Betreuung von jungen Arbeitssuchenden

Kommunen protestieren gegen Jobcenter-Reform

Carl-Friedrich Höck21. September 2023
Mit dieser Aktion protestieren der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und die kommunalen Jobcenter gegen die geplante U25-Reform.
Junge Menschen, die Bürgergeld beziehen, sollen künftig von der Agentur für Arbeit betreut werden und nicht mehr von den Jobcentern. Gegen diese Pläne der Bundesregierung regt sich Widerstand. Kommunen sehen bewährte Strukturen in Gefahr.

Die sogenannte U25-Reform empört die kommunalen Spitzenverbände. Mit einer gemeinsamen Aktion protestieren der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag am Mittwoch gegen die Pläne der Bundesregierung. Auf dem „Tag der kommunalen Jobcenter“ zeigten die Kongressteilnehmenden der Reform symbolisch die rote Karte.

Jobcenter werden „entlastet”

Das Bundesarbeitsministerium plant, dass junge Menschen unter 25 Jahren, die Bürgergeld beziehen, in Zukunft von den Arbeitsagenturen betreut werden. Bisher sind die Jobcenter dafür zuständig – viele von ihnen befinden sich in kommunaler Trägerschaft.

„Die bisherige Doppelspurigkeit in der Ausbildungsförderung und der Arbeitsförderung für junge Menschen entfällt damit”, heißt es im Entwurf der Bundesregierung für das „Haushaltsfinanzierungsgesetz”. Junge Bürgergeld-Beziehende würden künftig „wie auch andere junge Menschen” von den Agenturen für Arbeit in den Arbeitsmarkt eingegliedert. „Die Jobcenter werden von dieser Aufgabe entlastet.”

Der eigentliche Grund für die Reform ist aber offenbar ein finanzieller: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat alle Ressorts aufgefordert, Geld einzusparen. Mit der Neustrukturierung würde die Betreuung junger Menschen nicht mehr aus Steuermitteln bezahlt werden, sondern aus der Arbeitslosenversicherung. Den Etat von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) würde das ab dem Jahr 2025 um 900 Millionen Euro entlasten.

Kommunen bangen um langfristig aufgebaute Strukturen

Nach Ansicht der Kommunalverbände würden damit aber auch bewährte Hilfe- und Beratungsstrukturen zerstört. „Die Jobcenter garantieren aufsuchende Hilfe aus einer Hand“, erklärt Peter Renzel, Vorsitzender des Sozialausschusses des Deutschen Städtetages. Die Jobcenter arbeiteten mit starken Partnern zusammen: dem Jugendamt, dem Schulbereich, der Ausländerbehörde, dem Sozialamt und der Agentur für Arbeit. Oft seien es vielfältige Hemmnisse, die einer Ausbildung in den Arbeitsmarkt entgegenstünden. Zum Beispiel häusliche Probleme, psychische Erkrankungen, Sucht, Über- oder Unterforderung oder eine geringe Frustrationstoleranz.

Unterstützungsbedürftige Jugendliche würden mit der Reform aus der ganzheitlichen Betreuung des Jobcenters herausgelöst, kritisiert Irene Vorholz, die Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Landkreistages. Die Entscheidung sei völlig überraschend gekommen.

Mit der Reform verbunden ist auch ein Rechtskreis-Wechsel. Bisher werden die Betreuungsleistungen für junge Bürgergeldbezieher*innen über das Sozialgesetzbuch (SGB) II geregelt. Künftig fallen sie unter das SGB III. Das Bundesarbeitsministerium plant, die bisherigen Strukturen im neuen Rechtskreis „nachzubauen“ – also bei der Bundesagentur für Arbeit. Vorholz bezweifelt, dass das funktioniert: „Wir erwarten eine schlechtere Betreuung im SGB III.“ So sei das Thema Soziale Arbeit bisher gar nicht im SGB III verankert.

Fraglich, ob das Personal den Wechsel mitmacht

Städtetag und Landkreistag warnen: Jahrelang aufgebaute Netzwerke und das Vertrauen zu den Berater*innen würden zerstört. Fraglich ist aus ihrer Sicht auch, ob die Bundesagentur für Arbeit genügend Fachpersonal findet, um die neue Aufgabe zu übernehmen.

Arbeitsagentur-Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach hofft, dass Kolleg*innen aus den Jobcentern in die Arbeitsagentur wechseln, wenn die Reform kommt. Doch auch er sieht Risiken.

Für die Bundesagentur hat die Reform zudem einen finanziellen Nachteil: Wenn sie neue Aufgaben übernimmt, ist das mit Kosten verbunden. Rücklagen für Krisenzeiten könnten künftig wesentlich langsamer aufgebaut werden, erklärt Terzenbach. Er stellt aber auch klar: „Wir werben als Vorstand dafür, sich der Aufgabe zu verschreiben.“ Man werde alles dafür tun, dass die Jugendlichen nicht verlorengehen.

Kommunalverbände wollen Reform stoppen

Dass die Reform kommt, hält Terzenbach für sicher. Im Arbeitsministerium werde nicht über das Ob nachgedacht, sondern über das Wie. Das Haushaltsfinanzierungsgesetz, mit dem die U25-Reform auf den Weg gebracht wird, soll am Donnerstag vom Bundestag in die Ausschüsse überwiesen werden. Weiteres soll ein Fachgesetz regeln, für das laut Terzenbach im Oktober ein Entwurf vorliegen soll.

Die Kommunen wollen aber noch nicht aufgeben. „Ich habe nicht die Einschätzung, dass die Messe gelesen ist“, sagt Renzel vom Städtetag. Er hoffe, dass der Bundestag noch eine andere Möglichkeit findet, das nötige Geld einzusparen. Irene Vorholz verweist darauf, dass sich alle 16 Bundesländer und viele Verbände gegen die Reform ausgesprochen haben. Seit das SGB II geschaffen wurde – also Hartz IV eingeführt wurde – habe es keine solche Protestwelle gegeben.

 

Update, 29. September 2023:

Wie der Deutsche Landkreistag mitteilt, hat das Bundesarbeitsministeriums angekündigt, den Wechsel der Betreuung junger Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern zu den Arbeitsagenturen nicht weiterzuverfolgen. Präsident Reinhard Sager sagte: „Diese Entscheidung ist eine richtige. (...) Wir danken den Jobcentern, Ländern, Verbänden und allen anderen Akteuren, die mit uns gegen diese Pläne auf die Barrikaden gegangen sind.“ Um trotzdem 900 Millionen Euro im Bundeshaushalt einzusparen, sollen die Arbeitsagenturen künftig zuständig werden, wenn Bürgergeld-Beziehende eine Weiterbildung oder eine berufliche Rehabilitation erhalten. Der Landkreistag will diesen Vorschlag nun prüfen. „Eine solche Aufgabenverlagerung wäre jedenfalls besser als die U25-Reform”, kommentiert Sager.

Der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Martin Rosemann berichtet: Die Fraktion habe „aufgrund der vielen offenen Fragen und Bedenken der beteiligten Akteure Minister Hubertus Heil darum gebeten, Alternativvorschläge zu erarbeiten.” Diesem Wunsch sei der Minister nachgekommen und haben eine gangbare Alternative vorgestellt.

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