Portrait Rico Badenschier

Vom Arzt zum Oberbürgermeister von Schwerin: Rico Badenschier startet durch

Robert Kiesel06. März 2017
Jacke statt Arztkittel: Seit 1. November ist der 39-Jährige Radiologe Rico Badenschier Oberbürgermeister von Schwerin.
Visite, Sprechstunde, OP: So sah noch vor wenigen Monaten der Arbeitsalltag von Rico Badenschier aus. Seit rund 100 Tagen ist der 39-Jährige Radiologe nun Oberbürgermeister von Schwerin. Seine Wahl kam für viele überraschend – auch für ihn selbst.

Wie sich die Dinge ändern: Es ist keine zwei Jahre her, da radelte Rico Badenschier mit seinen beiden Kindern zur Kita. Täglich kreuzten die drei auf ihrem Weg den Tross jener Beamten, die sich – wie jeden Morgen – „mit gesenktem Haupt und Aktentasche unter dem Arm“ in die Ministerien der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern bewegten. „Zum Glück machst du Politik nur als Hobby und kannst jetzt in dein Krankenhaus“, dachte sich der Oberarzt der Radiologie damals. Dass Badenschier zwei Jahre später Oberbürgermeister von Schwerin sein würde, ahnte ­niemand.

Überraschungssieger mit 60 Prozent

Seit dem 1. November 2016 ist genau das der Fall. Für viele überraschend verdrängte der 38-jährige Sozialdemokrat seine Vorgängerin Angelika Gramkow (Die Linke) bei der Oberbürgermeisterwahl aus dem Amt. 60,1 Prozent der Stimmen entfielen im zweiten Wahlgang auf Badenschier. Die Schonfrist von 100 Tagen überschritt er Anfang Februar.

„Bereut habe ich es noch nicht“, sagt Badenschier. Natürlich weiß auch er, dass nicht wenige noch heute den Kopf schütteln angesichts seiner Entscheidung, Arztkittel gegen Jacket zu tauschen. „Klar ist das ein komplett anderer Job als vorher. Ich muss extrem viel lernen, ein Gespür für die Handlungsspielräume bekommen“, erklärt Badenschier. Er, der sich im OP stundenlang hermetisch abgeriegelt auf eine einzige Aufgabe konzentrieren konnte, muss sich nun jeden Tag mit einem neuen Thema beschäftigen. Badenschier ist Chef einer 800 Mitarbeiter starken Verwaltung. Hinzu kommen die 200 Feuerwehrleute seiner Stadt.

Wahlkampf mit zwölf für Oskar Lafontaine

Seine Stadt, das war zwei Jahrzehnte lang Chemnitz in Sachsen. Dort wuchs Badenschier auf, ging zur Schule, machte sein Abitur und schließlich den Zivildienst im Krankenhaus. Das Medizin-Studium führte ihn nach Marburg. „Die ersten drei Semester habe ich mich noch in Friedens- und Konfliktforschung eingeschrieben“, erzählt er feixend. Das habe sich einfach besser angehört, gerade auf Partys.

Mit politischem Engagement war Badenschier schon lange vorher vertraut. Im Bundestagswahlkampf 1990, mit zwölf Jahren, verteilte er Handzettel für Oskar Lafontaine. Später gründete er, zusammen mit 17 Mitstreitern und auf Anregung der Gesellschaftskundelehrerin, eine eigene Partei. „‚Die Partei’ haben wir sie genannt, das Programm war aber nicht zitierfähig“, so Badenschier heute. Das erste Mandat, einen Sitz im Studentenparlament der Universität Marburg, erlangte er im Jahr 2001. Ein Erfolg, der seiner politischen Karriere ein jähes Ende bereitete – zumindest vorerst. Weil die Konstituierung des Gremiums von wechselnden Lagern blockiert wurde, warf Badenschier das Handtuch. „Nie wieder Politik!“, sagte er sich damals. Tatsächlich folgten sieben Jahre im Schachclub.

In die SPD wegen der Gesellschaftskundelehrerin

Erst der Umzug von Kiel nach Schwerin – gemeinsam mit seiner Ehefrau und den inzwischen drei Kindern – sollte daran etwas ändern. 2009 trat Badenschier der SPD bei. Der zweite Eintritt in eine Partei, an dem erneut die Gesellschaftskundelehrerin ihren Anteil hat. „Wenn du etwas ändern willst, musst du in eine Partei eintreten“, hatte die ­ihrem Schüler mit auf den Weg gegeben. Badenschier will verändern, will gestalten.

Die Gelegenheit, das tatsächlich zu tun, kam im Herbst 2013. Die SPD im Land war auf der Suche nach Kandidaten für die im Jahr darauf anstehenden Kommunalwahlen, nach einigem Zögern griff Badenschier zu. Im Mai 2014 zog er in die Stadtvertretung von Schwerin ein. „Ich war neu, wusste gar nichts. Nicht einmal, was ein Ortsbeirat ist“, gesteht er freimütig. Wohl auch deshalb fand er sich in jenen Themenfeldern wieder, die besonders arbeitsintensiv sind. Der Radiologe Rico Badenschier wurde in seiner Freizeit zum Experten für die Themen Bauen, Stadtentwicklung und Verkehr.

Schwerins erster SPD-Oberbürgermeister seit 2002

Abschrecken ließ er sich nicht. „Wenn ich einmal Blut geleckt habe, versuche ich, das Bestmögliche zu erreichen“, so Badenschier über sich selbst. Eine Einschätzung, die anscheinend auch Parteifreunde vom Politiknovizen an ihrer Seite gewannen. Plötzlich richteten sich auch vor der Oberbürgermeisterwahl die Blicke auf Badenschier. „Ich bin gefragt worden“, erinnert er sich und berichtet aus einem Gespräch mit dem SPD-Landesvorsitzenden Erwin Sellering und seiner Stellvertreterin Manuela Schwesig, in dem er beiden erklärte: „Ich kann nicht versprechen, dass es gut wird. Doch ich werde mein Bestes geben.“

Badenschier hielt Wort. Nicht zuletzt dank tatkräftiger Unterstützung der SPD-Parteischule wuchs der Glaube daran, die Wahl tatsächlich gewinnen zu können. „Je länger der Wahlkampf wurde, desto besser lief es“, erinnert sich ­Badenschier. Der Ausgang ist bekannt: Badenschier erreichte die Stichwahl, setzte sich überraschend deutlich durch und ist seither der erste SPD-Oberbürgermeister Schwerins seit dem Jahr 2002.

Badenschier steht unter Beobachtung

Sein Ziel: Das momentane Wachstum der Stadt politisch so gestalten, dass es sich verstetigt und nachhaltig wird. „Jahrelang wurden Kitas und Schulen geschlossen und abgerissen, nun brauchen wir neue“, benennt Badenschier eine der dringendsten Aufgaben. Innere Sicherheit, die Unterbringung von Flüchtlingen und die transparente Vermittlung von Verwaltungshandeln sind weitere Themen, die es zu bearbeiten gilt. „Die schlechte Finanzausstattung bestimmt das komplette politische Handeln“, erklärt Badenschier und ist skeptisch, ob es den in anderen Landesteilen als Tatsache gehandelten „Hauptstadtbonus“ wirklich gibt. Fakt ist: In und um Schwerin wird sehr genau beobachtet, wie sich der Radiologe im Rathaus schlägt. Auf einen „Anfängerbonus“ wird ­Rico ­Badenschier nicht allzu lang setzen können.

Der Artikel ist im Vorwärts 01/02 erschienen.

weiterführender Artikel