Bürgerdialog zu Kommunen und Europa

Warum die EU demokratischer ist, als viele denken

Carl-Friedrich Höck18. Juli 2023
EU-Flaggen und die Flaggen der Mitgliedsländer, aufgenommen in Brüssel.
Wie profitieren die Kommunen von der EU? Und welche Mitbestimmungsmöglichkeiten haben Städte und Gemeinden auf europäischer Ebene? Das war am Montag Thema eines Bürgerdialogs der überparteilichen Europa-Union.

Expert*innen schätzen, dass zwei Drittel der Rechtsakte der Europäischen Union (EU) direkten Einfluss auf die Städte und Gemeinden haben. Die EU setzt soziale und ökologische Standards, macht Vorgaben für den Verbraucherschutz und das kommunale Wahlrecht. Außerdem fließt viel Geld aus Brüssel. 226 Milliarden Euro pro Jahr investiert die EU allein in die Förderung der Kommunen und Regionen – und diese Summe umfasst längst nicht alle Förderprogramme, die in den Regionen verarbeitet werden.

Das erklärte Moderatorin Helene Salzburger zu Beginn des Online-Bürgerdialogs „Stadt, Land, Europa?! Von lokalen Herausforderungen zu gemeinsamen Lösungen in Europa.“ Die Veranstaltung am Montagabend war der Auftakt zu einer neuen Dialogreihe des überparteilichen Vereins Europa-Union Deutschland. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung fördert die Veranstaltungen.

Ausschuss vertritt Interessen der Regionen

Eine zentrale Frage der Diskussion lautete: Können die Kommunen ausreichend mitbestimmen, wenn in Brüssel über ihre Belange entschieden wird? Ja, meinte der CDU-Europaabgeordnete Peter Jahr. „Es gibt kein europäisches Gesetz, das gegen den ausdrücklichen Willen des Ausschusses der Regionen in Kraft ist.“ Dieser Ausschuss (kurz AdR) vertritt die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in der gesamten Europäischen Union. Wenn neue Rechtsvorschriften Auswirkungen auf die Regionen und Städte haben, gibt er Stellungnahmen ab.

Neben dem AdR gibt es noch den Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE). Das ist ein 1955 gegründeter Interessenverband, in dem sich lokale und regionale Gebietskörperschaften aus mehr als 30 Ländern organisiert haben. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Lobbyarbeit, wenn neue EU-Gesetze erarbeitet werden. Der Deutschen Sektion des RGRE gehören neben zahlreichen Städten, Gemeinden und Landkreisen auch der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Landkreistag an.

Bürger*innen und Kommunen nehmen Einfluss auf EU

Über diese beiden Organisationen nehmen die Kommunen großen Einfluss auf die europäische Ebene. Die Präsidentin der deutschen Delegation im AdR Isolde Ries (SPD) betonte: „Wir sind die Stimme der Menschen vor Ort.“ Wenn der Ausschuss tage, sei auch die EU-Kommission immer dabei. „Vielleicht müssen wir nur bekannter machen, wo die Mitwirkungsmöglichkeiten bestehen“, merkte Ries an. Auch Peter Jahr sah es so: „Strukturell läuft es eigentlich.“ Dennoch nähmen viele Bürger*innen Brüssel „als übergeordneten Vorschriftskorpus“ wahr. Dabei können die Bürger*innen nicht nur über ihre Kommunen mitbestimmen, was in Brüssel passiert, wie im weiteren Diskussionsverlauf deutlich wurde. Sie können auch ihre Europaabgeordneten direkt ansprechen oder ihr Anliegen mit einer Petition auf die Tagesordnung setzen.

Europäische Förderprogramme seien für die Kommunen und Regionen „wahnsinnig wichtig“, unterstrich Michael Schmitz vom Europabüro des Deutschen Landkreistages. Die Kohäsionspolitik trage dazu bei, Ungleichheiten in Europa abzubauen. Die deutschen Kommunen seien mit einer Vielzahl an Krisen konfrontiert, etwa den Corona-Folgen und dem Klimawandel. „Wir müssen europäische Mittel nutzen, um Wiederaufbau zu betreiben und um langfristige Investitionen zu tätigen.“

Die Kehrseite: Einen Förderantrag zu stellen sei manchmal mit zu viel Bürokratie verbunden, so Schmitz. Das ärgert auch den CDU-Abgeordneten Jahr. Er kritisiert: Bei der Suche nach Kompromissen würden zu oft Fußnoten in die EU-Beschlüsse hineinverhandelt. Da bleibe der Bürokratieabbau auf der Strecke. Seine Forderung: Brüssel solle weniger vorschreiben und kontrollieren, stattdessen mehr Vertrauen in die Basis setzen. Dem widersprach Schmitz vom Landkreistag zumindest teilweise. In Ungarn sei gerade mit EU-Mitteln ein Baumwipfelpfad gebaut worden – mitten auf einem Feld ohne Bäume. Wenn man die Prüfverfahren zu sehr reduziere, könnten solche Ergebnisse dabei herauskommen.

Zu viele Hürden auf dem Weg zur Förderung

Einig war sich die Runde aber darin, dass es zu schwer sei, an die EU-Gelder heranzukommen. Die SPD-Politikerin Isolde Ries sagte: Gerade die Länder, die es am nötigsten hätten, verfügten nicht über genügend Fachkräfte. Für ein neues Projekt brauche man Leute, die die komplizierten Förderanträge ausfüllen können, finanzielle Eigenmittel, Handwerker*innen, Material – und bis man das alles beschafft habe, laufe oft schon das Zeitfenster ab, in dem das Ganze abgerechnet werden müsse. Dies sei für viele nicht zu schaffen. „Das sind alles Hürden“, so Ries.

Schmitz vom Landkreistag merkte an, dass dreimal so viele Fördergelder in die großen Städte fließen wie in den ländlichen Raum. Das liege an fehlendem Personal in kleinen Gemeinden, aber auch daran, wie die Förderprogramme gestrickt seien. Wenn beispielsweise eine kleine Gemeinde einen Fahrradweg zur nächsten Gemeinde bauen wolle, könne es sein, dass sie kein Geld bekomme, weil die EU-Förderung auf „urbane Mobilität“ abziele.

Doch nicht immer ist Brüssel schuld – darauf wurde in der Dialogveranstaltung deutlich hingewiesen. Denn die konkrete Umsetzung der Förderprogramme erfolgt regional, in Deutschland beispielsweise durch die Bundesländer. Sie haben dadurch die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte zu setzen – was wiederum die Handlungsspielräume der Kommunen zusätzlich verengen kann.

Ries empfiehlt Kommunen Europa-Lotsen

Eine der Fragen aus dem digital zugeschalteten Publikum lautete: Sollte jede Kommune eine*n Europabeauftragten haben? Schmitz sprach sich dagegen aus, seiner Ansicht nach wäre das bei 11.500 Kommunen in Deutschland zu teuer. Er verwies aber auf den Arbeitskreis der EU- und Förderreferent*innen beim RGRE. Dort könnten sich auch Kommunen informieren, die kein eigenes Personal für EU-Themen beschäftigen können.

Isolde Ries – die auch Bürgermeisterin des Saarbrücker Bezirks West ist – sah es etwas anders. Sie verstehe Europabeauftragte als Lotsen. Solche brauche jede Kommune. Diese könnten Kontakte pflegen und sichten: Was für Förderungen gibt es, wie kommt man an das Geld? In der saarländischen Stadt St. Wendel (26.000 Einwohner*innen) sei ein Lotse eingestellt worden, und das funktioniere hervorragend. „Ich würde das empfehlen“, unterstrich Ries.

EU-Förderprogramme und Dialogreihe

Die EU unterstützt den Zusammenhalt in Europa mit zahlreichen Förderprogrammen. Unter anderem:

Der Verein Europa-Union plant mehrere Rathaus-Gespräche im Präsenz-Format. Die Termine:

  • September 2023: Rathausgespräch in Oranienburg
  • 5. Oktober 2023: Rathausgespräch in Stadtoldendorf
  • 13. Oktober 2023: Bürgerdialog in Halle
  • November 2023: Rathausgespräch in Großenhain

Mehr Infos: europa-union.de

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