Bildung

Coronakrise: Wie das digitale Lernen funktioniert

Karin Billanitsch25. März 2020
Die Schulen in Deutschland sind wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Unterricht findet trotzdem statt – allerdings nicht im Klassenraum. Lehrer müssen sehr kurzfristig mit digitalen Mitteln ihren Unterricht am Laufen halten.
Wegen der Corona-Krise sind die Schulen geschlossen. Nun muss das digitale Lernen von zu Hause aus erprobt werden. Expert*innen warnen, manche Kinder könnten aufgrund mangelnder Ausrüstung benachteiligt sein. Eine einheitliche Vorgehensweise gibt es nicht.

In allen Bundesländern wurden wegen der Corona-Krise vorsorglich die Schulen geschlossen. Nun muss – mitten im Ernstfall – das digitale Lernen von zu Hause aus erprobt werden. Lehrer müssen blitzartig versuchen, die Schüler online zu unterrichten. In Deutschland stellen einzelne Bundesländer zwar Zugänge zu digitalen Unterrichtsplattformen bereit – eine einheitliche Vorgehensweise gibt es jedoch nicht.

Moodle in Baden-Württemberg mit Anlaufschwierigkeiten

Auf die Online-Plattform Moodle können zum Beispiel Baden-Württembergs Schüler zurückgreifen. Allerdings gab es dabei Anlaufschwierigkeiten. Der Landesschülerbeirat hatte am ersten Tag der Schulschließung in der vergangenen Woche berichtet, dass das System unter dem Ansturm „komplett gecrasht“ sei.

Bereitgestellt wird das Lernmanagementsystem für den interaktiven Unterricht vom baden-württembergischen Kultusministerium. Alle Schulen können das System kostenlos nutzen. Damit ist es zum Beispiel möglich, Lerngruppen zu bilden, Lernmaterial hochzuladen oder Bildergalerien ins Netz zu stellen, zum Beispiel für eine Präsentation. Lehrer können auch Arbeiten der Schüler entgegennehmen und bewerten. Universitäten nutzen Moodle ebenfalls, zum Beispiel die TU München.

„Neue Speicherkapazitäten gekauft“

Die hohen Zugriffszahlen hatten in Baden-Württemberg den ersten Crash verursacht, wegen der „riesigen Abrufzahlen“, heißt es aus dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. Die Aufrufe hätten sich vom vergangenen Montag bis Donnerstag bei den neu eingerichteten 4.000 Konten auf 900.000 mehr als verzehnfacht. Und bei den Schulen, die bereits Moodle nutzten, zählte die Statistik nach Angaben des Ministeriums 20 Millionen Aufrufe.

 „Ja, es gab Startprobleme, vor allem mit der Auslastung der Server und deren Geschwindigkeit“, räumte Ressortchefin Susanne Eisenmann (CDU) ein. Nun seien 4.000 neue Moodle-Schulaccounts entstanden, das Land habe neue Speicherkapazitäten dazugekauft. „So sind wir für weiter steigende Zugriffe gewappnet“, so die Ministerin. Moodle ist eine Open-Source-Lösung, die in Baden-Württemberg schon seit Jahren an einigen Schulen und in der Lehrerfortbildung eingesetzt wird.

Auch in Rheinland-Pfalz stellt das pädagogische Landesinstitut für die Schulen eine Moodle-Lernplattform bereit. Auch hier wurde die Speicherkapazität erhöht, damit moodle@rlp „wieder allen Schulen“ zur Verfügung stehen kann, wie es auf der Internetseite heißt.

Im Stresstest: „Lernraum Berlin“

Die Senatsverwaltung in Berlin bietet den „Lernraum Berlin“ – ebenfalls eine Moodle-Plattform – zum Lernen von zu Hause aus an. Die Plattform wird von Lehrern betrieben. Nach einer Umfrage des Landesschülerausschusses, über die der Tagesspiegel berichtet hat, nutzen 22 Prozent der Befragten die Online-Plattform. Der Großteil der Kommunikation findet per Mail statt, sagen 78 Prozent der Befragten. Allerdings dürften diese Zahlen nur eine Momentaufnahme sein – täglich melden sich neue Nutzer an.

Nach der Erfahrung von Norman Heise vom Landeselternausschuss des Landes Berlin funktioniert der Lernraum. Nur temporär gebe es Probleme, was die Verfügbarkeit betrifft. Er weist aber darauf hin: „Der Lernraum Berlin war nie darauf ausgelegt, in so einer Krise, die wir gerade haben, die Verteilerbasis zu sein.“ Deswegen entstünden ja gerade jetzt auch zeitweise Zugangsproblematiken, dass Accounts angelegt werden und Lehrer warten müssen, bis sie freigeschaltet sind.

Problematisch ist, dass die individuelle Ausgangssituation an den Schulen so unterschiedlich ist. Manche Schulen in Berlin nutzen den Lernraum schon länger, andere müssen sich ganz neu einfinden und stoßen dabei auch an ihre Grenzen. „Da erleben wir gerade sehr unterschiedliche Erfahrungsberichte.“ Mancher Lehrer, weiß Heise, nutzt auch einfach nur eine Mail und hängt gescannte Aufgaben an. Andere Eltern berichten von Messenger-Diensten, wie etwa Wire, die in Gebrauch sind.

Bayern setzt auf Plattform Mebis

Das bayerische Kultusministerium bietet Schülern und Lehrern zentral eine Weiterentwicklung des früheren Bayernmoodle an, die bayerische Schul-Plattform Mebis. Allerdings gab es auch hier Probleme: So wurde am vergangenen Montag die Plattform gehackt und war danach längere Zeit nicht erreichbar. Bayerns Kultusministerium setzt auf eine Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk und ARD Alpha, wo Bildungsprogramme für verschiedenen Jahrgänge laufen.

Schulministerium in NRW stellt Material zur Verfügung

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen hat das Ministerium für Schule und Bildung für die Schulen in Nordrhein-Westfalen eine umfangreiche Materialsammlung mit Angeboten und Tipps für das Lernen auf Distanz zusammengestellt, hieß es auf Anfrage aus dem NRW-Schulministerium. „Damit sollen die Schulen in den kommenden Tagen unterstützt werden, geeignete Aufgaben für Ihre Schülerinnen und Schüler zu konzipieren.“ Die Zusammenstellung versteht sich als Zusatzmaterial zu den in den Schulen eingeführten Lernmitteln. „Das Lernen auf Distanz stellt für Schülerinnen und Schüler, aber auch für die Lehrkräfte, eine besondere Herausforderung dar“, hieß es.

Die Materialsammlung enthält neben staatlich-kommunalen Angeboten auch private Angebote. So enthält sie zum Beispiel Hinweise auf digitale Schulbücher und weitere Online-Angebote. Die Material-Liste wird kontinuierlich ergänzt und erweitert. (Hier ein Link zur Liste im Bildungsportal.)

NRW hat zudem mit „Logineo“ ein digitales Schulnetz, mit dem Lehrer*innen Aufgaben verschicken können. Auch hier gab es in den vergangenen Tagen laut einem Medienbericht Probleme mit dem E-Mail-Versand.

Viele Lösungen möglich

Es gibt neben Moodle viele weitere Lösungen für virtuelle Klassenzimmer und Lernräume. Der Branchenverband Bitkom hat auf seiner Internetseite eine Übersicht von Anbietern zusammengestellt. Ein Problem beim digitalen Lernen sei auch, dass jedes Kind zu Hause andere technische Ausrüstungen habe, so der Verband. Deshalb hat die Bitkom-Liste sich konzentriert auf Beispiele, „die auf allen Endgeräten funktionieren“. Außerdem seien alle aufgeführten Anwendungen kostenlos und könnten ohne Beschaffungsvorgänge verwendet werden, hieß es.

Problem: Nachteilige Auswirkungen für Kinder

Neben den Anlaufschwierigkeiten und dem uneinheitlichen Vorgehen in den Regionen machen Experten auf ein weiteres Problem aufmerksam: Weil zu Hause die verschiedensten Voraussetzungen vorliegen und nicht jedes Kind Rechner, Drucker, Computer oder eine gute Intrernetverbindung hat, sehen Experten soziale Nachteile. So warnte die GEW:  „Es wird zu massiven sozialen Ungleichheiten kommen.“ Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt davor, dass sich ohnehin bestehende Nachteile durch die Krise noch viel verstärken werden. „Das ist ein Riesenproblem.“  Es gebe auch Schulen, die überhaupt kein Netz haben. „Da nützt auch eine Lernplattform nichts.“ Im Moment könne man jedoch sehr wenig tun, räumt sie ein. Man müsse sehen, was man nach der Corona-Krise macht, so Hoffmann.

Kaczmarek: „Große Herausforderung“

Der Bundestagsabgeordnete Oliver Kaczmarek, Sprecher für Bildung und Forschung der SPD-Fraktion, weiß: „Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie stellen das Bildungssystem vor eine große Herausforderung. Digitale Lernangebote können jetzt einen Beitrag leisten, um die Folgen für die Schülerinnen und Schüler abzumildern. Es zeigt sich jetzt einerseits, wie groß der Handlungsbedarf in der digitalen Bildung ist und welchen Rückstand Deutschland gegenüber anderen Ländern in diesem Bereich hat, und andererseits, wie viel Kreativität und Innovation durch engagierte Lehrerinnen und Lehrer gerade jetzt frei wird.“ Er verweist auch auf den Digitalpakt Schule. Er „war überfällig und er ist richtig. Die SPD begrüßt, dass Bund und Länder einen Weg finden wollen, um in der Krise digitale Lernplattformen zu stärken.

Forderung: Mittel vom Digitalpakt Schule abzweigen

Hintergrund: Die Bundesländer stehen gerade mit dem Bundesbildungsministerium in Verhandlungen, ob nicht ein Teil der Digitalpaktmittel „jetzt sehr schnell auch für Online-Lehr- und Lerngebote einsetzen können“, bestätigte die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Stefanie Hubig (SPD) am Donnerstag in einer Pressekonferenz des Digitalverbands Bitkom. Mit Blick auf die Coronakrise müssten jetzt Mittel umgewidmet werden. Kaczmarek merkt dazu an: Die Bundesbildungsministerin ist gefordert, die entsprechenden Gelder aus dem Digitalpakt bereit zu stellen.

Bis 2024 stellt der Bund mit dem Pakt fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung von Deutschlands Schulen bereit. Die Schulträger können beim jeweiligen Land Fördermittel beantragen. Doch bislang wurde nur ein Bruchteil der Summe abgerufen, wie der Verband Bitkom in einer Umfrage mitteilte. „Der Digitalpakt kam zu spät, man könnte heute weiter sein“, kritisiert Ilka Hoffmann. Die Schulen hätten ganz unterschiedliche Konzepte – oder eben nicht. „Viele haben sich gesagt, wir wollen nicht einfach Geld verbraten, wir brauchen auch ein Konzept – und das dauert.“ Es sei eigentlich klug, nicht für etwas Geld abzurufen, was unausgegoren sei.

„Keine sozialen Verwerfungen“

Beim digitalen Lernen dürfe es aber zu keinen sozialen Verwerfungen kommen, betonte  auch Bildungspolitiker Kaczmarek. „Gerade ein digital unterstütztes Bildungsangebot kann zukünftig dabei helfen, soziale Benachteiligungen abzubauen, wenn alle Schülerinnen und Schüler den gleichen Zugang haben. Der Digitalpakt ermöglicht es Schulen schon jetzt, mobile Endgeräte für Schülerinnen und Schüler anzuschaffen, die über kein eigenes Gerät verfügen.“

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