Klimaschutz auswirken. Nicht zuletzt gehe es auch darum, den Mangel an Fahrer*innen auszugleichen. Aktuell gebe es 20.000 offene, also unbesetzte Stellen.
Die nötigen Rechtsgrundlagen für das autonome Fahren seien in Deutschland schon geschaffen worden, betonte Husch. Die Strategie der Regierung sehe vor, bald vom Test in den Regelbetrieb zu gehen, möglichst bis zum Jahr 2026. Bis 2027 sollen mit Unterstützung des Bundes wettbewerbsfähige Lösungen für den Öffentlichen Nahverkehr entwickelt werden. Und bis 2030 soll autonomes Fahren dann „in ein verkehrsträgerübergreifendes und vernetztes Mobilitätssystem“ integriert werden.
Die Regierung lege dabei ihren Fokus auf den ÖPNV und den Güterverkehr. „Das verspricht die größten positiven Auswirkungen“, so Husch. Ein weiteres Ziel der Regierung sei es, dass Deutschland ein weltweit führender Standort für die Produktion autonomer Fahrzeuge werde. Sie räumte aber ein, dass es dazu bisher noch an Produktionsstandorten und investitionsfreudigen Unternehmen fehlt.
Gefahr des autonomen Fahrens wird überschätzt
Der Erfolg des autonomen Fahrens wird auch davon abhängen, ob die potenziellen Passagier*innen sich darauf einlassen. Die Nutzungsbereitschaft lasse sich mit Kampagnen steigern, merkte Husch dazu an. Für Ricco Kämpfer von der Technologieberatungsfirma P3 ist dies sogar eine der größten Herausforderungen für das autonome Fahren. In den Medien und der Öffentlichkeit gebe es eine polarisierte Sicht auf das Thema. Die einen würden die Technologie grob über-, andere grob unterschätzen. Im Internet kursierende Videoclips von einzelnen Unfällen steigerten die Vorbehalte, in ein selbstfahrendes Fahrzeug einzusteigen. Dabei sei statistisch bewiesen, dass sich die Verkehrssicherheit schon heute durch autonomes Fahren verbessern lasse.
Aus Kämpfers Sicht krankt die Entwicklung des autonomen Fahrens in Deutschland an mehreren Faktoren. Es gebe zu viele kleine Projekte, die nur vorübergehend finanziert seien und oft nicht zu Ende gedacht würden. Nicht immer würden die Konsortien nach Leistungsfähigkeit zusammengestellt, weil auch politische und öffentlichkeitswirksame Aspekte eine Rolle spielten. Und es gebe keine übergreifende, zentrale Steuerung, um die verschiedenen Erfahrungen zusammenzubringen. Die Folge: Jedes Projekt durchlaufe erst einmal dieselben Lernkurven.
Kämpfer hält es deshalb für einen besseren Ansatz, statt vieler kleiner Projekte lieber nur wenige Modellregionen aufzubauen. Die eingesetzten öffentlichen Fördergelder (bisher rund 500 Millionen Euro in den vergangenen zehn Jahren) könnten so effizienter genutzt werden. Vorteile von Modellregionen wären demnach, dass die einmal aufgebaute Infrastruktur von verschiedenen Akteuren immer wieder neu genutzt werden könne. Einmal etablierte Lösungen könnten weiterentwickelt und gewonnene Erkenntnisse breiter gestreut werden.
Gegenüber den USA oder China habe Deutschland noch Aufholbedarf, machte der Experte deutlich. Das betreffe Ausbildung und Know-how, staatliche Förderstrukturen und die Zugänge zu potenziellen Märkten. In den beiden anderen Ländern sei es also für Investoren leichter, ein kommerziell funktionierendes Geschäftsmodell zu etablieren.
Steht die Auto-Industrie vor einem großen Umbruch?
In einer anschließenden Diskussionsrunde warnte Hendrik Falk, Vorstandsvorsitzender bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), vor einer zu engen Sicht auf das Thema. Autonomes Fahren dürfe nicht nur als „Anhängsel des ÖPNV” betrachtet werden, sondern es werde die komplette Autoindustrie verändern. Die Trennung in „öffentlichen Verkehr“ und „Individualverkehr“ werde es in einigen Jahren gar nicht mehr geben. Wenn das autonome Fahren sich durchsetze, würden sich viele Menschen gar keinen eigenen Pkw mehr kaufen, zeigte sich Falk überzeugt.
„Wir müssen das politisch viel größer diskutieren“, mahnte er deshalb. Ein Problem aus seiner Sicht: Die für autonomes Fahren notwendigen Soft- und Hardwaresysteme, in der Fachsprache SDS-Stack genannt (Self-Driving System Stack), würden in Deutschland gar nicht hergestellt. „Es geht um den Stack. Ob das Vehikel ein Bus ist oder ein Pkw, spielt eigentlich keine Rolle“, erklärte der BVG-Vertreter. Waymo und andere führende Anbieter, die Technologien für autonomes Fahren entwickeln, seien entsprechend auch keine Autokonzerne.
Immerhin sei VW mit seiner Tochterfirma „Moia“ am Thema dran. Das Unternehmen ist auf Ridepooling-Angebote spezialisiert und arbeitet an selbstfahrenden Autos. Doch, so Falk, „die tun sich schwer mit dem Baby, weil es eigentlich der Tod des eigenen Geschäftsmodells ist“.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.