Buchvorstellung

„Die Alternative“: Warum Christian Ude nicht in der rechten Ecke stehen will

Paul Starzmann20. Juli 2017
Der Alt-OB von München hat sein neues Buch „Die Alternative“ vorgestellt. Dafür erntete er teils heftige Kritik.
Der Münchner Ex-Oberbürgermeister Christian Ude muss zur Zeit viel Kritik einstecken: Beim Thema „Flüchtlinge“ bediene sein neues Buch die Argumente der Rechtspopulisten, sagen einige. Das will der Sozialdemokrat aus Bayern nicht auf sich sitzen lassen.

Das Wort „Alternative“ hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. Bis in die 1990er beanspruchten vor allem Linke, Atomkraftgegner und Hausbesetzer den Begriff für sich. Vielerorts traten die Grünen mit dem Namen „Alternative Liste“ zur Wahl an. Heute hingegen schließen sich Marktradikale und Rassisten in der „Alternative für Deutschland“ zusammen, um die Politik in Deutschland aufzumischen. Wer heute das Wort „Alternative“ hört, denkt dank Gauland, Petry oder Höcke nicht mehr als erstes an Umweltschutz oder linke Politik.

Christian Ude gegen die „Meinungsfürsten“

Trotzdem hat der ehemalige Münchner SPD-Oberbürgermeister Christian Ude sein neues Buch „Die Alternative“ genannt. Der Untertitel: „Macht endlich Politik!“ Ude will damit den Parteien die Leviten lesen – und den Begriff „Alternative“ von den Rechten zurückerobern. Sein Buch sieht er in der Tradition des Schriftstellers Martin Walser. Der hatte in den Sechzigerjahren ein Ende der großen Koalition gefordert und dazu selbst ein Buch mit „Die Alternative“ betitelt. „Das weiß von den heutigen Meinungsfürsten offensichtlich niemand“, sagt Ude über seine Kritiker, die ihm aufgrund seiner Thesen zur Migrationspolitik eine Nähe zur AfD vorwerfen.

Bei der Buchvorstellung am Montag beim SPD-Kulturforum im Willy-Brandt-Haus klagt Ude über den Zustand der deutschen Politik. Die sei „sehr betrüblich“. Es müsse doch möglich sein, sachliche Fragen zu stellen, fordert er – „ohne dass die Antwort heißt: das hätte auch Herr Gauland fragen können, also ist es rechtsradikal“. Ude sieht sich für sein Buch zu Unrecht in die rechte Ecke gedrängt, nur weil er aus seiner Sicht wichtige, aber unangenehme Fragen stelle.

Ude: Orbán macht die „Dreckarbeit“ der EU

Zum Beispiel die Frage danach, wie die Situation in Deutschland heute wohl wäre, hätte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Jahr 2015 keine Grenzzäune gegen Flüchtlinge errichtet. Ude fragt, wie die Lage in Europa wäre, wenn der Hardliner Orbán nicht die „Dreckarbeit“ machen und „die Liberalität, die wir einfordern, tatsächlich eingehalten würde“. Es ist eine Kritik an Kanzlerin Merkels Asylpolitik – aber auch an der eigenen Partei. Als umfassendes Lob für den Rechtspopulisten Orbán will Ude das aber nicht verstehen. Er stehe voll hinter dem Asylrecht und der Genfer Flüchtlingskonvention, betont er.

Als ehemaliger Politiker leistet es sich Christian Ude, Widersprüche auszuhalten. „Moral als Thema“ in der Politik? Ja, das sei „zentral wichtig“. Gleichwohl klagt er, dass heute viele glaubten, „nicht mehr sagen zu dürfen, was man denkt, weil man sofort moralisch abqualifiziert wird.“ SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel macht bei der Buchvorstellung hingegen klar: „In diesem Land darf man so ziemlich alles sagen.“

Mehrheit der „Migranten“ mangelhafte Demokraten?

Dass Udes Buch ein Aufreger ist, zeigt die Kritik in den Medien. „Es erhöht den Herzschlag“, sagt Schäfer-Gümbel. Auf einer Linie mit seinem bayerischen Genossen ist der SPD-Mann aus Hessen aber nicht: Udes Buch enthalte „Gefahren und Fallstricke in der Intonation“, sagt er. Auch biete das Buch zu wenige Antworten. An zahlreichen Stellen hätte er sich „ein Plädoyer gewünscht, wie die Politik Probleme lösen kann“, sagt Schäfer-Gümbel. Ude akzeptiert die Kritik: „Zu vielen Fragen habe ich keine Antworten mitgeliefert“, gesteht er ein.

Auch beim Thema „Integration“ gehen die Ansichten der beiden Sozialdemokraten auseinander. Im Buch heißt es, die „Integrationsarbeit“ – gemeint ist: die Vermittlung demokratischer Werte – habe bei der „Mehrheit der hier lebenden Migranten viel zu wenig verfangen“. Er habe mit „hunderten Türken“ gesprochen, viele davon seien Fans der Erdoğan-Politik, sagt Ude. Schäfer-Gümbel hält dagegen: „Ich nenne Ihnen genauso viele – und eher mehr –, die genau das ablehnen.“

Was sagen die „hier lebenden Migranten“?

Die von Ude erwähnten „hier lebenden Migranten“ – also die unmittelbar Betroffenen der Migrationspolitik – kommen an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus nicht zu Wort. Gute Antworten auf Christian Udes viele Fragen hätten sie bestimmt.

Der Artikel erschien zuerst auf vorwaerts.de

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