Studie zum Investitionsbedarf

Jede dritte kommunale Straße ist in schlechtem Zustand

Carl-Friedrich Höck30. August 2023
Linienbus auf einer Straße: In Straßen und ÖPNV müsste laut Difu-Institut mehr investiert werden.
Um die kommunalen Straßen und ÖPNV-Netze auf Vordermann zu bringen, müsste viel Geld investiert werden – weit mehr, als die Gemeinden aufbringen können. Eine Difu-Studie beziffert den Investitionsbedarf bis 2030 auf 372 Milliarden Euro. Die Zukunft des Deutschlandtickets ist unklar.

Man habe eine verkehrspolitische Inventur durchführen wollen, sagte Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Sein Verband hat gemeinsam mit dem ADAC und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) eine Studie in Auftrag gegeben. Ihr Ziel: den Investitionsbedarf für die Schienennetze, Straßen und Wege in den deutschen Kommunen zu ermitteln.

Durchgeführt wurde die Studie vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Es hat Daten aus Geo-Informationssystemen ausgewertet und Fragebögen an Kommunen verschickt. „Wir wissen jetzt, dass das Straßennetz der Kommunen ungefähr 714.000 Kilometer lang ist“, sagt Dr. Stefan Schneider vom Difu-Institut. Das sei eine beachtliche Zahl, die bisher nicht bekannt gewesen sei. Die Länge der U-Bahn-Gleise summiert sich auf rund 900 Kilometer, die der Straßenbahnen auf 6.320 Kilometer.

Hoher Nachholbedarf bei Straßen- und Schienennetzen

Dies alles instand zu halten ist teuer und aufwendig. Viele Jahre wurde die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Das rächt sich nun. Rund ein Drittel der Straßen weist laut den Angaben der Kommunen größere Mängel auf. Fast jede zweite Straßenbrücke ist in schlechtem Zustand.

Die Geldsumme, die nötig wäre, um das Versäumte aufzuholen, ist laut Difu-Studie gewaltig. Allein der Nachhol- und Ersatzbedarf bei der kommunalen Straßenverkehrsinfrastruktur wird vom Institut bis zum Jahr 2030 auf 283 Milliarden Euro geschätzt. Dazu kommen 64 Milliarden Euro für den Öffentlichen Nahverkehr. Nicht enthalten sind Erweiterungsbedarfe, schließlich müssen auch neue Siedlungen an die Verkehrsnetze angebunden werden. Alles in allem kommt das Difu auf einen Betrag von 372 Milliarden Euro.

Kommunen vor zweifacher Herausforderung

„Diese Herausforderung können die Kommunen nicht alleine stemmen“, betont Anne Klein-Hitpaß vom Difu-Institut. Sie spricht von einer doppelten Herausforderung, schließlich müsse die Verkehrsinfrastruktur nicht nur modernisiert, sondern auch in Richtung Nachhaltigkeit umgebaut werden. Das heißt: Die Kommunen müssen den ÖPNV ausbauen, Mobilitätsstationen für Sharing-Angebote schaffen, Fahrradstellplätze einrichten und in Elektromobilität investieren.

Die Verkehrswende ist aus ihrer Sicht aber finanzierbar. Denn die notwendigen Ausgaben könnten an andere Stelle zu Einsparungen führen. „Mit zielgerichteten Investitionen können die Kommunen der Verkehrswende Nachdruck verleihen“, sagt Klein-Hitpaß. Ihr Kollege Schneider bestätigt die Einsparpotenziale: Wenn zum Beispiel weniger schwere Lkw durch die Innenstädte fahren würden, könnten die Straßen länger genutzt werden. Das Difu schätzt, dass für die Verkehrswende bis 2030 – je nach Ausgestaltung – zwischen 39 und 63 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen nötig sind. Gleichzeitig könnten Einsparungen von rund 21 bis 63 Milliarden Euro erzielt werden.

Investitionsrückstand lässt sich nicht schnell aufholen

Der Bau-Lobbyist Müller geht nicht davon aus, dass eine Finanzierungsspritze über 372 Milliarden Euro realistisch ist. Selbst wenn sie käme, könne seine Branche gar nicht sofort alles abarbeiten. Die Debatte über den Stellenwert kommunaler Infrastruktur müsse dennoch geführt werden. „Es braucht einen kommunalen Investitionspakt“, fordert er.

VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff setzt auf ein „gut funktionierendes Bundesprogramm“ für Investitionen in ÖPNV-Netze: das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, kurz GVFG. Die Mittel hierfür wurden zuletzt deutlich erhöht und sollen noch einmal verdoppelt werden: ab 2025 auf dann zwei Milliarden Euro jährlich. Die Branche schöpfe die Mittel auch ab, heißt es beim VDV. Das Geld werde in Zukunft nicht ausreichen, der Verband hält eine weitere Erhöhung auf drei Milliarden Euro jährlich für geboten.

Wissing fordert Länder und Verkehrsverbünde zum Sparen auf

Die Signale aus der Bundespolitik zeigen jedoch in eine andere Richtung. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) betonte zuletzt, dass er für das Deutschlandticket kein zusätzliches Geld bereitstellen wolle, um sich an den steigenden Kosten zu beteiligen. Stattdessen fordert er die Länder auf, „den Flickenteppich der Verkehrsverbünde effektiv neu zu ordnen“. Da müssten jetzt Einspareffekte erzielt werden.

Die kommunalen Spitzenverbände reagieren entsetzt auf diese Äußerung. Dem Deutschlandticket drohe das Aus, wenn der Bund keine Finanzierungszusage für 2024 gebe. „Eine zusätzliche Belastung kommunaler Kassen durch das Ticket ist nicht darstellbar“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Kommunalverbände. Dafür fehlten die Finanzmittel. „In den vergangenen Jahren sind die Beiträge der Kommunen zum ÖPNV aufgrund von Kostensteigerungen bei Energie und Kraftstoffen, aber auch durch Personal und die Anschaffung sauberer Fahrzeuge massiv gestiegen, allein von 2017 bis 2021 im Durchschnitt um mehr als 35 Prozent.“ Die erhöhten Regionalisierungsmittel kämen in den Kommunen nicht an, weil der Schienenpersonennahverkehr von den Ländern organisiert werde.

Die Bundesregierung habe angekündigt, in den Ausbau des ÖPNV investieren zu wollen, für mehr Klimaschutz, Qualität und eine bessere Erreichbarkeit ländlicher Räume. „Zeitplan und Umsetzungsumfang ist sie bis heute schuldig geblieben“, erklären die Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, des Landkreistages und des Städte- und Gemeindebundes.

SPD-Politikerin Martin sieht auch die Länder in der Pflicht

Für Dorothee Martin, die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, ist das Deutschlandticket ein Erfolg. „Wichtig ist, dass wir gemeinsam mit den Ländern eine Lösung zur gesicherteren Finanzierung finden. Über das Deutschlandticket hinaus braucht es nun auch außerordentliche Anstrengungen für mehr Kapazität im ÖPNV insgesamt.“

Bei den Regionalisierungsmitteln müsse wieder mehr Beständigkeit geschaffen werden, um langfristigere Planungen zu ermöglichen. „Bund und Länder müssen nun gemeinsam zügig vorangehen, um eine solche stabile Lösung zu schaffen“, fordert Martin. Dabei müssten einige Länder auch ihre eigenen finanziellen Anstrengungen deutlich steigern, sie trügen die Hauptverantwortung für den ÖPNV.

Mehr Informationen:
difu.de

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