Wintereinbruch in Deutschland

Wie Kommunen Obdachlose vor der Kälte schützen

Karin Billanitsch07. Dezember 2023
Im Winter verschärft sich die Lebenssituation von Obdachlosen. Die Kommunen ergreifen viele Maßnahmen zu ihrem Schutz.
Mit dem Beginn der Wintermonate kämpfen die Kommunen wieder gegen Kälte und drohende Erfrierungsgefahr für Obdachlose. Wie Städte- und Gemeinden handeln können, zeigen Beispiele aus verschiedenen Bundesländern.

Lange Nächte, Schnee und klirrende Kälte: In Aalen in Baden-Württemberg nimmt die Stadtverwaltung die Situation von Obdachlosen im Winter verstärkt in den Fokus und hat im November eine Kälteschutzinitiative gestartet: Die Bürger*innen sollen mit Plakaten unter anderem in öffentlichen Einrichtungen für die prekäre Lage dieser Menschen sensibilisiert werden.

„Mit sinkendem Thermometer verschärft sich die Situation für Obdachlose beträchtlich“, teilte die Stadt, die von Oberbürgermeister Frederick Brütting (SPD) regiert wird, mit. In sozialen Medien soll außerdem über Hilfsangebote und Notfallnummern informiert werden. Es ist eine Gemeinschaftsaktion der Stadt Aalen, in Kooperation mit der Caritas Ost-Württemberg und dem Polizeipräsidium Aalen.

Tausende Menschen leben auf der Straße

Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. leben zirka 50.000 Menschen dauerhaft ohne Unterkunft auf der Straße. Die neuesten Zahlen stammen aus dem Jahr 2022. „Die Gefahr für obdachlose Mitbürger*innen, Opfer der Kälte zu werden, steigt. Der Winter startet erst und wer auf der Straße lebt, hat oft ein schwaches Immunsystem. Oft haben Menschen auf der Straße Vorerkrankungen, die sie für Kältegrade weniger resilient machen“, warnt Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe.

Grundsätzlich hat in Deutschland jeder unfreiwillig wohnungslose Mensch ein gesetzliches Recht auf eine ordnungsrechtliche Unterbringung durch die Kommune, in der er sich aufhält. „Die Herkunft des Betroffenen, der Ort des Wohnungsverlustes, die Staatsangehörigkeit und der Aufenthaltsstatus spielen hierbei keine Rolle“, betont Werena Rosenke. Auch in schwieriger Haushaltslage dürften die Kältehilfen, die ja Überlebenshilfen sind, nicht zur Disposition stehen, warnt sie. 

Kältebusse versorgen Obdachlose

Die Wohnungsnotfallhilfen haben ihr Unterstützungsangebot bereits hochgefahren, informiert Rosenke. Zum Beispiel sind in größeren Städten Kältebusse unterwegs. „Sie versorgen Wohnungslose mit heißen Getränken, Decken und Schlafsäcken. Teilweise bringen sie die Menschen auch zur Übernachtung in Notunterkünfte“, teilt die Diakonie mit, die bundesweit Kältebusse und zahlreiche Angebote der Wohnungsnotfall- und Kältehilfe betreibt.

In Hamburg gibt es zum Beispiel einen so genannten „Mitternachtsbus“ der Diakonie, der dank 140 Ehrenamtlichen jede Nacht für obdachlose Menschen unterwegs ist. Seit 1996 fährt er durch die Innenstadt. Der Leitgedanke „Kein Mensch soll auf Hamburgs Straßen erfrieren" prägt die Arbeit bis heute. Die Ehrenamtlichen führen viele Gespräche mit Betroffenen und informieren auch über weiterführende Hilfsangebote, wie zum Beispiel das warme Mittagessen und die ärztliche Sprechstunde im Diakonie-Zentrum für Wohnungslose.

Niederschwellige Tagesstätten

Tagsüber müssen in den Kommunen ausreichend geheizte Aufenthaltsräume rund um die Uhr zur Verfügung stehen, fordert die BAG Wohnungslosenhilfe. Notfalls müssten zusätzlich geeignete Räume mit Heizung und Toiletten angemietet werden, in Hotels oder Pensionen etwa, heißt es. Rosenke fordert auch die Öffnung von U-Bahnstationen und anderen geeigneten öffentlichen Gebäuden, wenn nötig. Und schließlich appelliert sie an Wohnungseigentümer, Zwangsräumungen im Winter auszusetzen  – „die eigene beheizbare Wohnung bietet den besten Schutz“.

Telefon-Hotlines haben sich bewährt

Auch Kälteschutztelefone haben sich bewährt. Beispiel Regensburg: Hier gibt es seit zwei Jahren eine Hotline der Caritas, die vom ersten November bis zum 31. März zu erreichen ist. Diese Rufnummer können alle Bürger wählen, die jemanden auf der Straße sehen, der gefährdet sein könnte. Auch in Berlin gibt es ein Kältehilfe-Telefon. Betrieben wird es von der Gebewo pro gGmbH. Sie ist die Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe und fasst auf einer Webseite alle Angebote in Berlin zusammen.

Laut Rosenke sind auch Streetworker alarmiert und achten ganz besonders auf Menschen, die sich ganztags im Freien aufhalten. „Gefordert sind jetzt die Kommunen, aber auch jede einzelne Bürgerin, jeder einzelne Bürger. Gemeinsam müssen wir auf die achten, die sich nicht selbst helfen können und ohne Wohnung oder Obdach leben müssen“, appelliert sie und fordert eine „gemeinsame Kraftanstrengung von Politik und Zivilgesellschaft, um Menschen vor dem grausamen Tod in Kälte und Einsamkeit zu schützen“. 

Auch Kommunen rufen ihre Bürger*innen direkt auf, wachsam zu sein. „Wenn Sie vermuten, dass eine obdachlose Person unter den Witterungsbedingungen leidet, sprechen Sie sie höflich an und fragen, ob sie etwas braucht oder Hilfe annehmen will“, heißt es auf der Seite der Berliner Kältehilfe. Und die Stadt Aalen stellt klar: „Die Aufmerksamkeit und aktive Beteiligung der Gemeinschaft sind von großer Bedeutung.“ Dann der dringende Appell: „Schauen Sie nicht weg, wenn Sie einen obdachlosen Menschen in der Kälte antreffen! 

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