DEMO-Kommunalkongress 2020

Kemfert zu Klimaschutz: „2020 ist vielleicht das Jahr des Tipping Points“

Carl-Friedrich Höck30. Oktober 2020
Das Studio bei der Agentur ASK, von dem aus der DEMO-Kommunalkongress 2020 in diesem Jahr gesteuert und moderiert wurde. Die Redaktion der DEMO und ASK haben den Kongress gemeinsam vorbereitet.
Auf dem Demo-Kommunalkongress forderte DIW-Expertin Claudia Kemfert zusätzliche Investitionen in die Energie- und Klimawende. Diese dürften nicht aufgeschoben werden. Zustimmung bekam sie vom Städetags-Beigeordneten Detlef Raphael und „Fridays for Future“-Sprecherin Carla Reemtsma.

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt davor, Bemühungen für mehr Klimaschutz angesichts der Pandemie zurückzustellen. Diesen Fehler habe man 2009 in der Finanzkrise gemacht, sagte sie auf dem DEMO-Kommunalkongress 2020. Nichts zu tun, könne man sich nicht leisten, denn das würde die Kosten nur in die Höhe treiben. Die Corona-Krise müsse unser denken und handeln verändern und es müssten jetzt Veränderungen eingeleitet werden.

Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

Die Wissenschaftlerin sprach auf dem DEMO-Kommunalkongress, der im Zeichen der Corona-Pandemie stand und in diesem Jahr digital ablief. Die DEMO-Redaktion und die Agentur ASK hatten das Treffen der Kommunalen gemeinsam vorbereitet und organisiert.

„Kommunen sind zentrale Akteure”

„Die Kommunen trifft die derzeitige Corona-Krise sehr hart, sie sind aber auch vom Klimawandel betroffen“, merkte Kemfert an, die beim DIW die Abteilung für Energie, Verkehr und Umwelt leitet. Die Städte, Kreise und Gemeinden hält sie für zentrale Akteure bei der Umsetzung der Klimaziele. Also bei der Energie-, Wärme- und Verkehrswende sowie bei der Digitalisierung, etwa im Bereich der Mobilität. Die Kommunen seien auch geeignet, diese Entwicklungen dezentral voranzutreiben, Partizipation zu gewährleisten und damit die Akzeptanz der Maßnahmen zu erhöhen.

Dafür müssten die Kommunen aber auch finanziell ausreichend ausgestattet sein, merkte Kemfert an. Sie nannte die Entlastung der Kommunen im Rahmen des Corona-Konjukturpaktes „viel zu zaghaft“. Dass die Gewerbesteuerausfälle der Kommunen ausgeglichen werden, sei zwar hilfreich. Doch darüber hinaus müsse auch der kommunale Investitionsstau abgebaut werden, beispielsweise mit einem Investitions-Fonds. Wenn jetzt die Infrastruktur gestärkt werde, erleichtere dies auch später die Rückzahlung der Schulden. Der Fokus könne dabei auf kommunale Daseinsvorsorge und ein effizientes Bildungssystem gelegt werden.

Vielleicht, so hofft Kemfert, sei 2020 das Jahr des Tipping Points. Der Begriff bezeichnet den Punkt, an dem eine bis dahin geradlinige Entwicklung die Richtung wechselt, also „kippt“.

In kleinen Kommunen fehlt Personal und Know-how

Zustimmung erhielt die DIW-Expertin in einer anschließenden Diskussionsrunde von Detlef Raphael, Beigeordneter beim Deutschen Städtetag. Der kommunale Spitzenverband arbeite seit zehn Jahren an dem Thema und habe 2012 einen Leitfaden zur Klimafolgenanpassung in den Kommunen herausgegeben. „Da sind wir belächelt worden“, berichtet Raphael. Nach seinem Eindruck sei das Thema damals nicht besonders ernst genommen worden.

Die Anpassungsstrategie ist kürzlich fortgeschrieben worden, und zum klimagerechten Bauen hat der Verband gemeinsam mit dem Difu eine Handreichung veröffentlicht. Unterschätzt werde auch die Bedeutung von Grün in der Stadt, meint Raphael. Solche Aspekte sollten in der Stadtplanung stärker berücksichtigt werden, meint auch Kemfert. Betonboden etwa „heizt sich auf und wirkt wie eine Fußbodenheizung“. Die Politik habe das auf dem Schirm, aber die bisherigen Strategien reichten nicht aus.

Neben dem Geld können auch Zeit und Know-how eine Hürde für Klima-Maßnahmen sein, stellten die Diskutanten fest. Raphael sprach von einer Überforderungssituation in vielen kleinen Kommunen, „denen fehlt einfach Personal“. Als Beispiel sprach die Runde über nachhaltiges Bauen ohne Giftstoffe. Hier brauche es gesicherte Zertifizierungsverfahren, weil kleineren Kommunen sonst die Fachleute für entsprechende Ausschreibungen fehlten.

Reemtsma: „Keine Kompromisse bei 1,5-Grad-Ziel!”

Eine weitere Diskutantin war Carla Reemtsma, Sprecherin der deutschen „Fridays for Future“- Bewegung. Sie forderte, dass das Ziel eingehalten wird, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. „Es braucht eine andere Art des Politikmachens“, kommentierte Reemtsma. Die großen Parteien dürften keine Programme mehr aufstellen oder Kompromisse vereinbaren, bei denen die Maßnahmen nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Denn dieses sei bereits ein Kompromiss.

„Wir leben in einem Status quo, der in Gesetzen festgeschrieben ist, aber der Status quo ist schon zerstörerisch“, sagte Reemtsma. Deshalb müsse der Status quo verändert werden. Das sei schwierig, räumte sie ein.

 

Vortrag von Claudia Kemfert im Video (zweiteilig):

 

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