Asyldebatte

„Wir können Flüchtlinge nicht ihrem Schicksal überlassen“

Johanna Schmeller08. August 2018
Thomas Geisel
Thomas Geisel, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf
In einem offenen Brief haben die Städte Düsseldorf, Köln und Bonn der Bundesregierung angeboten, in Not geratene Geflüchtete aufzunehmen. Ihr Ziel: Die Seenotrettung im Mittelmeer aus humanitären Gründen soll möglich bleiben. Drei Fragen an Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD).

Thomas Geisel, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Flüchtlingsdebatte – in der Politik, in der Zivilgesellschaft, auf Twitter?

Die Reaktion auf den gemeinsamen Brief war höchst vielfältig. Einerseits sehr viel Zustimmung und Zuspruch. Daneben auch sachliche Kritik, insbesondere Hinweis auf das Dilemma, einerseits dem humanitären Gebot zu entsprechen, in Seenot geratene Menschen zu retten, andererseits aber vielleicht auch gerade hierdurch einen Anreiz zu schaffen, sich auf die gefährliche Überfahrt zu begeben. Bedauerlicherweise aber gab es auch offen rassistische Töne bis hin zu unverhohlenen Morddrohungen, die mein Büro dazu veranlasst haben, die entsprechenden Mails an den Staatsschutz weiterzuleiten.

Insgesamt missfällt mir an der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte der Ton, den insbesondere Horst Seehofer und die CSU anschlagen; das Schüren von Ängsten und Ressentiments, nationale Alleingänge und populistische Rhetorik sind keine geeigneten Instrumente, um auf die Herausforderung, vor die uns die Flüchtlingskrise stellt, angemessen zu reagieren. Aber offenbar können diese Herren angesichts bevorstehender Wahlen der Versuchung nicht widerstehen, dieses Thema populistisch auszuschlachten.

Aus welchen Motiven haben Sie und Ihre Amtskollegen sich entschieden, der Bundesregierung zu schreiben?

In erster Linie ging es uns darum, ein Signal auszusenden: Dem barbarischen Zustand, dass tagtäglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie nicht gerettet werden können oder dürfen, muss ein Ende bereitet werden. Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung, hier eine europäische Lösung zu finden – solange diese allerdings nicht gefunden worden ist, können die betroffenen Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen werden.

Nach welchen Kriterien werden Sie Flüchtlinge aufnehmen?

Da es sich um ein humanitäres Signal handelt, differenzieren wir nicht nach Herkunftsländern. Wir haben in dem Brief deutlich gemacht, dass wir bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn durch dieses Signal die Seenotrettung wieder ermöglicht wird. Dies bedeutet selbstverständlich, dass wir bereit sind, die hierdurch geretteten Menschen bei uns aufzunehmen.

Für die Unterbringung dieser Flüchtlinge nutzen wir bestehende Kapazitäten in Düsseldorf. Wir gehen davon aus, dass insofern die allgemeinen Regeln der Refinazierung von Flüchtlingskosten durch Bund und Land Anwendung finden. Wir sind uns bewusst, dass gleichwohl ein nicht unerheblicher Teil der Gesamtkosten aus kommunalen Mitteln finanziert werden muss.

Dieses Interview ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.

Der offene Brief

Mit einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel haben die Städte Düsseldorf, Köln und Bonn der Bundesregierung angeboten, in Not geratene Flüchtlinge aufzunehmen. „Wir wollen ein Signal für Humanität, für das Recht auf Asyl und für die Integration Geflüchteter setzen”, erklärten die Oberbürgermeister Henriette Reker (Köln), Thomas Geisel (Düsseldorf) und Ashok Sridharan (Bonn). Und weiter: „Bis eine europäische Lösung mit allen Beteiligten vereinbart ist, ist es dringend geboten, die Seenotrettung im Mittelmeer wieder zu ermöglichen und die Aufnahme der geretteten Menschen zu sichern.”

Den Brief vom 24. Juli 2018 finden Sie als PDF auf der Internetseite der Stadt Köln.

Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages Verena Göppert kommentierte das Schreiben folgendermaßen: „Solange Menschen auf der Flucht im Mittelmeer sterben, muss es intensive politische Anstrengungen geben, dieses Drama zu lösen. Der Deutsche Städtetag hält es deshalb für eine große Geste, dass die Städte Köln, Düsseldorf und Bonn ein Signal für Humanität, für das Recht auf Asyl und für die Integration Geflüchteter setzen wollen. Ob andere Städte ebenfalls anbieten können, Menschen aus der Seenotrettung aufzunehmen, bis eine europäische Lösung vereinbart ist, kann nur vor Ort entschieden werden.” CFH

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