Jahresbericht

Antidiskriminierungsstelle: Deutschland hat ein Problem mit Rassismus

Vera Rosigkeit 10. Juni 2020
Rassistische Diskriminierung hat in Deutschland zugenommen, betrachtet man die Anfragen dazu bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dabei kann es auch um Probleme mit der Wohnungssuche gehen.
Der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle warnt davor, rassistische Diskriminierung im Alltag zu verharmlosen. Bei der Vorstellung des Jahresberichts 2019 spricht er von einem „Grundrauschen der Ausgrenzung“ und lobt das Antidiskriminierungsgesetz Berlins.

Die Anfragen zu rassistischer Diskriminierung in Deutschland nehmen zu. Die Zahl der Beratungsanfragen aufgrund ethnischer Herkunft bzw. rassistischer Zuschreibungen stieg 2019 um knapp zehn Prozent auf 33 Prozent aller Anfragen bei der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). 2016 lag ihr Anteil bei 25 Prozent. „Deutschland hat ein anhaltendes Problem mit rassistischer Diskriminierung und unterstützt Betroffene nicht konsequent genug bei der Rechtsdurchsetzung“, sagt Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der ADS bei der Vorstellung des Jahresberichts am Dienstag in Berlin.

„Diskriminierung zermürbt“

Die insgesamt 3580 Anfragen seien keine abstrakte Zahl, so Franke. Dabei gehe es um die Altenpflegerin, die von Heimbewohner*innen boykottiert werde, weil diese sich nicht von einem Menschen fremder Hautfarbe betreuen lassen wollten oder um den Syrer, der als Bewerber einer Wohnung mit dem Satz „Kanaken wollen wir hier nicht“ abgewiesen wurde.

Das Beratungsaufkommen werfe laut Franke nur ein Schlaglicht auf Diskriminierung in Deutschland. Denn nur ein Bruchteil würde in einer Beratungsstelle gemeldet. „Die Menschen kennen oft ihre Rechte nicht und haben nicht die Kraft, sich weiter mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen“, so Franke. Gleichzeitig habe das Gefühl, mit einer Ungerechtigkeit alleine gelassen zu werden, auf Dauer fatale Folgen und gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Diskriminierung zermürbt“, warnt Franke und fordert eine Reform des Diskriminierungsgesetzes. „Wir werden gegen rassistischen Hass in seiner extremsten Form nicht erfolgreich vorgehen können, wenn wir die Diskriminierung im Alltag als nachrangig behandeln“, betont er auch mit Blick auf die rechtsextremen Gewalttaten von Halle und Hanau. Franke spricht in diesem Zusammenhang von einem „Grundrauschen der Ausgrenzung“, dass sich im Zusammenhang mit COVID-19 noch verstärke, so Franke.

Corona als Brennglas

Corona wirke auch hier wie ein Brennglas. Auch wenn der Bericht das Geschehen 2019 abbilde, sei schon jetzt deutlich geworden, dass sich die Anfragen seit Beginn der Pandemie verdoppelt hätten. Die Fälle reichten von „unverhohlenem rassistischem Verhalten in der Öffentlichkeit bis hin zu körperlichen Übergriffen“, so Franke. Hinzu kämen Berichte von Hassbotschaften am Arbeitsplatz oder über „Racial Profiling“ von Menschen mit asiatischem Aussehen.

Berlin als Vorreiter

Deutschland müsse ein wirksames System zur Unterstützung Betroffener aufbauen, so die Forderung. Alle Bundesländer sollten eigene Beratungsstellen etablieren, zurzeit sei dies nur in acht von insgesamt 16 Ländern der Fall. Franke fordert: „Es darf keine Schutzlücke geben.“ Beispielshaft nennt Franke das kürzlich in Berlin verabschiedete Landesantidiskriminierungsgesetz. Es sei das erste seiner Art in der Bundesrepublik, das den Betroffenen unter anderem auch bei Diskriminierung durch Polizeibeamte oder im Bildungsbereich Beschwerde und Schadensersatzansprüche eröffne.

„Das sollte überall geschehen“, fordert Franke. Die Kritik, hier werde die Polizei unter Generalverdacht gestellt, weist er ausdrücklich zurück. Es wäre blauäugig, die Polizei herauszunehmen, sagt er und zitiert das Ergebnis einer Untersuchung des hessischen Innenministeriums. Danach hätten 18 Prozent der dort befragten Polizist*innen angegeben, schon mal rassistische Sprüche von Kolleg*innen gehört zu haben.

SPD: Schärfere Gesetze, wenn nötig

Weil Beratungsanfragen zu rassistischer Diskriminierung stetig zugenommen haben „dürfen wir nicht nachlassen, gegen Rassismus aufzustehen“, erklärt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey zur Vorstellung des Jahresberichts. Rassismus und Diskriminierung seien nicht die „Probleme der Anderen”, betont Giffey. „Wir alle müssen sensibel sein und auch jeder für sich gegen Ausgrenzung, Benachteiligung und Fremdenhass eintreten.” Die großen Demonstrationen am Wochenende gegen Rassismus und Fremdenhass in zahlreichen deutschen Städten hätten gezeigt, wie sehr das Thema die Menschen bewege. „Und das ist ein wichtiges Signal, das gesehen und gehört wird.“

Auch für die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Katja Mast mache der Jahresbericht deutlich, dass Diskriminierung für viele Menschen in Deutschland immer noch an der Tagesordnung sei. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen, sondern müsse sie ernst nehmen, anzeigen und verfolgen, betont doe SPD-Politikerin. „Das sage ich in Richtung aller, die lieber keine Frau einstellen wollen oder Bewerber mi vermeintlich ausländisch klingenden Nachnamen erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch einladen.“

Das Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung des Berliner vorwaerts Verlags und ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen

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