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Wie unsere Kommunen gendergerecht werden können

Die Stadt soll allen Menschen gerecht werden. Tut sie aber längst nicht. Elisabeth Kaiser (SPD) fordert eine gendergerechte Stadt-Entwicklungspolitik. Die Staatssekretärin präsentierte am Dienstag in Heidelberg Eckpunkte.

von Uwe Roth · 18. September 2024
Symbole für eine Frau mit Kind auf einer gepflasterten Straße

Symbol für einen Frauenparkplatz: Warum nicht gleich das ganze Parkhaus so gestalten, dass sich Frauen dort wohl und sicher fühlen können?

Elisabeth Kaiser hatte beim 17. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik viel Fachpublikum im Auditorium: Menschen aus der Stadtplanung, Kommunalpolitik und Wissenschaft. Nicht alle dürften mit der viel zitierten Gendergerechtigkeit in diesem eher technischen Zusammenhang etwas anzufangen wissen, wie Moderatorin Anja Heyde vermutete. Manche fühlten sich vielleicht sogar provoziert. 

Kaiser ist die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), Klara Geywitz (SPD). Auf dem Podium hatte sie zwei Fachfrauen an ihrer Seite, mit denen sie das Konzept der menschengerechten Stadt veranschaulichte: Die ehemalige Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Maria Vassilakou, sowie Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin, Mitglied Expertinnen- und Expertenbeirat beim BMWSB. 

Eine Stadt ist nicht nur eine Ansammlung baulicher Objekte und Grünanlagen. Sie habe vor allem soziale Funktionen, fair, inklusiv und sorgend zu sein, erläuterte Kaiser. Gendergerechte Stadtentwicklungspolitik beschränke sich nicht auf die Betrachtung weiblich, männlich oder divers. „Eine Stadt muss den Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden. Sie lasse niemanden außen vor“, sagte sie. Öffentlicher Raum solle für alle frei zugänglich sein. Das setze Barrierefreiheit auch für Kinderwagen und alte Menschen voraus. Stichwort Treppen. Um zu erfahren, wo es hakt, müsse man mit der Großmutter Spaziergänge durch die Stadt unternehmen. 

Auch Hitzetage zeigten vorbelasteten Personen Barrieren auf. Gendergerechtigkeit bedeutet auch, Trinkbrunnen, Toiletten, Sitz- und Bewegungsmöglichkeiten anzubieten. „Care-freundliche Ausstattung“ nennt das die Staatssekretärin.

„Sicherheit erhöhen für ein diskriminierungsfreies öffentliches Leben“

Eine Stadt für alle bedeute, dass diese frei von Angsträumen sei. Städte, so wie man sie heute kenne, seien vor Jahrzehnten hauptsächlich aus männlicher Perspektive und Autofahrersicht geplant worden.

Stadtforscherin Dellenbaugh-Losse zeigte dies am Beispiel der Parkhäuser: In den 1970er und -80er Jahren seien Frauenparkplätze in der Nähe der Ausgänge ausgewiesen worden, damit der Aufenthalt möglichst kurz war. „Parkhäuser sind Angsträume geblieben. Man hätte sie auch anders gestalten können“, stellte Dellenbaugh-Losse fest. Niemand habe zum Beispiel die Frage gestellt, wie schwer sind eigentlich die Brandschutztüren zu öffnen. In den Leitlinien für die gendergerechte Stadtentwicklung heißt das, „Sicherheit erhöhen für ein diskriminierungsfreies öffentliches Leben.“

Wien gilt in vielen Bereichen städtebaulich sowie in der Infrastruktur als Vorbild. Maria Vassilakou betonte, dass eine gendergerechte Stadtentwicklung ein langer Prozess sei. In ihrer Stadt habe dieser Mitte der 1990er Jahren begonnen – und zwar mit Stadtteilspaziergängen. Diese seien bis heute eine gute Methode zu erfahren, was die Menschen bedrückt und was die Kommunalpolitik besser machen könne. Alle städtischen Abteilungen hätten im Lauf der Zeit Allianzen gebildet. Kooperationen mit Studierenden aus den Universitäten seien entstanden. Schulen gehörten dazu. Die Verkehrsunternehmen und die Baubranche sowie die Bauträger gehörten zum harten Kern. Auch Wiener Unternehmen seien inzwischen beteiligt: „Heute haben alle verstanden, dass wir alle davon profitieren.“ 

Menschen vor Ort ansprechen

Stadtforscherin Dellenbaugh-Losse bestätigte, dass es besser sei, auf die Menschen zuzugehen, sie zum Beispiel vor einem Supermarkt anzusprechen. „Dass eine Mutter mit zwei Kindern ins Rathaus kommt, um sich an einem Auslegeverfahren zu beteiligen, dürfen wir nicht erwarten.“ Planungs- und Entscheidungsprozesse müsste für alle zugänglich sein. Auf dem Podium waren sich die Fachfrauen einig, dass für Gendergerechtigkeit in ihrem Sinn noch viel zu tun ist. Weitere Veranstaltungen dazu werden folgen, versicherte Staatssekretärin Kaiser.

 

Mehr Informationen:
Eckpunkte für eine gendergerechte Stadtentwicklungspolitik stellt das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im „Conference Paper” des 17. Bundeskongresses Nationale Stadtentwicklungspolitik vor (ab Seite 46). Dieses ist als PDF verfügbar unter: nationale-stadtentwicklungspolitik.de

Darin werden acht Leitbilder genannt:

  1. Für eine starke Repräsentation, Diskriminierungsfreiheit und inklusive Beteiligung: Vielfalt der Lebensrealitäten, -perspektiven und -ziele in den Beteiligungs- und Entscheidungsprozessen für eine gendergerechte Planung für alle Menschen in Stadt und Land sichtbar und wirksam machen
  2. Öffentlicher Raum – für mehr Sichtbarkeit, Aneignungsmöglichkeiten und Teilhabe: Öffentliche Räume qualitätsvoll, inklusiv, aneignungsfreundlich für verschiedene Bedürfnisse und barrierefrei sowie zur Unterstützung der Care-Arbeit gestalten
  3. Für eine gerechte Mobilität und Barrierefreiheit: Mobilität gendergerecht, sozial- und stadtverträglich neu organisieren und in einer nutzungsgemischten „Stadt der kurzen Wege“, in der Region und in ländlichen Räumen barrierefrei und umweltfreundlicher gestalten
  4. Sicherheit erhöhen für ein diskriminierungsfreies öffentliches Leben: Angstfreies, gleichberechtigtes und diskriminierungsfreies Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen durch frühzeitige Berücksichtigung genderspezifischer Sicherheitsaspekte in der Planung, klar erkennbare räumliche Strukturen sowie bedarfsorientierte Nutzungsoffenheit im öffentlichen Raum befördern
  5. Qualitätvolles Wohnen und die Sicherheit im häuslichen Umfeld gewährleisten: Bezahlbares Wohnungsangebot mit gendersensibel geplanten, gemeinschaftsorientierten Wohnformen in nutzungsgemischten Quartieren mit konkreten Unterstützungsangeboten für ein diskriminierungsfreies, gewaltfreies Leben ausbauen
  6. Care-Arbeit in das Blickfeld der Stadtentwicklung nehmen: Erwerbsarbeit und Care-Arbeit besser verknüpfen, kurze, gut zu bewältigende Wegeketten in gemischten Quartieren mit bedarfsgerecht ausgestattetem öffentlichen Raum gemeinsam gendersensibel mit Betroffenen schaffen
  7. Eine gesunde Stadt für alle: Gesundheitsförderung und -prävention, Strategien und Maßnahmen, die die Bedarfe und Ansprüche von Frauen und weiteren benachteiligten Gruppen besser berücksichtigen – in räumlichen Konzepten verankern und quartiersbezogene Ansätze besonders fördern
  8. Klimaanpassung gendersensibel umsetzen und Resilienz aufbauen: Klima und Gender zusammendenken – Umweltgerechtigkeit thematisieren und eine gemeinwohlorientierte, sozialgerechte Stadtentwicklung mit klimaresilienten und nutzungsgemischten Quartieren erreichen
Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

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