Jörg Freese im Interview

Landkreistag-Experte: „Krankenhausreform ist im Moment eine Black Box”

Carl-Friedrich Höck25. April 2024
Jörg Freese, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag
Mit der Krankenhausreform will der Bund die Gesundheitsversorgung neu organisieren. Jörg Freese ist Beigeordneter und Gesundheits-Experte beim Deutschen Landkreistag. Im Interview erklärt er, warum er mit Skepsis auf die Reform blickt.

DEMO: Die Krankenhausreform sei auf der Zielgeraden, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich nach einem Treffen mit kommunalen Spitzenverbänden verkündet. Teilen Sie diesen Optimismus?

Jörg Freese: Das hängt von dem Mehrheitsverhältnis im Bundestag ab, nicht vom Deutschen Landkreistag. Wenn es nach uns geht, darf es aber noch ein bisschen dauern, wenn die Reform dadurch verbessert wird.

Die Reform soll den ökonomischen Druck auf die Kliniken verringern: indem diese Vorhaltevergütungen erhalten, unabhängig von der Zahl der tatsächlich behandelten Patienten. Und dringend benötigte Krankenhäuser im ländlichen Raum sollen mit Sicherstellungszuschlägen unterstützt werden. Klingt das aus Sicht der Landkreise nicht gut?

Doch, das klingt gut. Die Grundidee der Vorhaltevergütung ist zu begrüßen. Nur ist die Ausgestaltung erstens sehr kompliziert und zweitens haben wir Zweifel, ob das Konzept die Erwartungen erfüllen kann. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Situation für Krankenhäuser auch im dünn besiedelten ländlichen Raum mit der Reform zwar nicht schlechter wird, aber unterm Strich auch nicht besser.

Was müsste passieren, um das zu ändern?

Sehr kurz gesagt sollen nach den derzeitigen Plänen die Vorhaltepauschalen 60 Prozent der Vergütung ausmachen, welche die Krankenhäuser künftig bekommen. Diesen Anteil könnte man hochsetzen, auf vielleicht mindestens 70 oder 80 Prozent.

Als Landkreistag haben wir aber ein grundsätzliches Problem: Die Krankenhausreform ist im Moment eine Black Box. Wenn man den Gesetzentwurf liest, ist man hinterher kaum schlauer: Was bedeutet das eigentlich für die Städte, Landkreise und ihre Krankenhäuser?

Können Sie das bitte erklären?

Es gibt im Moment noch keine Analyse der Auswirkungen, was eigentlich für ein so in die Lebensrealität vieler Menschen einschneidendes Gesetz selbstverständlich sein sollte. Das fordern wir nachdrücklich ein.

Zudem: Die wohnortnahe Grundversorgung soll mit Sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen sichergestellt werden, vorher bekannt als „Level 1i-Krankenhäuser“. Im Prinzip heißt das: Diese Einrichtungen bieten eine ambulante Versorgung an und haben zusätzlich noch ein paar Betten, wo Patienten übernachten und medizinisch betreut werden können. Das ist eine gute Idee für ländliche Räume, wo bisher viele kleine und wenig spezialisierte Krankenhäuser nah beieinander existieren und manche auch nicht zwingend notwendig und überlebensfähig sind. Es darf aber nicht der Regelfall werden, dass Kreisstädte mit 20.000 oder 40.000 Einwohnern nur noch solche Versorgungseinrichtungen haben und das nächste voll ausgestattete Krankenhaus ist 80 Kilometer weit weg. Im Moment ist dieses Szenario denkbar – und das lehnen wir klar ab. Zumal die ambulante Versorgung in ländlichen Räumen ohnehin schon stark ausgedünnt ist. Gerade in diesen Gebieten braucht es Krankenhäuser, wo man auch mit eher banalen Beschwerden ambulant versorgt wird. Deshalb brauchen wir auch mehr Ermächtigungen für ambulante Leistungen und Krankenhausambulanzen insgesamt.

Dass viele Krankenhäuser rote Zahlen schreiben, liegt auch daran, dass eine moderne medizinische Versorgung sehr teuer geworden ist. Gesundheitspolitiker aus der Ampel-Fraktion sagen: Die Reform wird nicht alle Kliniken retten, sie kann aber das Krankenhaussterben ein Stück weit steuern. Gehen Sie bei diesem Ziel mit?

Das grundsätzliche Ziel, dass wir in Zukunft stationäre Versorgung an weniger Standorten werden erbringen müssen, das teilen wir. Deswegen ist eine gute Steuerung so wichtig. Wenn es optimal läuft, behalten die Bundesländer ihre Gestaltungsspielräume. Ein Beispiel: Es wird viel darüber gesprochen, dass medizinische Spezialfälle zentral erbracht werden sollen. Das heißt zum Beispiel: Bestimmte komplexe Operation sollen nicht mehr von allen Krankenhäusern durchgeführt werden, sondern von wenigen spezialisierten Häusern. Was dabei nicht übersehen werden darf: Wir haben sehr leistungsfähige Einrichtungen auch in ländlichen Gegenden. Die sollte man jetzt nicht dicht machen und Spezialbehandlungen nur noch in Großstadt-Kliniken durchführen. Hier brauchen die Länder Handlungsfreiheit, sonst geht die Reform auf jeden Fall zulasten der ländlichen Räume.

Im März hat der Bundesrat das Krankenhaustransparenzgesetz gebilligt. Der Bund hat in diesem Zusammenhang Liquiditätshilfen von bis zu sechs Milliarden Euro für die Kliniken zugesichert. Wie bewerten Sie das?

Die Zahl ist extrem strittig, wir wissen nicht so recht, wie der Minister auf diese 6 Milliarden kommt. Aber das Geld hilft natürlich, dennoch: Es reicht nicht aus. Wir wollen den kalten Strukturwandel verhindern, also den unkontrollierten Wegfall von Kliniken und Versorgungsleistungen. Das bedeutet: Auch wenn manche Einrichtungen in zehn Jahren nicht mehr da sein werden, müssen wir sie jetzt erst einmal weiterfinanzieren. So gewinnen wir die nötige Zeit, um die Entwicklung steuern zu können. Und wir müssen auch den Fachkräften in Medizin und Pflege signalisieren: Ihr werdet weiter gebraucht, wechselt bitte nicht den Beruf, auch nicht kurzfristig den Arbeitgeber!

Allein die Landkreise werden im Jahr 2024 schätzungsweise drei Milliarden Euro aufbringen müssen, um als Krankenhausträger ihre Kliniken zu stützen: mit Zuschüssen, Darlehen oder was auch immer. Und da rede ich nur von den kommunalen Krankenhäusern, nicht von den privaten oder frei gemeinnützig betriebenen. Das zeigt, wie hoch der Finanzbedarf ist. Und das Geld fehlt den Kommunen an anderer Stelle. Da muss auch der Bund seinen Teil leisten, und sei es nur durch die notwendige Gesetzgebung im Krankenhausfinanzierungsgesetz.

Vor einigen Tagen ist ein Entwurf für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz publik geworden. Die Caritas kritisiert: Der ursprüngliche Plan, in ganz Deutschland Gesundheitskioske zu schaffen, kommt darin gar nicht mehr vor. Wie erklären Sie sich das?

Wie man hört, hat sich die FDP dagegen gesperrt. Und auch die Primärärztlichen Versorgungszentren, wo verschiedene Ärzte zusammenarbeiten, sind aus dem Entwurf gestrichen worden. Der Landkreistag hat als Verband dazu noch keine abgestimmte Position. Persönlich glaube ich, dass die Pläne für Gesundheitskioske und Versorgungszentren dem ländlichen Raum gar nicht so viel genützt hätten. Es braucht einfach zu viele Einwohner, um das sachgerecht, wirtschaftlich und fachlich sinnvoll betreiben zu können. Bei den Gesundheitskiosken war immer die Rede von einem Einzugsbereich von 50.000 bis 80.000 Einwohnern. In dicht besiedelten Teilen bspw. von Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Gegenden mag das Konzept funktionieren, aber nicht in der Fläche.

Jörg Freese ist Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag und zuständig für die Bereiche Gesundheit, Jugend und Kultur.

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