Beteiligung in Berlin-Lichtenberg

Wie Bürgerhaushalte demokratische Mitbestimmung fördern

Peter Schraeder28. Februar 2017
Geld Symbolbild
Von den Bürgern festgezurrt: In Lichtenberg entscheidet die Bevölkerung mit, wofür das Geld des Bezirkes ausgegeben wird.
Bundesweite Volksabstimmung? Demokratische Teilhabe geht auch anders, wie das Beispiel des Bürgerhaushalts in Berlin-Lichtenberg zeigt. Die Bewohner des Stadtteils können eigene Projekte einreichen und Gelder verteilen.

Demokratie fängt im Kleinen an. Dieser Eindruck kann wenigstens aufkommen, wenn Reimer Dunkel von seiner Arbeit erzählt. Mit großer Geduld erklärt der Rentner,  wie der Bürgerhaushalt Lichtenberg und der Kiezfonds funktionieren – zwei Instrumente, mit denen die Bewohner der Berliner Bezirks die Kommunalpolitik aktiv mitgestalten können.

Vorschläge aus der Bevölkerung

Die Idee: Bürger reichen Vorschläge für die Gestaltung des Stadtteils oder die Verbesserung des Gemeinschaftslebens beim Bezirksamt ein und entscheiden teilweise selbst, wofür das Geld des Bezirks ausgegeben werde soll. Den Bürgerhaushalt gibt es seit 2005. Er geht auf die Initiative der Linken zurück, die damals mit Christina Emmrich die Bezirksbürgermeisterin stellten. Als das Amt an die SPD ging, setzten die Sozialdemokraten das Projekt fort. Bürgerhaushalte gibt es allerdings nicht nur in Berlin-Lichtenberg. Bundesweit haben eine ganze Reihe von Orten ähnliche Projekte eingeführt oder erprobt, darunter Städte wie Münster, Stuttgart oder Leipzig.

Der Ausgangspunkt ist immer der gleiche: Wer eine Idee dafür hat, wie etwa die Jugend vor Ort, lokale Grünanlagen oder örtliche Sportangebote gefördert werden könnten, stellt einen Antrag beim zuständigen Amt. Das geht in Lichtenberg per Brief, online oder mündlich bei einem der Stadtteilzentren. Für den Erfolg des Anliegens ist es entscheidend, ob es der Gemeinschaft zugute kommt. Die Lichtenberger Antragssteller werden jederzeit darüber informiert, was mit ihrem Vorschlag passiert. „Für viele ist allein das schon ein wichtiges Signal“, sagt Reimer Dunkel.

Bürgergremien entscheiden

Handelt es sich bei dem Vorschlag bloß um die Reinigung einer Straße oder die Reparatur einer kaputten Schaukel wird das Anliegenmanagement des Bezirks eingeschaltet. „Wir wollen nicht zu einer Beschwerdestelle werden“, so Dunkel. Für einige städtische Bereiche ist auch nicht der Bezirk zuständig, sondern etwa der öffentliche Nahverkehr, lokale Unternehmen oder der Senat. Alle übrigen Vorschläge gehen an die Fachausschüsse der Bezirksparlamente oder – wenn die Anträge den Haushalt betreffen – an einen eigens dafür eingerichteten Beirat, das sogenannte Begleitgremium.

Das entscheidet darüber, ob und wann das Projekt umgesetzt werden kann – abhängig davon, wie viel Geld für das laufende Jahr noch da ist. Das letzte Wort hat allerdings das Bezirksparlament, das Begleitgremium spricht nur eine Empfehlung aus. Es berät sich öffentlich, die Abstimmung ist aber geheim. Allerdings sind nur 15 Mitglieder des Gremiums stimmberechtigt: je fünf Männer und Frauen aus dem Bezirk ohne politisches Amt, dazu fünf Vertreter des Bezirksparlaments und drei vom Bezirksamt. Hinzu kommen ständige Mitglieder, die die besonderen Interessen der einzelnen Bevölkerungsgruppen oder Stadtteile vertreten, aber nicht abstimmen dürfen.

Beteiligung per Losverfahren

Das einflussreichste Projekt, das auf einen Vorschlag für den Bürgerhaushalt zurückgeht, ist der Kiezfonds. „Mein Lieblingsthema“, sagt Reimer Dunkel. „Der Vorschlag kam von Jugendlichen. Sie wollten eine Möglichkeit haben, um kurzfristig Geld für kleinere Projekte zu bekommen“. Gesagt getan: Seit 2010 verfügen die 13 Stadtteile Lichtenbergs jeweils über ein jährliches Budget für gemeinnützige Projekte, über das eine Bürgerjury entscheidet. „Anfangs waren es 5.000 Euro, dann 7.000 und für 2017 sind es sogar 10.000 Euro pro Bezirk, die aus dem Haushalt der Stadt bereitgestellt werden“, erklärt Dunkel.

Das Besondere an der Bürgerjury: Sie kommt durch ein Losverfahren zustande und soll die Bevölkerung repräsentativ abbilden. Per Post fragt die Stadt bei ihren Bürgern an – und wer Lust hat, kann schon bald mitentscheiden. Die Bedingungen: Die Jurymitglieder müssen entweder in Lichtenberg wohnen oder arbeiten und dürfen in keinem der städtischen Parlamente sitzen. Vergangenes Jahr hat die Bürgerjury „Frankfurter Allee Süd“, der Reimer Dunkel als Geschäftsführer vorsteht, unter anderem ein Kiezfest, die Unterstützung für ein Jugendhaus und ein soziales Kulturprojekt bewilligt.

„Hier kann ich was bewegen“

„Wir sind sehr kritisch, nicht jeder Antrag kommt durch. Außerdem würden wir auch keine parteipolitischen Projekte unterstützen“, so Dunkel. Die Resonanz sei gut; der Kiezfonds werde immer beliebter. Schwierig sei es allerdings, junge Menschen zu erreichen: In der Bürgerjury sind sie kaum vertreten. „Immerhin kommen inzwischen auch Projektvorschläge von Jugendlichen“, sagt Dunkel, der sein ehrenamtliches Engagement unbedingt fortsetzen will: „Hier kann ich was bewegen. Es macht mir Spaß und ich habe eine sinnvolle Aufgabe.“

 

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwärts.de.

Bürgerhaushalt Lichtenberg

„Der Bürgerhaushalt ist ein Beteiligungsverfahren, bei dem Bürger/innen, Politik und Verwaltung gemeinsam einen Teil des bezirklichen Haushalts bzw. die bezirklichen Leistungen und Aufgaben Lichtenbergs diskutieren und gestalten.” So steht es auf dem Internetportal zum Lichtenberger Bürgerhaushalt. Die Themenbereiche, über die debattiert werden können, reichen von Öffentlichen Bibliotheken über Musikschulen, Sportförderung und Stadtteilprojekte oder die bezirkliche Wirtschaftsförderung bis hin den Volkshochschulen.

Weitere Informationen gibt es unter www.buergerhaushalt-lichtenberg.de.