Interview mit Helmut Dedy

„Bayerische Kommunen investieren drei Mal so viel wie saarländische“

Karin Billanitsch25. April 2016
Helmut Dedy
Helmut Dedy leitet das Dezernat Finanzen beim Deutschen Städtetag.
Helmut Dedy, Vertreter des Hauptgeschäftsführers und Finanzdezernent des Deutschen Städtetags, macht auf die großen Unterschiede bei der Finanzkraft der Kommunen aufmerksam. Er fordert vom Bund die Zusage, die flüchtlingsbezogenen Kosten der Unterkunft zu übernehmen. Auf Initiative des Deutschen Städtetags prüft der Bund, die Laufzeit des Investitionsförderungsgesetzes zu verlängern.

DEMO: Vor einem Jahr hat die Bundesregierung das kommunale Investitionspaket verabschiedet. Damit haben die Kommunen große Hoffnungen verknüpft. 2015 haben wir dann den – in diesem Ausmaß nicht erwarteten – Zustrom der Flüchtlinge erlebt. Das gibt Anlass zu fragen: Was hat der Bund für die Kommunen bereits getan?

Helmut Dedy: Der Bund hat viel getan, aber noch nicht genug. Dazu gehört das kommunale Investitionsförderungsgesetz, das mit dem Ziel aufgelegt wurde, strukturschwache Städte zu entlasten. Der Bund hat die Soforthilfe – eine Milliarde in den Jahren 2015 und 2016, 2,5 Milliarden in 2017 – auf den Weg gebracht. Wir haben die Aufstockung im Programm „Soziale Stadt“. Es ist eine ganze Menge passiert – und dennoch bleibt ein großes Problem, und das ist die unterschiedliche Investitionskraft, die wir in den Kommunen von Land zu Land haben.

Die Kommunen haben die Finanzhilfen wohl nicht in dem erwarteten Maß abgerufen. Worin sehen Sie den Grund?

Der Bund ist gerade dabei, die Laufzeit des kommunalen Investitionsförderungsgesetzes zu verlängern. Das Gesetz war für drei Jahre geplant und wird jetzt auf fünf Jahre gestreckt. Hintergrund dafür ist eine Initiative von uns. Denn die Investitionen lassen sich nur verwirklichen, wenn die technischen Ämter der Kommunen die Vorbereitungen und Zuarbeiten schaffen können. Genau diese Ämter waren 2015 massiv in der Flüchtlingsunterbringung involviert. Daher haben wir in Abstimmung mit dem Land Hessen dafür plädiert, den Zeitraum zu strecken und der Bund kommt dem jetzt wohl nach. Es ist in der Koalition abgestimmt, heißt es.

Das bedeutet, durch die Flüchtlingszuwanderung konnten Investitionen nicht abgewickelt werden?

Die Mittel sind abgerufen worden, soweit das eben ging. Aber es gibt keine Investition ohne die technischen Ämter. Wenn diese  Ämter bereits ausgelastet sind, etwa ein Bauamt, das sich um die Unterbringung der Flüchtlinge kümmern muss, dann kann  es nicht gleichzeitig diese Investitionen vorbereiten. Ich mache dem Bund bei diesem Thema keinen Vorwurf. Es trat einfach eine neue Situation ein, mit der die Ämter 2015 umgehen mussten.

Ordnen Sie bitte die aktuelle Lage ein – wo stehen die Kommunen finanziell jetzt?

Nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes stehen die Kommunen in der Gesamtschau mit einem deutlichen Überschuss da. Dieser Überschuss von mehr als 3 Milliarden Euro verteilt sich sehr unterschiedlich. Das lässt sich am besten an den Investitionszahlen verdeutlichen. Die bayerischen Kommunen investieren drei Mal so viel pro Einwohner wie im Saarland, in Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommern. Das ist eine enorme Spanne. Wir kommen an einen Punkt, wo die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse jedenfalls auf der investiven Seite nicht mehr gegeben ist.

Investitionen, egal ob Neuinvestitionen oder Erhaltungsinvestitionen, sind der Schlüssel für künftiges wirtschaftliches Potenzial und die Zukunftschancen der Menschen. Es gibt Bereiche, die nicht mehr zukunftsfähig gehalten werden können. Wir brauchen mehr Initiativen, um das Auseinanderdriften auszugleichen.

Forderungen nach weiterer Unterstützung zur Bewältigung von Ausgaben für Flüchtlinge und der kommunale Überschuss von mehr als drei Milliarden Euro – wie passt das zusammen?

Bei der Flüchtlingssituation würde ich gerne aus der kommunalen Sicht darlegen, was da gerade passiert. Wir haben die Erstaufnahme und Versorgung: Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Kommunen und Ländern. Da sind wir mit den Ländern im Gespräch über die Kostenerstattung, der Bund hat einen ersten Betrag beigesteuert.

Das eigentlich wichtige Thema, das jetzt beginnt, ist die Integration. Dabei befürchten wir eine Entwicklung, die wir „kalte Kommunalisierung“ nennen. Wenn gar nichts passiert, wenn Bund und Länder jetzt einfach nichts tun, dann wird der Aufwand, der mit den Flüchtlingen nach ihrer Anerkennung durch das BAMF für die Städte verbunden ist, in den kommunalen Haushalt gebucht. Der Geflüchtete hat dann einen Anspruch auf Kosten der Unterkunft, wenn er Kinder hat brauchen die einen Kitaplatz oder eine Schule. Die Menschen benötigen Sprach- oder Integrationskurse, die zum Teil vom Bund gezahlt werden und vor Ort häufig über die Volkshochschulen laufen. Die Infrastruktur für Vereine muss aufrechterhalten werden. Der ÖPNV  muss sich der gestiegenen Bevölkerungszahl anpassen. Das alles ist kommunale Aufgabe. Kalte Kommunalisierung heißt: Wenn nichts passiert, haben wir die Herausforderung in unseren Haushalten.

Welche konkreten Forderungen haben Sie?

Wir brauchen vom Bund die Zusage, dass er die flüchtlingsbezogenen Kosten der Unterkunft übernimmt. Das ist bisher noch nicht erfolgt, aber die Gespräche machen mir Hoffnung. Die Länder sind bei dem Teil der Infrastruktur gefordert, der auch für Flüchtlinge gedacht ist. Das betrifft zum Beispiel Schulen oder Kitaplätze. Auch hier brauchen wir Hilfen.

Welche finanzielle Unterstützung benötigen die Kommunen also zusätzlich zu den bisherigen Hilfen?

Im Koalitionsvertrag wurde verabredet, dass die Kommunen um fünf Milliarden Euro entlastet werden sollen ab 2018. Diese fünf Milliarden haben mit der Flüchtlingszuwanderung nichts zu tun. Bislang ist noch nicht entschieden worden, auf welchem Weg das passieren soll. Der Deutsche Städtetag plädiert nachdrücklich dafür, dass das Geld als Entlastung über die Kosten der Unterkunft an die Kommunen fließen soll.

Die flüchtlingsbezogenen Kosten der Unterkunft sollen da noch oben drauf kommen. In diesen Punkten sind wir im Gespräch mit dem Bund, die Länder sind auch im Gespräch mit dem Bund. Das wird eine entscheidende Wegmarke sein. Wenn wir beide Ziele erreichen, dann entlastet das die strukturschwächeren Städte.

Die Kosten der Reform der Eingliederungshilfe müssen auch noch auf kommunaler Seite berücksichtigt werden ...

Wir müssen bei dem Gesetzentwurf darauf achten, dass den Kommunen nicht weitere Lasten aufgebürdet werden. Wie bei jeder Veränderung eines Leistungsgesetzes droht eine Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte. Die muss der Bund finanzieren, damit eine echte Entlastung von fünf Milliarden Euro bei den Sozialausgaben bei den Kommunen ankommt.

Sie haben die großen Unterschiede zwischen den Kommunen in Deutschland angesprochen. Was könnte hier die Lösung sein?

Wir haben einige Städte, bei denen der Schuldenstand derart hoch ist, dass sie aus eigener Kraft davon nicht runter kommen. Daher brauchen sie Unterstützung. Diese Unterstützung kann gedanklich in Deutschland nur vom Bund oder von Bund und Ländern kommen.

Zweitens wird im Wirtschaftsministerium an der „Neuausrichtung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gearbeitet. Da haben wir die  Hoffnung, dass das einen Beitrag dazu liefert, die Unterschiede auszugleichen. Über diese Gemeinschaftsaufgabe können dann bestimmte Investitionen, auch kommunale Investitionen, in einzelnen Regionen stattfinden.

Den anderen Punkt haben wir eben angesprochen, das betrifft die Kosten der Unterkunft. Die investitionsschwachen Städte brauchen eine Hilfe auf der Ausgabenseite, und das muss die Sozialhaushalte entlasten. Wir müssen weg von der Unterschiedlichkeit der Investitionskraft. Weil sonst die Unterschiede immer größer werden und die Disparität zwischen den Städten immer mehr zunehmen wird. Und das wird auf Dauer ein Problem für Deutschland werden.

Was heißt der Vorschlag der Länder zur Neuordnung des Finanzausgleichs für die Kommunen?

Er heißt im Kern unmittelbar eigentlich nichts. Die Länder haben dem Bund jetzt einen Vorschlag gemacht, dass der Bund noch etwas mehr Geld gibt, als er eigentlich vorgesehen hatte. Wir finden es gut, dass die Länder jetzt eine gemeinsame Position haben. Das bietet die Chance, das Thema vom Tisch zu kriegen. Und wenn die Bund-Länder-Finanzbeziehungen einmal neu geordnet sind und der Bund tatsächlich 9,6 Milliarden übernimmt, wird es ja zu einer Besserstellung der Länder kommen. Die sollte natürlich auch zu einer Besserstellung von Kommunen genutzt werden. Das sind aber Entscheidungen, die in den Ländern fallen.

Also das birgt immerhin das Potenzial, dass die Kommunen mittelbar entlastet werden?

Ja. Es gibt ein Potenzial. Und es steht zu hoffen, dass es noch in diesem Sommer Realität wird.